Soziale Dienste / „Riicht eraus“: Die Anlaufstelle für häusliche Gewalt arbeitet mit den Tätern
„Mir ist die Hand ausgerutscht“ ist ein lapidarer Satz für einen schwerwiegenden Vorgang. Was dann beginnt, ist ein langer Weg. „Riicht eraus“ begleitet die Täter von häuslicher Gewalt auf dem Weg, sich ihre Tat bewusst zu machen und will erreichen, dass sie sich nicht wiederholt. Mit „Übernimm Verantwortung“ wirbt die Initiative des Roten Kreuzes, was die psychologisch-beraterische Arbeit ziemlich gut beschreibt. Es ist der erste Schritt.
Gewohnheitstäter ohne Reue tauchen eher selten im Büro von Laurence Bouquet (41) auf. Und wenn doch, sind das Fälle, wo der Service „Riicht eraus“ die falsche Anlaufstelle ist. „Wir können nur Menschen helfen, die etwas an ihrem Verhalten ändern wollen“, sagt Bouquet. Die studierte Kriminologin mit einer therapeutischen Zusatzqualifikation für die Arbeit mit Gewalttätern interessiert sich qua ihres Studienfaches für die Seite der Täter.
Gäbe es die Täter nicht, gäbe es keine Opfer von häuslicher Gewalt. Aus dieser Sicht rechtfertigt sich ihr Satz, „wir machen hier Opferschutz“. Häusliche Gewalt ist meistens ein Zeichen von hoffnungsloser Überforderung, die im Streit keine andere Möglichkeit als den körperlichen Übergriff sieht. Worte enden im Nirgendwo und häufig ist es der letzte Ausweg, zuzuschlagen. Ohnmacht und das Gefühl, nicht gehört zu werden, kommen hinzu.
Auslöser der emotionalen Explosion sind meist Banalitäten. Danach zeigt sich die Zwickmühle schnell in aller Offenheit. „Gewalt wirkt, danach ist es ja meistens erst mal ruhig“, sagt Bouquet. „Das ist ja das Perverse daran.“ In den 14 Jahren, in denen sie für den Service „Riicht eraus“ arbeitet, seit acht Jahren als deren Leiterin, hat sie viele Klienten gesehen. Zu ihr kommen Menschen, die sich für das, was sie gemacht haben, schämen und an sich arbeiten wollen oder müssen.
2.000 Beratungen im Jahr 2021
Bei 75 Prozent der Klienten ist nach Angaben des Service die häusliche Gewalt aktenkundig und polizeilich dokumentiert. Ihnen wird die Beratung teilweise auferlegt. Der Rest kommt freiwillig. Auch wenn mit 90 Prozent überwiegend Männer zu „Riicht eraus“ kommen, sollte man die Frauen nicht außer Acht lassen. „Bei rund einem Drittel der Polizeiinterventionen ist der Täter eine Frau“, so Bouquet. Die Vorfälle an häuslicher Gewalt steigen stetig, aber nicht rasant, heißt es bei „Riicht eraus“.
2021 gab es 917 Polizeieinsätze und 249 Wohnungsverweise aufgrund häuslicher Gewalt. Das geht aus dem Bericht des „Comité de coopération entre les professionnels dans le domaine de la lutte contre la violence“ des Gleichstellungsministeriums hervor. Das entspricht rechnerisch 76,42 Polizeieinsätzen monatlich und 20,75 Wohnungsverweisen im gleichen Zeitraum. 2.000 Beratungen hat „Riicht eraus“ im letzten Jahr mit den insgesamt sieben Beratern geleistet. Rund 500 Akten werden dort geführt.
Fünf soziale Dienste, die bei dem Thema Hilfe bieten, listet der ministerielle Bericht auf. Davon beschäftigt sich nur einer mit den Tätern, alle anderen mit den Opfern. Das macht „Riicht eraus“ so besonders. Was kann und will der Dienst leisten? Vor dem „Ausrutschen“ einer Hand, wenn gleich auch keine Hand von selbst „ausrutscht“, steht eine Entscheidung. Bewusst oder unbewusst.
Arbeit an sich selbst
Es ist eine, die in Sekundenbruchteilen getroffen wird, und eine, deren Tragweite nicht zu unterschätzen ist – auf Täter- und auf Opferseite. „Die Täter sind in Not, oft zu Hause rausgeworfen worden und wissen nicht, was tun“, sagt „Riicht eraus“-Leiterin Bouquet. „Aber sie fühlen meist genau, dass sie etwas Falsches getan haben.“ Und die meisten wollen, dass sich das nicht wiederholt, weil sie sonst alles verlieren, was ihnen wichtig ist.
Genau da setzt die Anlaufstelle an. „Unsere Begleitung endet erst mit dem beidseitigen Vertrauen“, sagt Bouquet. Sechs Monate mit einer Sitzung pro Woche ist das Minimum der Dauer einer Begleitung durch den sozialen Dienst. Wer in ihrem Büro auf einem der beiden bequemen lila Stühle Platz nimmt, hat ein Problem. Es ist eines, das in diesem Raum beleuchtet wird. Das Übliche ist Wegschauen.
„Wir trinken hier keinen Kaffee“, sagt Bouquet. „Meine Klienten müssen sich hier in den Spiegel schauen und an sich arbeiten.“ Viele haben sich in einer Mauer des Schweigens über ihre Taten eingerichtet. Sie selbst hat dabei neben dem Gesicht des Gegenübers ein großformatiges Schwarz-Weiß-Foto des Grand Canyons im Blick. Eine Straße scheint vor der mächtigen Bergkulisse nach nirgendwo zu führen. Es steht sinnbildlich für ihre Arbeit. „Manchmal sieht man nicht, wo es hinführt, aber man sollte trotzdem weitergehen, denn es gibt immer ein Ziel“, sagt sie.
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