Musik / „Robert Smith kann man nichts abschlagen“: Maybeshewill über ihre neue Platte „No Feeling is Final“
Sieben Jahre nach dem letzten Album „Fair Youth“ sind Maybeshewill zurück und veröffentlichen ihre lichtdurchflutete Platte „No Feeling Is Final“ – über die Klimakrise. Wie es dazu kam, dass die Band wieder zusammenfand, wie man eine instrumentale, hoffnungsspendende Platte über dunkle Zeiten schreibt und das Tourleben in Zeiten des Post-Brexit und der Pandemie angeht und was Robert Smith damit zu tun hat – darüber hat sich das Tageblatt mit dem Gitarristen John Helps unterhalten.
Eigentlich hatte sich Maybeshewill ja getrennt – und diese Trennung mit einem ergreifenden Abschiedskonzert im Londoner Koko gebührend gefeiert. Eine E-Mail von Robert Smith, seinerseits Sänger von The Cure und bekennender Postrock-Fan (auf der The-Cure-Tournee von 2008 hatte er 65daysofstatic als Eröffnungsakt mitgenommen), sollte alles ändern.
Smith, der 2018 damit beauftragt wurde, das Londoner Meltdown zu kuratieren, mailte der Band, er würde sie gerne auf dem Festival dabei haben. „Smith wusste sehr wohl, dass es die Band nicht mehr gäbe, schien dies aber nicht wirklich als Hindernis zu betrachten. Wir haben gesagt, wir würden es uns überlegen. Aber uns wurde relativ schnell klar: Robert Smith kann man nichts abschlagen“, so John Helps, einer der beiden Gitarristen der Band.
Es war dann auch dieses Konzert, das den Stein wieder ans Rollen brachte: „Wir fühlten uns frei von allen Erwartungen. Die Last der Bandverpflichtungen gab es nicht, wir konnten uns auf das Wesentliche – die Musik – konzentrieren.“ Denn einer der Gründe, wieso man das Bandgeschehen pausiert hatte, war, wie so oft, dass der ewige Zyklus von langem, ausgiebigem Touren und dem darauffolgenden Plattenschreiben und – aufholen die Band unter Druck setzte.
„Ich meinerseits toure sehr gerne: In meinem Tagesberuf bin ich Tour-Manager. Nach unserer kommenden Europatournee begleite ich eine andere Band auf Tournee. Aber das geht nicht allen Bandmitgliedern so. Wir haben teilweise nun eben auch andere Verantwortungen“, erklärt Helps.
Das Comeback war aber eigentlich als Live-Act geplant: Maybeshewill sollte einer der Headliner der 2020-Auflage des Arc Tangent – dem kultigen Post-, Math-, und Noiserock-Festival in der Nähe von Bristol – sein. Dann kam die Pandemie, das Arc-Tangent-Festival wurde erst 2020, dann 2021 erneut abgesagt.
Welchen Unterschied es machte, dass die Platte aufgenommen wurde, ohne dass man die neuen Songs live vorab präsentierte – darüber kann John Helps nur spekulieren: „Ich würde ja hoffen, dass wir für die Platte die gleichen Entscheidungen getroffen hätten. Die Liveauftritte haben keinen riesigen Einfluss auf das Songschreiben. Aber wir hätten sicherlich einen anderen Track vorab veröffentlicht.“
Vom neuen Material gab es im Sommer 2020 nur „Invincible Summer“, ein lichtdurchfluteter Track, der die Brücke schlägt zwischen altem und neuem Material: Die verspielten Klavierparts, das euphorische Hochtürmen energischer Gitarren, die für Postrock-Verhältnisse treibenden Drums, die Dringlichkeit, das Lebensbejahende – all das sind nach wie vor Erkennungsmerkmale des Quintetts. Nur merkt man sofort: Einen solch prominenten Platz hatten die Streicher zuvor nicht, die hier quasi die Rolle der Leadgitarren oder des Klaviers übernehmen.
„Ich würde nicht sagen, dass es eine radikale Neuerfindung ist. Die Kluft war eigentlich größer zwischen ,I Was Here For a Moment and Then I Was Gone‘ und ,Fair Youth‘. Alles, was uns in der Vergangenheit ausmachte, findet man auch auf dieser Platte. Die Proportionierung, die Soundbalance ist nur völlig anders: Die Gitarren, das Klavier stehen etwas mehr im Hintergrund, während die Streicher nun die Hauptrolle spielen.“ Im Rahmen dieser Neugewichtung hebt Helps zu Recht die detailverliebte Arbeit des Produzenten der Platte hervor – der niemand anders als Maybeshewill-Bassist Jamie Ward ist.
Kolonialismus und Klimakrise
Die neue, vierte Platte der Band aus Leicester und ihre drei sehr facettenreichen Vorabsingles bestätigen Helps Aussagen in puncto Detailverliebtheit und Soundbalance: Da wäre erst mal „Refuturing“, das elektronisch anfängt, sich schwelgerisch mit Gitarren und Streichern in ungeahnte Höhen emotionaler Intensität hochschwingt, mit einem Saxofon-Part des Jazzmusikers Marcus Joseph aufhört und von einem schön choreografierten Tanzvideo begleitet wird.
Darauf folgte „Zarah“, das mit seinen treibenden Gitarren, dem schnellen Beat, der gesampelten Rede der Labour-Politikerin Zarah Sultana über die alten Eliten, die uns einen kaputten Planeten vermachen, am ehesten an die ersten Platten der Band erinnert. Und „Green Unpleasant Land“, das mit einer Mandoline beginnt und mit seinem tribalen Rhythmus und den Chorstimmen der experimentellste Track der Platte ist – und deswegen eine, wie John Helps sagt, „ungewöhnliche Wahl für eine Single“ darstellt.
„Eigentlich wollten wir es bei zwei Singles belassen. Aber der Song liegt uns sehr am Herzen, weswegen wir ihm einen besonderen Stellenwert geben wollten. Wie viele der Songs des Albums entspringt er Robins (Southby, dem anderen Gitarristen der Band, Anm. der Red.) kreativem Kopf und inspiriert sich am gleichnamigen Essai von Corinne Fowles.“ In ihrem Essai bewertet Fowles die Auswirkungen der kolonialen Vergangenheit Englands auf die britische Kultur neu, räumt mit der Idee einer gewissen kulturellen Britishness, die aus Landhäusern und Kunstgalerien besteht, auf und zeigt den Rassismus in der Darstellung dieses ländlichen weißen Englands.
Kolonialismus, Sklaverei, Klimakatastrophe, das generalisierte Unbehagen, wenn man an die Zukunft der Menschheit denkt – und natürlich die Pandemie: Die auf der Platte angesprochenen Themen sind alles andere als optimistisch. Trotzdem klingt die Platte nicht unbedingt dunkel, auch wenn sie, wie Helps es ausdrückt, einen „Kern von negativen Gefühlen“ in sich trägt.
Wobei die Pandemie eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat: „Die meisten Songs wurden davor geschrieben. Nur ,Tomorrow‘ (der letzte Track der Platte, der ausschließlich aus Soloklavier besteht, Anm. der Red.) hätte wohl nirgendwo anders als im Lockdown entstehen können.“ Als Keyboarder Matthew Dally dem Rest der Band den hoffnungsspendenden Klaviersong während eines Online-Treffens vorspielte, war klar, dass die Formation aus Leicester die Platte mit dieser Miniatur beenden wollte.
Aber auch die Songs davor klingen selten so düster wie die Themen, die sie eigentlich musikalisch umsetzen. Weil Maybeshewills Musik immer schon einen optimistischen Grundton hatte. Und weil die Band daran glaubt, dass man die Kurve noch kriegen kann, dass Aufmerksamkeitsarbeit und politischer Einsatz – wie der von Zarah Sultana – etwas leisten, verändern können. „Die Idee war es, von einem negativen Grundton auszugehen und im Laufe der Platte zu vertonen, wie man gemeinsam eine bessere Zukunft schaffen kann“, erklärt Helps. So werden die melancholischen Grundtöne, die man auf ruhigeren Tracks wie „The Weight of Light“ oder dem bedrohlichen „Even Tide“ vorfindet, immer wieder von schillernden, hoffnungsvollen Melodien, wie in etwa auf „The Last Hours“, umgeben.
Aber wie vermittelt man eigentlich politische oder ökologische Botschaften, wenn man in einer instrumentalen Postrock-Band spielt? „Das Grundthema muss man im Titel oder in der Kommunikation um die Platte, bspw. auf sozialen Netzwerken, ausmachen können. Danach muss die Musik dann aussagekräftig, aufwühlend, suggestiv genug sein, damit der Zuhörer fühlt, um was es geht“ – und sich vielleicht ausgiebiger mit den Themen auseinandersetzt.
Auch wenn die Band sich entschlossen hat, ihre Tourneen kürzer zu gestalten – auf die Europakonzerte im März, inklusive eines Abstechers in der Escher Kulturfabrik, freut man sich bereits jetzt – zumal die Band noch nicht sehr oft im Großherzogtum war. „Kennst du Mutiny on the Bounty? Die waren es, die uns damals gebucht hatten“, meint John Helps. Es folgt eine angeregte Diskussion über das Out of the Crowd, die Luxemburger Postrockszene und das ArcTangent, deren Transkribierung den Rahmen dieses Porträts sprengen würde.
Info
Die neue Platte „No Feeling Is Final“ sowie alle vorigen Alben der Band findet man auf den Streaming-Plattformen und in gut sortierten CD-Läden. Am 22. März 2022 tritt die Band in Esch/Alzette in der Kufa auf.
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