Mal mit der Zeit, mal gegen die Zeit / Rock ohne Gitarren – dafür mit Zylinder und Fahrradharfe: Der Tee-Plausch mit Coppelius
Gesang, Gitarre(n), Bass und Schlagzeug, eventuell noch ein Keyboard – so sieht die Zusammensetzung einer klassischen Rockband aus. Bei Coppelius? Gesang und Schlagzeug, ja – dafür aber Klarinetten- statt Gitarrensoli, ein Cello und ein Kontrabass sowie Eigenproduktionen wie Fahrradharfe und Stoppschildgitarre. Tourneen heißen hier Konzertreisen, die Band ist eine Kapelle und das Publikum ein Auditorium, das mit „Da capo“-Rufen um Zugaben bittet. Ein Gespräch mit der Band, die u.a. die erste Steampunk-Oper der Welt erschaffen und kürzlich zum „Fanatikertreff“ geladen hat – natürlich stilecht mit Teeduellen.
Anspieltipps
– Diener 5er Herren — das Leiden des jungen B. (aus dem Album „Zinnober“);
– Härteres: Kryptoxenoarchäologie oder das Chop-Suey-Cover (beide aus „Abwärts“);
– Ruhigeres: Contenance (Hertzmaschine)
– für Fans von Klarinettensoli und/oder E. T. A. Hoffmanns „Sandmann“: Schöne Augen (Tumult);
– für Steampunks: Moor (Hertzmaschine);
– Opern: Klein Zaches, genannt Zinnober und Krabat.
Seit 27 Jahren besteht die Kapelle, die Herren sprechen jedoch eher von 221 Jahren. Laut „coppelianischer Geschichtsschreibung“ begegneten sie sich zum ersten Mal im Jahr 1791 bei der Uraufführung von Mozarts „Zauberflöte“. Einst als „Teufelswerk“ verpönt, gelang ihre Musik bis nach Waterloo, wo beim Konzert im Jahr 1815 aufgrund der Schlachtgeräusche deutlich wurde, dass lautverstärkende Mitteln her mussten. Wie immer gilt auch hier: So berichten es die Musiker von Coppelius – das Tageblatt erhebt keinen Anspruch auf Gültigkeit. Fest steht: Mit ihrem Musikstil Kammercore, einer Mischung aus Rock und klassicher Eleganz, rufen Le Comte Caspar, Max Coppella, Graf Lindorf, Sissy Voss, Bastille und Linus von Doppelschlag sowohl bei Rock- und Metalfans als auch bei Steampunks und Liebhabern klassischer Musik Entzücken hervor. Das Tageblatt hat den Komponisten und Multiinstrumentalisten Le Comte Caspar getroffen.
Tageblatt: Herr Le Comte Caspar, Sie gehören einer Kapelle an, die regelmäßig auf deutschlandweite Konzertreisen geht. Doch auch in Luxemburg hat man von Ihnen gehört. Dennoch ist eine Vorstellung vonnöten, vor allem für jene, die Sie noch nicht kennen. Also ich bin Mitarbeiterin eines Berichterstattungs-Druckerzeugnisses, heute ab und an auch „Lügenpresse“ genannt. Und Sie? Wie würden Sie dem Tageblatt-Auditorium die Kapelle vorstellen?
Le Comte Caspar: Stellen Sie sich eine Rockband vor. Nur ohne Gitarren, stattdessen mit Cello, Kontrabass und Klarinetten. Und nicht in zerrissenen, schmuddeligen Klamotten, sondern dem Anlass angemessen in Gehrock und Zylinder gekleidet. Mit einem Butler. Immerhin muss ja jemand den feinen Herrschaften den Absinth reichen, nicht wahr? Wir haben aber auch ein Schlagzeug und es gibt Gesang, wie man das von Rockbands kennt – und es ist sehr laut, denken Sie an den Schutz Ihrer Ohren! Coppelius haben genau genommen die Rockmusik überhaupt erst erfunden, sogar vor 221 Jahren schon!
Sie haben Ihr erstes Konzert 1803 gegeben. Was ist Ihnen davon in Erinnerung geblieben?
Damals waren Konzerte noch nicht so laut – die Amplifikation wurde erst später erfunden, das war 1815. Aber auch bei geringerer Lautstärke ist das hochgeschätzte Auditorium in rasende Ekstase verfallen. Immerhin war damals alles insgesamt nicht so laut – das war auch besser für den Schutz der Ohren!
Was können Sie uns über Ihren instrumentalischen Werdegang verraten?
Ich spiele ja sehr viele unterschiedliche Instrumente – ich baue sie inzwischen sogar selbst. So bin ich nicht nur der weltbeste, sondern auch einzige Solist auf der Fahrradharfe, der Stoppschildgitarre und dem Stoßdämpfergalgen (einem tonabnehmerverstärkten Stahlfederschwunginstrument). Nebst dem Dirigat habe ich noch vor der Klarinette das Pianoforte erlernt – wussten Sie, dass man heutzutage ganze Kinderchöre in Klaviere stecken kann, ohne dass auch nur ein einziges Kind zu Schaden kommt?
Wie baut man denn so eine Fahrradharfe?
Ursprünglich hatte ich einfach mal bei Ebay-Kleinanzeigen geguckt, wer einen Fahrradrahmen zu verschenken hat, bei dem die Gangschaltung hinüber ist. Wissen Sie, das mit dem Instrumentenbau ist auch so ein Selbstläufer, da das Publikum ja mitkriegt, was ich so mache. „Ich habe noch dies und das oder jenes, das brauche ich nicht mehr. Können Sie das verwenden? Können Sie das verbasteln?“ So finden viele Teile den Weg zu mir. Was die Federn betrifft: Im Rahmen eines Kunstprojektes brachte mir jemand mal einen Expander mit. Diese Person meinte, sie könne damit nichts anfangen, doch bei mir sei das Teil am besten aufgehoben. Die Expander-Federn lagen jahrelang bei mir unter dem Klavier. Und dann bin ich auf die Idee gekommen, sie sozusagen als Klangspeicher zu verwenden, indem ich Klänge auf anderen Saiten, Geräten, Korpussen usw. erzeuge und dann dort reinschicke, damit sie nachhallen. Dann hat sich herausgestellt, dass die Tonabnehmer die Federn ganz wunderbar verstärken. Das war ein sehr inspirierter Moment, an dem ich das Ding unter dem Klavier mal wieder hervorgeholt habe und dann auf die Idee gekommen bin, es nicht zur Klangerzeugung, sondern nur zur Klangverlängerung und -verstärkung zu verwenden. Später wollte ich auch eine große Feder für tiefe Klänge haben – das Ergebnis ist unter anderem in unserer Oper „Krabat“ zu hören. Daraufhin bin ich zur Autowerkstatt meines Vertrauens gegangen und habe gefragt, ob sie nicht alte Autofedern hätten. Und die habe ich da bekommen.
Sie verwenden also viel Altes, Weggeworfenes …
Ja, da ist auch viel Upcycling dabei. Das ist ein wichtiges Wort. Natürlich kann nicht jeder Instrumente bauen und man braucht auch nur eine hübsche Lampe (lacht). Aber darum geht es gar nicht, sondern es geht um den Gedanken: Das ist kein Müll, sondern das sind Ressourcen. Von dieser Wegwerfwelt wegkommen und erkennen, dass man aus Sachen noch etwas machen kann. Denn wenn wir irgendwie die Welt retten wollen, müssen wir uns alle ein bisschen zusammen anstrengen. Ferner soll Kunst ja auch Vorreiter sein und Gedankenwege öffnen, und das tut es damit.
Sie haben die Wegwerfgesellschaft angesprochen. Ein weiterer Bereich, in dem diese Mentalität stark vertreten ist, ist die Textilindustrie. Da wollte ich Sie einmal fragen: Woher kommt die Kleidung, die Sie seit Jahren – Entschuldigung, Jahrhunderten – tragen? Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es heute eher schwierig ist, solche Gewandungen zu finden.
Unsere Kleidung ist natürlich maßgeschneidert für die Bühne. Manchmal haben wir zu einem neuen Album oder einer neuen Konzertreise passende neue Kleider für uns nähen lassen und dann aber auch irgendwann nicht mehr, weil jeder so seinen Lieblingsgehrock gefunden hat. Ich zum Beispiel habe diesen erdfarbenen mit diesen (kurze Pause) Ärmelumschlägen, die etwas Sherlock-Holmes-ähnlich aussehen. Der ist großartig – wirklich mein allerliebster Gehrock! So hat jeder Coppelianer seine Lieblingskleidungsstücke gefunden und trägt die auch heute noch.
Sie haben neben Ihrem Butler auch einen Schneider? Wie können Sie sich das alles eigentlich leisten?
Ach, mit Geld beschäftigen wir uns nicht so! Das funktioniert alles schon irgendwie. Unser Butler hat ja auch darauf beharrt, dass wir uns dieses Patreon (eine Online-Plattform, Anm. d. Red.) anschaffen müssen. Aber wie gesagt, mit Rechnungen und so kenne ich mich nicht so aus. Es wird schon irgendeinen Grund dafür geben, dass er meinte, dass wir das unbedingt machen müssten. Das hat wohl mit der Moderne, wo man ja mit der Zeit gehen muss, zu tun – keine Ahnung!
Stichwort Moderne: Dafür, dass Sie schon so lange dabei sind, fällt auf, dass Sie eigentlich sehr gut mit den neuen Technologien klarkommen. Wie haben Sie sich dieses Wissen angeeignet? Fühlen Sie sich nicht ab und an in der heutigen Zeit verloren?
Wir haben ja groß in modernste Technik investiert, eine Maschine erworben, damit wir in dieses Internet hereinkommen und all diese Sachen machen. Wir tun uns manchmal ein bisschen schwer damit, das muss man schon sagen! Aber irgendwie geht das. Was die heutige Zeit betrifft, das Stück „Zeit & Raum“ beschreibt sehr gut, wie ich mich manchmal fühle: verloren in Raum und Zeit. Das ist ein Gefühl, das durchaus auftritt, ja. Es kommt auch darauf an, was man aus der Zeit, aus dem Ort, aus dem Leben macht. In der heutigen Zeit ist immer viel um einen drumherum, aber irgendwie auch nicht. Es ist äußerst schwierig, beispielsweise das Mobilfunkgerät wirklich mal abzuschalten. Die Verkürzung ist ebenfalls ein Problem. Es gab eine Zeit, in der ich täglich die Tagesschau gesehen habe, um mich politisch zu bilden und auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Irgendwann habe ich damit aufgehört, weil ich dann Zeitung gelesen habe. Der Unterschied ist einfach frappierend! Nicht, weil die Tagesschau nicht gut recherchiert wäre, sondern einfach durch die zeitliche Verkürzung: Wenn man es einfach nicht schafft, mehrere Seiten darzustellen, weil man so wenig Zeit hat, und deswegen nur eine Seite darstellen kann bzw. das Problem zu sehr verkürzt, dann entsteht ein völlig anderer Eindruck – und zwar weil irgendjemand absichtlich etwas verdreht hätte, sondern einfach durch die Verkürzung.
„Zeit & Raum“ bzw. das Album „Kammerarchiv“ sind ja kurz vor der Corona-Pandemie entstanden …
Das ist auch ganz interessant, wie die ganze Welt da angehalten hat. Da hat man sich auch gefragt: Muss das sein, dass wir immer so hin und her rasen? Wir können auch mal innehalten. Es ist auch interessant, zu sehen, wie viel Lehren man aus der Pandemie beibehalten hat oder ob alles wieder vergessen ist. Wenn man jetzt rausguckt, feiern die Leute ja, als wäre nie etwas gewesen. Aber andererseits haben sicherlich auch einige in dieser Zeit gelernt, dass man auch mal alleine und in Ruhe eine schöne Zeit verbringen kann.
Das letzte Album, „Abwärts“, klingt ein wenig härter als die vorherigen. Zugleich war die erste Single-Auskopplung, „Nur für dich“, deutlich eingängiger. Eventuell auch Radiomaterial?
Durchaus. Das ist schon eher Pop-Rock, als es jetzt die härteren Sachen sind. Das mit dem Radio hätten wir gehofft, aber scheinbar hat es sich nicht so ergeben. Das Radio hat einfach keinen Geschmack – das ist das Problem. Vielleicht sollte man das Publikum absetzen und ein neues wählen.
Die Radio-Hörerschaft mit ein paar Mitgliedern der coppelianischen Straßenbaugesellschaft, wie sich die Fanatiker nennen, ersetzen?
Das wäre eine Möglichkeit. Aber der Geschmack der Zeit ist natürlich, wie er ist, und selbstverständlich wäre es toll, wenn wir auch mal im Radio laufen würden und eine größere Reichweite hätten. Aber wir wollen uns keineswegs verbiegen oder den Leuten irgendwie hinterherrennen, sondern weiter unsere Kunst machen. „Abwärts“ ist auf jeden Fall ein bisschen härter und düsterer. Irgendetwas ist da, was einen nach unten zieht – dieser Gedanke steckt in allen Stücken. Selbst in „Nur für dich“ gibt es kein glückliches Ende, sondern es wird klar, dass sich jemand selbst grob betrügt. Innerhalb dieses Liedes geht es also auch abwärts. Eigentlich hatten wir aber statt „Abwärts“ vor einer Weile ein anderes Album geschrieben und mit Probeaufnahmen usw. begonnen. Dann kam Corona und uns wurde von der gesamten Entourage abgeraten, dieses Album zu veröffentlichen, da es so düster war. Dieses Gefühl des Verlorenseins war da sehr präsent. Dann haben wir ein neues Album geschrieben: „Abwärts“ ist sozusagen die freundlichere Variante.
Ich nehme mal an, dass die Kapelle schon zahlreiche Ideen für den nächsten Langspieler hat. In welche Richtung könnte es gehen?
Klanglich finden wir den Weg, den wir jetzt eingeschlagen haben, sehr gut und wollen ihn weitergehen. Der Einsatz der selbstgebauten Klänge und etwas härtere Töne für die Rockfraktion – das ist schon eine gute Richtung. Arbeitstitel für das nächste Album ist „Trauma“.
Das klingt nach einer Steigerung – oder sollte man eher sagen: Vertiefung – des „Abwärts“-Aspektes, wobei wir auch wieder bei den Problemen der heutigen Zeit, der Wegwerfgesellschaft und Umweltverstörung wären …
In „Kryptoxenoarchäologie“ geht es bereits ein wenig darum: Da ist etwas, was schon lange im Eis drin ist und was man besser nicht rausgeholt hätte, aber jetzt plötzlich hervortritt. Allgemein bin ich kein Musiker, der gerne Klimarettungssongs schreibt, bei denen man mit dem Zeigefinger wedelt. Aber das Thema ist präsent und das Lied suggeriert schon eine unterschwellige Angst davor, was passiert, wenn das ganze Eis wegschmilzt. Das Thema ist wichtig und es ist auch Aufgabe der Kunst, das in geschicktem Maße zu verarbeiten. Ich bin ja auch ein großer Fan von H. P. Lovecraft. Er hat seine Werke vor 100 Jahren geschrieben, als eine sehr ängstliche Atmosphäre herrschte: Kriegsangst und dann später die Rezession. H. P. Lovecraft war ja auch ziemlich rassistisch und ausländerfeindlich. Das muss man einfach auf dem Schirm haben, um ein paar Sachen richtig einordnen zu können, die einen dann doch vor den Kopf stoßen könnten. Damals herrschte ein Klima der Angst. In dem Fall ging es um Krieg und die Wirtschaft, was dann auch zu Ausländerfeindlichkeit geführt hat. Angst führt ja immer zu Angst vor dem Fremden. Ich glaube, das war überhaupt erst der Nährboden dafür, dass er diese dichten, unheimlichen, atmosphärischen Sachen schreiben konnte. Und jetzt leben wir in einer Zeit, in der sich vielleicht auch so eine neue Angst entwickelt, bloß eben vor dem eigenen, selbstverschuldeten Untergang. Da könnte es Parallelen geben. Insofern kann man auch mal ein Trauma-Album schreiben, das das Ganze thematisiert, ohne mit der Hand auf den Tisch zu schlagen und zu sagen: Wir trennen den Müll richtig.
Etwas „Aufwärts“-Bezogenes zum Abschluss: „Coppelius hilft“ heißt es in einem Lied, auf Ihrer Webpräsenz und zum Abschluss von Konzerten. Wie hilft Coppelius?
Mit handgemachter Musik. Selbst in Zeiten von Künstlicher Intelligenz und weiteren Automaten wird es immer auch ein begeistertes Publikum für wirklich handgemachte Musik geben. So wie unsere.
E. T. A. Hoffmann und die Figur Coppelius
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (1776-1822) war einer der bedeutendsten Schriftsteller der Romantik, vor allem der Schwarzen Romantik in Deutschland. Der Advokat Coppelius tritt in der Erzählung „Der Sandmann“ auf. Der Protagonist Nathanael ist überzeugt, dass der alte Mann mit dem „schiefen Mund“ und „gemeinen, teuflischen Lachen“, der zusammen mit seinem Vater alchemistische Experimente durchgeführt hat, der fürchterliche Sandmann ist. Die Namen der Bandmitglieder nehmen Bezug auf die Welt von E. T. A. Hoffmann, den sie als Sandkastenfreund bezeichnen. Auch eine eigene Zeitung hat die Gruppe: das Olimpianische Käseblatt, von Fans verfasst und angelehnt an die Puppe Olimpia, die ebenfalls in „Der Sandmann“ verkommt.
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