Luxemburg / „Reise ins Unbekannte“: Gesetz zum Kulturerbe verlangsamt den Wohnungsbau
Die Freude über das neue Gesetz ist geteilt. Im Kulturministerium herrscht Erleichterung darüber, den Schutz des heimischen Kulturerbes auf den neuesten Stand gebracht zu haben. Das schreibt Ministerin Sam Tanson („déi gréng“) im Vorwort der Infobroschüre zum Prinzip der „präventiven Archäologie“. Es gilt seit Februar 2022 für Bauvorhaben. Architekten hingegen fürchten unkalkulierbare Folgen für ihre Klientel, die Bauherren.
„Vor 20 Jahren war das Arbeiten als Architekt in Luxemburg paradiesisch im Vergleich zu heute“, sagt Stephan Hain (54). Zu dem Zeitpunkt siedelte er sich mit seinem Architektenbüro in Wasserbillig in einer Nische an. Er und seine sechs Angestellten sind spezialisiert auf biologisch-ökologisches Bauen. „Es gab auch damals schon Vorschriften, ganz klar“, sagt er. „Aber es war menschlicher.“
Im Gespräch mit den beteiligten staatlichen und kommunalen Stellen konnten damals immer Lösungen gefunden werden. „Das ist heute praktisch unmöglich“, sagt er und meint den Dschungel an Verordnungen, die für Bauvorhaben gelten: PAG-Gesetz, Energiepassgesetz, um nur zwei Beispiele zu nennen, und seit etwas mehr als einem Jahr das Gesetz zur „präventiven Archäologie“.
Die staatlichen Absichten sind edel. „Es soll einerseits archäologische Überreste vor dem Einfluss des Menschen, insbesondere durch eine nicht dokumentierte Zerstörung durch Bau-, Abriss- oder Aufschüttungs- und Abgrabungsarbeiten und Naturgefahren schützen“, schreibt das Kulturministerium auf Tageblatt-Anfrage. Und führt weiter aus: „Gleichzeitig bietet es allen Beteiligten wie Eigentümern, Bauherren und Planern eine größere Planungs- und Rechtssicherheit (…).“
Kosten müssen zuerst Bauherren tragen
Vor dem Gesetz gab es bei Zufallsfunden einen Baustopp, wie der Fall „Petite Marquise“ in Echternach zeigt. Dort liegt der Bau von 22 Wohnungen, 1.100 m2 Gewerbeflächen und einer Tiefgarage seit drei Jahren auf Eis. Auf dem Gelände hatten Archäologen überraschend Überreste eines jahrhundertealten Hofes, der wahrscheinlich auf das 7. Jahrhundert zurückgeht, gefunden.
Vorfälle wie diese soll das neue Gesetz verhindern. Zukünftig plant der Architekt und fragt danach gleichzeitig mit der Baugenehmigung beim Ministerium an, ob das Baugelände archäologisch interessant ist oder nicht. Sogenannte „Zones d’observation archéologique“ (ZOA) für das gesamte Staatsgebiet regeln, ob eine solche Anfrage zwingend ist. Die Zonen sind großzügig bemessen, wie das Beispiel Grevenmacher zeigt.
Entscheidet das Ministerium positiv, muss noch vor der Erschließung eine Geländeuntersuchung (Sondage) gemacht werden. Das muss der Bauherr finanzieren. Sollte sich dabei der Verdacht erhärten, dass es archäologische Überreste gibt, müssen Grabungen durchgeführt werden. Es ist am Bauherrn, auch dafür zunächst die Kosten zu tragen.
Bauzeit verlängert sich
Er hat nach deren Ende Anspruch auf eine Erstattung von 50 Prozent. Die Kosten bleiben, auch wenn nichts gefunden wird. Auch bleibt die Verzögerung bis zum definitiven Baubeginn. „Das entwickelt sich immer mehr zum Projektkiller“, befürchtet Architekt Hain und weist auf ein anderes Problem hin. Sondage und Grabung konnten bislang von nur zwei darauf spezialisierten Firmen durchgeführt werden.
Architekten und ihre Interessensvertretung, der „Ordre des architectes et des ingénieurs-conseils“ (OAI), bemängeln deshalb eine Verzögerung der Bauzeit. Das OAI vertritt aktuell 1.105 Architekten ohne die anderen Professionals der Branche. Aus dem Kulturministerium heißt es auf Tageblatt-Anfrage, dass die Dauer der Durchführung einer präventiven archäologischen Maßnahme sechs Monate und in Ausnahmefällen ein Jahr nicht überschreiten darf.
Das betrifft die Dauer, aber nicht den Beginn der Arbeiten. Das OAI rechnet mit einer Verlängerung von ein bis zwei Jahren Bauzeit, weil vor allem die Grabungen Vorlauf brauchen. Meistens seien im laufenden Jahr das Budget und die Fachleute für spontane Grabungen nicht vorhanden, heißt es auf Tageblatt-Nachfrage. Das Problem war offensichtlich bekannt. In der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage von „déi gréng“ antwortete Kulturministerin Tanson vor ein paar Tagen, am 4. Mai, dass sie gerade acht weitere Firmen für die präventiven Archäologiearbeiten akkreditiert hat.
Böse Überraschungen trotz Fristen möglich
Die Befürchtungen der Branche sind damit aber nicht ausgeräumt. 57 Prozent der aktuellen Aufträge bei Architekt Hain liegen in einer ZOA-Zone und fallen damit unter die Bestimmungen des Gesetzes. Praktisch heißt das: „Ich plane das Objekt und muss dann dem Bauherren sagen: Aber es kann sein, dass das so nicht geht, oder länger dauert oder mehr kostet“, sagt er. „Es ist eine Reise ins Unbekannte.“
Die gleichen Befürchtungen hegt das OAI. „Da man im Vorfeld keine genauen Kenntnisse hat, ob das Grundstück vielleicht archäologisch interessant ist, kann es manchmal zu bösen Überraschungen kommen“, heißt es in der OAI-Antwort auf Tageblatt-Anfrage. Für zukünftige Bauherren heißt das im Endeffekt, dass sie die Kosten für die Maßnahmen schon beim Kreditantrag berücksichtigen müssen.
Probleme wie diese wollte das Kulturministerium eigentlich vermeiden. Mit der Vorschrift, dass innerhalb von 30 Tagen nach dem Antrag auf eine archäologische Bewertung eine ministerielle Entscheidung vorliegen muss, sieht das Gesetz Fristen für den staatlichen Entscheidungsprozess vor. Antwortet das Ministerium in diesem Zeitraum nicht, kann das Bauvorhaben weitergehen. Das ist der Idealfall.
Gesetz noch nicht allgemein bekannt
Auf den hoffen all die Bauherren, deren Projekte schon fortgeschritten sind. Ihre Planung bezüglich Zeit und Geld hat lange vor dem neuen Gesetz begonnen. Architekt Hain macht nämlich noch eine andere Erfahrung. Die Bestimmungen zur präventiven Archäologie sind so neu, dass viele seiner Kunden nichts davon wissen.
„Sie fallen aus allen Wolken“, sagt er. Neukunden informiert er neuerdings sowieso gleich beim Erstgespräch über die neue Sachlage. Seine Bestandskunden aber müssen das erst einmal verdauen und darauf hoffen, dass auf ihren Grundstücken nichts gefunden wird. Das Kulturministerium bestätigte, dass mittlerweile zwei Klagen gegen das Gesetz laufen.
Gesetz und Ausnahmen
Das Gesetz vom 25. Februar 2022 über das Kulturerbe führt das Prinzip der „präventiven Archäologie“ ein und setzt damit die Konvention von Valletta vom 16. Januar 1991 um, die am 7. Dezember 2016 von Luxemburg ratifiziert wurde. Das schreibt das Kulturministerium auf Tageblatt-Anfrage.
Demnach müssen alle Bau-, Abriss- und Aufschüttungsarbeiten auf Grundstücken in der archäologischen Beobachtungszone („Zone d’observation archéologique“ – ZOA) dem Kulturminister zur archäologischen Bewertung vorgelegt werden, bevor die Genehmigung zum Bau oder Abriss erteilt wird. In der ZOA ist vorgesehen, dass kleine Projekte wie solche im „Plan d’aménagement particulier“ (PAP) eines „quartier existant“, die weniger als 100 m2 groß und weniger als 0,25 m tief sind, sowie dringende Infrastrukturarbeiten von archäologischen Bewertungen „dispensiert“ sind. In der sogenannten „Sous-zone“, mit geringerem archäologischem Potenzial, geht die Freistellung von der archäologischen Bewertungspflicht noch weiter, heißt es aus dem Ministerium.
Ausgenommen sind ebenfalls archäologische Stätten, die gemäß Artikel 19 klassifiziert wurden, archäologische Stätten, die nach einer archäologischen Ausgrabung vollständig zerstört wurden und Grundstücke, die bereits so weit erschlossen sind, dass kein Element des Kulturerbes mehr gesichert werden kann, heißt es aus der gleichen Quelle. Unbewegliche Elemente des Kulturerbes von hohem Denkmalwert können als nationales Kulturerbe erklärt werden, um sie an Ort und Stelle zu erhalten. Dies kann zu Änderungen des Bauprojekts führen und einen Anspruch auf eine Entschädigung geben.
- Näherinnen hauchen Werbeplanen von Amnesty International Luxembourg neues Leben ein - 10. November 2024.
- Verlust oder Chance? Wenn jeder Tag ein Sonntag ist, helfen Pensionscoaches - 2. November 2024.
- „Habe eine Welt kennengelernt, die ich so nicht kannte“ – Porträt einer Betroffenen - 29. Oktober 2024.
Erstaunlich, dass ausgerechnet ein Architekt, der sich dem ökologischen Bauen verschrieben hat, gegen das Gesetz wettert: Die Funde im Untergrund im Untergrund geben uns Aufschluss über unsere Geschichte und Herkunft und sind damit unersetzlich. Bei einem einfachen Umbau entfällt die Verpflichtung, den Untergrund zu sondieren. Das wäre auch die wirklich ökologische Variante. Bauen auf Teufel komm raus, musss das sein?