Chinas Wirtschaft im Wandel / Regulierungsoffensive – Investoren vor Scherbenhaufen
Die seit Monaten laufende Regulierungskampagne der chinesischen Regierung lässt Anleger im Regen stehen. Allein vergangene Woche wurde an den Börsen in China und in der Sonderverwaltungszone Hongkong ein Marktwert von mehr als 560 Milliarden Dollar vernichtet. Fondsmanager nehmen Reißaus, weil sie nicht wissen, welche Sektoren die Aufseher als nächstes ins Visier nehmen.
„Fast täglich gibt es negative Nachrichten, sodass der Eindruck entsteht, es sei kein Ende in Sicht“, sagte Dave Wang, Portfoliomanager bei Nuvest Capital in Singapur. Von den Maßnahmen ist bereits der Internethandel betroffen ebenso wie der Bildungssektor und die Immobilienbranche. Beschränkungen bei der Speicherung von Nutzerdaten schreckten zuletzt den Internetsektor auf. Auch der Luxussektor zitterte vor angestrebten Einschnitten für Superreiche. An Chinas Börsen wurden zudem mehr als 40 geplante Börsengänge gestoppt, wie die Behörden am Montag mitteilten. Darunter die Börsenpläne der Chipsparte des Elektroautobauers BYD. Als Grund nannten die Firmen Ermittlungen der Behörden bei Maklern.
Vor allem im Technologiesektor hat die Führung in Peking die Daumenschrauben angezogen. Die in Hongkong notierten Aktien des Amazon-Rivalen Alibaba haben sich seit dem Höchststand im Oktober mittlerweile halbiert. Der Kurs des Internetgiganten Tencent fiel zuletzt auf ein 14-Monate-Tief.
Die verschärften Vorschriften treffen viele Unternehmen zu einer ungünstigen Zeit. Immer mehr Daten deuten darauf hin, dass die Ausbreitung der hochansteckenden Delta-Variante des Coronavirus der wirtschaftlichen Erholung den Schwung rauben könnte. Zeitgleich bremsen die Behörden durch immer striktere Regularien Firmen aus.
Kursrücksetzer rufen zwar immer wieder auch Schnäppchenjäger auf den Plan. Doch Anleger bleiben auf der Hut. Zu unsicher ist, welche Branche es als nächstes trifft. In der Hoffnung, dass China den globalen Finanzmärkten in den kommenden Jahrzehnten den größten Auftrieb geben könnte, hatten Investoren in den vergangenen fünf Jahren mehr als 800 Milliarden Dollar in den Markt gepumpt.
Die DNA mancher Unternehmen wurde verändert
„Die Anleger sind aufgeschreckt worden“, sagte Paul O’Connor, Experte bei der Investmentgesellschaft Janus Henderson. „Dies wird die Aussichten für Gewinne, Bewertungen und die Stimmung der Anleger in China stark belasten.“ Bei Werten aus Schwellenländern fielen chinesische Aktien von der Spitze ans Ende zurück. Fonds mit dem Fokus auf China wiesen zuletzt eine negative Rendite von mindestens sieben Prozent aus, wie aus Daten des Analysehauses Morningstar hervorgeht. „Der Prozess der Gewinn- und Rating-Herabstufungen hat gerade erst begonnen“, sagte O’Connor.
Für Anleger sei es nun wichtig zu unterscheiden, was nur Getöse ist und was bleiben wird, konstatierte Michael Bolliger, Experte für Schwellenländer bei UBS Global Wealth Management. Während sich einige Sektoren im Laufe der Zeit wohl wieder erholen werden, sei damit bei anderen nicht zu rechnen. Wenig Chancen auf Erholung sieht Bolliger etwa beim chinesischen Nachhilfesektor. Die boomende Branche darf einem Beschluss der Regierung zufolge keine Gewinne mehr abwerfen bei Nachhilfe in den Kern-Schulfächern. „Sie haben quasi die DNA dieser Unternehmen verändert“, sagte Bolliger. Das Vorhaben ließ die Kurse der börsennotierten Bildungsanbieter im Juli massiv einbrechen.
Die staatlichen Eingriffe machen Börsianern zufolge Anlage-Entscheidungen in China zum Glücksspiel. Doch nicht nur Aktien haben zuletzt in China gelitten; auch die riesigen Anleihemärkte des Landes wurden erschüttert. Hiervon betroffen ist etwa der am höchsten verschuldete chinesische Immobilien-Entwickler Evergrande. Zutage traten die Probleme, als die Regierung versuchte, die Verschuldung im Immobiliensektor zu verringern. Unter anderem wurde der Verkauf von Projekten gestoppt und Guthaben der Firma eingefroren. Auch die Schieflage des milliardenschweren Vermögensverwalters Huaron alarmierte Anleihe-Investoren.
Internet-Sektor im Visier
Im Rahmen der seit Monaten anhaltenden Offensive hatte die oberste Wettbewerbsbehörde SAMR vor allem auch den Internetsektor der Volksrepublik ins Visier genommen. Im Herbst vergangenen Jahres vereitelten Chinas Behörden den geplanten Börsengang des Fintech-Konzerns Ant Group und belasteten damit auch den Mutterkonzern Alibaba. Nur zwei Tage vor dem geplanten Debüt an den Börsen in Shanghai und Hongkong bemängelte die Finanzaufsicht bei Alibaba-Gründer Jack Ma, wegen veränderter Regularien die Offenlegungspflichten wohl nicht zu erfüllen. Kurz vor der Ziellinie platzte damit der mit mehr als 37 Milliarden Dollar weltgrößte Börsengang von Chinas Branchenführer beim mobilen Zahlungsverkehr. Zugleich legten die Bankenaufseher Regeln für eine strengere Kontrolle für die Vergabe von Online-Krediten vor.
Der traditionelle Online-Handel steht besonders im Fokus der chinesischen Regulierer. Amazon-Rivale Alibaba war im April eine Rekordstrafe von 2,75 Milliarden Dollar aufgebrummt worden. Auch kleinere Plattformen wurden mit Geldbußen wegen des Verstoßes gegen Verbraucherrechte belegt. Der neueste Vorstoß der Regulierungsbehörde sieht vor, dass Unternehmen keine Daten oder Algorithmen verwenden dürfen, um den Datenverkehr zu lenken oder die Entscheidungen der Nutzer zu beeinflussen. Im Visier hat die Behörde auch Marketingkampagnen, die auf gefälschte Bewertungen oder Ratings abzielen.
Die Social-Media- und Computerspiele-Branche ist noch nicht offen von den Regulierungsbehörden mit Einschränkungen belegt worden. Heftige Kritik in staatlichen Medien etwa zur Videospielsucht von Prominenten hat aber bereits Anleger aufgeschreckt und zu massiven Kursverlusten geführt. Für Unruhe sorgte im August etwa der Bericht eines chinesischen Staatsmediums, in dem Online-Spiele als „spirituelles Opium“ bezeichnet wurden. Dies ließ den Marktwert des Branchenriesen Tencent in der Spitze um 60 Milliarden Dollar einbrechen und schürte die Befürchtung, die Regierung könnte demnächst auch beim Videospiele-Sektor härter durchgreifen. Tencent reagierte mit Einschränkungen für Minderjährige beim beliebten Spiel „Honor of Kings“ und versprach Maßnahmen, damit Kinder weniger Zeit mit Videospielen verbringen.
Nur Tage nach der Börsennotierung in New York untersagte die chinesische Internetaufsicht CAC dem heimischen Uber-Rivalen Didi, neue Kunden in China zu akquirieren, was den Kurs des Fahrdienstvermittlers um rund ein Fünftel einbrechen ließ. Zugleich sperrten die Aufseher die Didi-App für den Download. Zur Begründung wurden schwerwiegende Verstöße bei der Sammlung und Nutzung persönlicher Daten genannt. Analysten und Investoren sahen die Maßnahmen eher im Zusammenhang mit der Kritik von Auslandsnotierungen chinesischer Konzerne sowie der Sammlung großer Datenmengen.
Bitcoin & Co sind der Führung in Peking schon lange ein Dorn im Auge. Im Mai weiteten die Finanzaufseher die Beschränkungen für Kryptowährungen aus, indem sie ihre Verwendung für Zahlungen oder Abrechnungen durch Banken und Online-Unternehmen untersagten. Im Laufe des Sommers ordneten die Behörden zudem die Schließung von Serverfarmen an, die im Fachjargon als „Schürfer“ oder „Miner“ bezeichnet werden und schickten damit Bitcoin auf Talfahrt. Bislang war weltweit rund die Hälfte der neuen Bitcoin in China geschürft worden.
Manche sehen Chancen in der Krise
Nachdem der Staatsrat im Juni niedrigere Preise für Medikamente sowie Reformen gefordert hatte, befürchten Investoren Maßnahmen im Gesundheitssektor. Auch Technologieunternehmen stellen sich auf weitere Einschränkungen ein. Unter anderem rüsten sie sich gegen ein Datensicherheitsgesetz, das Risikobewertungen und Berichte an Behörden vorschreibt. Spuren wird auch ein geplantes Gesetz haben, das die Speicherung von Benutzerdaten regelt. Die von Präsident Xi Jinping angestrebten Einschnitte für Superreiche in China setzen zudem Luxuswerte unter Druck.
Zwar sei insgesamt Vorsicht geboten, aber es gebe weiterhin auch Chancen, sagte Michele Barlow, Anlageexpertin für den asiatisch-pazifischen Raum des Vermögensverwalters SSGA. Die starken Schwankungen hätten in der Vergangenheit auch attraktive Einstiegsmöglichkeiten geboten. Gute Anlagechancen in China sieht weiterhin auch Shamaila Khan, Bereichsleiterin bei AllianceBernstein – zumindest für wachsame Investoren: „Die Anleger müssen ihren Anlagestil ändern und sich nicht mehr auf die Renditen konzentrieren, sondern auf die Fundamentalanalyse.“
Experte Hans Peterson von SEB Investment Management will trotz der in diesem Jahr erlebten Talfahrt weiter in China investiert bleiben und könnte das Investment dort sogar aufstocken, wenn die Regierung in Peking und die Zentralbank neue Anreize böten. „Es ist gut, die Möglichkeiten in China im Auge zu behalten und nicht die Probleme.“
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Investoren und Anleger sind nur geldgierige Spekulanten und müssen ausgebremst werden, nicht nur in China!
Anleger und Investoren sind nur geldgierige Spekulanten, die man ausbremsen muss, nicht nur in China.