Editorial / Reich und sensibel: Ein Bauträger und der Streisand-Effekt
Kennen Sie den Streisand-Effekt? Gemeint ist damit nicht der tosende Applaus, der losbricht, wenn die legendäre US-Sängerin Barbra Streisand die Bühne betritt. Vielmehr geht es um die Klage, die einem Fotografen 2003 ins Haus flatterte, als die Diva auf einer seiner Luftaufnahmen ihr Haus entdeckte und ihre Persönlichkeitsrechte dadurch verletzt sah. Durch den Prozess erhielt das zuvor unbekannte Bild große Aufmerksamkeit, zirkulierte schon bald überall im Netz. Seitdem bezeichnet der Streisand-Effekt ebendieses Phänomen: den Versuch, eine unliebsame Information zurückzuhalten, der damit das genaue Gegenteil bewirkt.
Forderte Streisand damals 50 Millionen Dollar Schadenersatz, würde sich der luxemburgische Immobilienbauträger und DP-Mitglied Nico Arend schon mit 50.000 Euro von „déi Lénk“ zufriedengeben: Dieser klagt derzeit gegen die Partei und vier ihrer Mitglieder, weil er sich in einer Illustration in deren Infobroschüre zu den Gemeindewahlen wiedererkannt sehen will.
Konkret geht es um einen vermeintlichen Querverweis: Auf der zweiten Seite des Hefts wird seine Gesellschaft „Arend&Fischbach“ im Zusammenhang mit einer Studie des „Observatoire de l’habitat“ zum unausgewogenen Besitz von Bauland namentlich erwähnt; fünf Seiten später taucht ein Anzugträger mit Brille auf, der auf gepackten Geldkoffern hockt. An der Stelle geht es um Steuergerechtigkeit und höhere Abgaben für Wohlhabende.
Hand aufs Herz – haben Sie Arends Namen soeben in eine Suchmaschine eingegeben, um sich selbst ein Bild zu machen? Die Meinungen über eine Ähnlichkeit zwischen Arend und der Zeichnung gehen auseinander, aber Fakt ist: Kannten viele den Mann bis dahin nicht, steht er nun unfreiwillig im Mittelpunkt der Diskussionen.
Dabei haben weder das Bild noch die Aussagen in der Infobroschüre einen diffamatorischen Charakter. Es ist nicht etwa von Steuerhinterziehung die Rede, für die Arends Parteikollege und Escher Kulturschöffe Pim Knaff kürzlich verurteilt wurde. Auch Arends Privatvermögen bleibt unerwähnt. Noch dazu legt der Bauträger mit seiner Zivilklage nahe, dass er ungern mit Steuergerechtigkeit in Verbindung gebracht werden will. Schade, denn immerhin ziert die Karikatur – „déi Lénk“ leugnet jeglichen Bezug zu Arend – aus Sicht von Geringverdienenden eine lobenswerte Forderung der Linken: „Millionäre besteuern, kleine Löhne entlasten“.
Natürlich ist es das Recht aller Menschen, sich gegen persönliche Angriffe und Ungerechtigkeiten zu wehren. Wenn es sein muss, auch vor Gericht. In der Praxis können jedoch nur Reiche wirklich von diesem Recht Gebrauch machen. Geringverdienende, die „déi Lénk“ mit dem provokanten Bild verteidigen will, sowie all jene, die nicht über ertragreiche Bauterrains verfügen, können sich das oft nicht leisten.
Stattdessen werden sie in einem kapitalistischen System strukturell diskriminiert und leiden am meisten unter der grassierenden Immobilienkrise in Luxemburg. Noch am Donnerstag erinnerte auch Claudine Speltz, wiedergewählte Präsidentin des luxemburgischen Frauenrats, im Gespräch mit RTL daran, dass beispielsweise die meisten alleinerziehenden Frauen auf dem Wohnungsmarkt chancenlos sind. Ein Wohnungsmarkt, der nicht zuletzt wegen Immobilienunternehmen so ist, wie er ist.
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