Konzert / Renaissance mit Pep: Balthazar im Atelier
Ein Indie-Rock-Konzert vor einem ausverkauften Atelier: Was vor 22 Monaten gang und gäbe war, wirkt heute quasi surreal. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase für Band und Publikum zeigten die belgischen Balthazar, wie wesentlich Live-Musik gerade heute ist.
Wie beklemmend ist es, dass man es immer noch (oder schon wieder) beklemmend findet, sich in einem prall gefüllten Saal mit anderen Menschen zu befinden? Für den Rezensenten war das ausverkaufte Balthazar-Set die höchste Menschen-pro-Quadratmeter-Anzahl seit einer Heimreise von der Berlinale im Februar 2020, während der die DB die Passagiere von zwei völlig ausgelasteten ICEs in einem einzigen Zug unterbrachte. Sprich: Das war damals, vor 22 Monaten – in einem anderen Leben.
Nach ein paar Startschwierigkeiten, die einerseits einer anfänglichen Angespanntheit, ja sogar dem Eindruck, das Konzertverhalten inmitten einer solch dichten Menschenmenge verlernt zu haben, andererseits auch dem Fakt, dass die Band viele der tanzbareren Tracks des neuen Albums „Sand“ in die zweite Hälfte des Sets verlagert hat, geschuldet waren, gelangen sowohl die Band um die beiden Sänger und Gitarristen Jinte Deprez und Marteen Devoldere wie auch das Publikum ordentlich in Fahrt – nicht zuletzt dank dem Einsatz, neben dem klassischen Gitarre(n)-Bass-Schlagzeug-Triumvirat, elektronischen Sounds, Keys, Trompeten, die es der Band erlaubten, nach den ersten paar Tracks, die gekonnt, aber eben halt etwas zu sehr „by the numbers“ gespielt wurden, Highlights wie „Fever“ vom gleichnamigen Album auszudehnen und mit Improvisationen zu schmücken.
So spielte Balthazar jeden Fall sehr souverän ein auch klangtechnisch stimmiges Set, das mit sieben von 17 Songs dem neuen Album ausreichend Platz einräumt, den Backkatalog aber nicht vernachlässigt. Gleichzeitig gelingt es der Band, die Tracks der neuen Platte, auf denen Balthazar immer mehr wie eine entspanntere, funkigere, weniger kantige Variante der Arctic Monkeys klingt und mitunter Gesangparts einbaut, die auch aus der mittleren Schaffensphase von Portugal. The Man hätten stammen können (siehe „On A Roll“), nahtlos mit dem früheren Material zu verbinden, ohne dass einem im Eifer des Konzerts auffällt, dass der Hochglanz-Indiepop von „Sands“ und das folkigere, verstärkt auf Lo-Fi getrimmte Material der ersten beiden Platten (wie „Sinking Ships“ von „Rats“) doch schon etwas auseinanderliegen.
Denn diese Kluft überbrückt die Band mit einer Selbstsicherheit, die nur manchmal etwas routiniert wirkt. Dadurch, dass Balthazar ein abwechslungsreiches Best-of aus fünf Platten bieten kann, macht das Quintett das, was es an Innovationsgeist einbüßt, stets mit Abwechslungsreichtum, Tanzbarkeit und wahnsinnig wirksamen Tracks wieder wett. Nach den verdammt tanzbaren „Linger On“ und „I Want You“ und dem abschließenden „Losers“ hat wohl auch der letzte Zuschauer die Pandemie draußen für zumindest einen kurzen Moment vergessen.
Es bleibt zu hoffen, dass jetzt, wo „den Atelier“ endlich wieder in Fahrt kommen darf – zwei Abende vor dem Balthazar-Konzert bespielten es die legendären The Jesus and Mary Chain –, die wohltuende Wiedergeburt der Live-Musik nicht durch steigende Infektionszahlen erneut unterbrochen wird – was einer (weiteren) wirtschaftlichen Katastrophe für die Live-Branche gleichkommen würde.
Das Balthazar-Konzert hat nicht nur gezeigt, dass es auch in Pandemie-Zeiten eine Klientel für Live-Musik gibt, sondern auch, dass die vor einem Jahr ins Leben gerufene, unglaublich bescheuerte Zweiteilung des gesellschaftlichen Lebens in wesentliche und unwesentliche Bereiche grundlegend falsch war. Konzerte sind mehr als wesentlich. Und in Zeiten von einem drohenden möglichen dritten Lockdown, der für viele allein psychisch eine Katastrophe wäre, sind sie es mehr denn je.
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