Rock around the Clock / Rockabilly-Anhänger in Petingen berichten über ihre Faszination für die Fifties
Rockabilly Deluxe: Was vor zwölf Jahren als eher überschaubares Fest auf dem Petinger Marktplatz begann, hat sich mittlerweile zu einem echten Szenetreffen der Rock’n’Roll-Fans aus dem In- und Ausland entwickelt. Was zeichnet die Musikrichtung aus, was haben Mode und amerikanische Oldtimer damit zu tun und warum sind Menschen dem Charme der Fifties verfallen? Das Tageblatt hat den Rockabillies und Rockabellas am Samstag auf den Puls gefühlt.
Petingen und Amerika verbindet eine lange Geschichte. Die Stadt im Minett wurde 1944 als erste luxemburgische Ortschaft von den US-Soldaten befreit. Den Abschluss der Feierlichkeiten zur Erinnerung an die Befreiung vom Nazi-Joch bildet seit nun zwölf Jahren das Festival „Rockabilly Deluxe“.
Es wirkt ein wenig wie eine Rückkehr in die 1950er Jahre, als Elvis Presley, Chuck Berry und Buddy Holly die Charts stürmten. Echte US-Oldtimer reihen sich am Samstagnachmittag auf der Straße vor dem J.F.-Kennedy-Platz an, während Besucher in Lederjacke, Jeans oder Tellerröcken zu Rockabilly-Sounds tanzen. Dieser Musikstil entwickelte sich in den frühen 1950ern, als junge, hauptsächlich weiße Musiker in den amerikanischen Südstaaten den von afroamerikanischen Künstlern produzierten Rhythm ’n’ Blues entdeckten und anschließend neu interpretierten.
Rockabilly ist sozusagen Rock’n’Roll mit Country-Einflüssen – Letzterer wurde auch als „hillbilly music“ bezeichnet, also Musik für „Hinterwäldler“, wie Bewohner der ländlichen, gebirgigen Gegenden auf abfällige Weise genannt wurden. Geboren war eine neue Musikrichtung, deren Siegeszug Mitte der 1950er Jahre begann und die im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Revivals erlebte.
Eine typische Rockabilly-Band setzt sich aus einem Gitarristen mit einer Halbresonanzgitarre, einem Kontrabassisten und einem Schlagzeuger zusammen, wobei einer der Musiker auch die Gesangsparts übernimmt. Manchmal ist auch ein Keyboarder dabei. Das luxemburgische Trio The Rusty Boyz, das gleich mehrmals im Laufe des Nachmittags auftritt, zeigt, wie eine solche Zusammensetzung funktioniert. Sein Repertoire besteht aus bekannten Rock’n’Roll-Klassikern von Carl Perkins, Gene Vincent und den Stray Cats.
Im Gegensatz zu Country herrscht beim Rockabilly ein schnelleres Tempo und das Schlagzeug ist präsenter. Gleichzeitig kommen die Musiker mit weniger Instrumenten als beim Rhythm ’n’ Blues aus: The Ferocious Few, eine Americana-Band aus Luxemburg, die Rock’n’Roll mit Punk-Elementen verbindet, schafft es sogar, nur zu zweit die Bühne zu füllen.
Rockabilly als Lebensgefühl
Mittlerweile ist eine echte Rockabilly-Subkultur entstanden. Beliebte Kleidungsstücke sind schwingende Röcke mit Petticoats oder Bleistift-Röcke, Lederjacken, Hosenträger und Creepers. Auffallende Frisuren und Tattoos sind ebenfalls gängig. Deswegen ist es wenig überraschend, dass auch ein Barber Shop und das Tattoostudio South Ink aus Belval im Food Village einen Stand errichtet haben. Das Konzept wurde bereits beim Streetfood Festival im Sommer ausprobiert und für gut befunden: Musikauftritte und Getränke gibt es auf dem J.F.-Kennedy-Platz, Deftiges und Lifestyle-Bezogenes in einem getrennten Bereich.
„Für mich ist Rockabilly ein Lebensgefühl. Ich fühle mich einfach, als sei ich angekommen“, sagt Nadia, seit langem begeisterter Fan von Rock’n’Roll der 50er, aber zum ersten Mal bei einem solchen Event dabei, gegenüber dem Tageblatt. Bei der Frage, was ihr am meisten an der Bewegung gefällt, antwortet sie sofort: „Alles! Von der Musik bis zur Kleidung und den Frisuren. Ich komme aus einem kleinen Dorf und falle da ein wenig aus der Reihe mit meinen Interessen. Aber hier bin ich vollkommen in meinem Element. Ich habe auch einen Freund mitgebracht, der eigentlich eher Hip-Hop hört – und er ist begeistert!“ Die nächste Auflage ist schon mal im Kalender markiert.
Nicht alle Besucher sind im Rockabilly-Stil gekleidet. Für viele Einwohner aus Petingen und der Umgebung gehört das Event einfach zu den „places to be“. „Für mich ist es auch eine schöne Flucht aus dem Alltag“, sagt eine Besucherin gegenüber dem Tageblatt. Sie findet die Veranstaltung ideal, um einen geselligen Nachmittag zu verbringen – „bei toller Musik und guter Stimmung“, fügt sie hinzu.
Rock’n’Roll-Legenden zu Gast in Luxemburg
Große Namen haben sich dieses Jahr angekündigt. Spätestens als die Schwester des berühmten Jerry Lee Lewis, Linda Gail Lewis, am Abend die ersten Klänge von „Roll Over Beethoven“ und „You Can Have my Husband (But Don’t Mess With My Man)“ anstimmt, geht es beim nachmittags eher zurückhaltenden Publikum nun hoch her. Die als Queen of Rock’n’Roll bekannte Sängerin hat ein zum Teil turbulentes Leben hinter sich: mehrere Scheidungen, eine von Armut geprägte Kindheit in den ländlichen Gegenden Louisianas, frühe Konfrontation mit den Schattenseiten des Musikerdaseins ihres Bruders. Und doch hat sie es ins Pantheon der Rockabilly-Künstler geschafft. Ihre Stimme ist kontrolliert und expressiv zugleich und harmoniert mit den Gitarrensoli von Danny B. Harvey. Begleitet wird die Sängerin aus Texas ebenfalls von ihrer zeitweise noch etwas zurückhaltend wirkenden Tochter Anne Marie Lewis, die aber Potenzial zeigt und beweist, dass der Rock’n’Roll unmittelbar mit dem Namen Lewis verbunden ist. Exzellent ist auch Luca Chiappara am Kontrabass, von dem in der Szene noch oft zu hören sein wird.
„Ich habe einen großartigen Abend hier verbracht“, sagt Linda Gail Lewis gegenüber dem Tageblatt. „Ich finde es wunderbar, was Luxemburg tut, um die gefallenen US-Soldaten zu ehren, und auch, dass alle hier so nett zu Amerikanern sind.“ Dies sei nicht immer der Fall, fügt sie lachend hinzu.
Das Tageblatt mischt sich vor dem letzten Auftritt des Tages noch einmal unter die Menge und fragt, ob Fans der Stray Cats vor Ort sind. „Die Stray Cats! Aber natürlich!“, lautet die häufigste Antwort, als Besucher auf die wohl bekannteste 80er-Rockabilly-Revival-Band angesprochen werden. Zu Gast ist deren Drummer Slim Jim Phantom. Er ist für sein energetisches Spiel bekannt, aber auch dafür, stehend zu spielen – mit nur einer Bass Drum, Snare Drum, Hi-Hat und Crash Cymbal ausgestattet. Für viele Besucher eines der Highlights des Abends, der bis in die Nacht hinein dauert und anschließend noch von einer After-Party gekrönt ist. Rock around the Clock eben!
UNSERE BILDERGALERIE:
- Platz 3 und ein World-Games-Ticket: Ankie Timmers qualifiziert sich für Chengdu - 22. November 2024.
- Tag der offenen Tür: Neugierige entdecken Differdingens kreativen Hotspot - 14. Oktober 2024.
- Anno 1900: von der Erde zum Mond und wieder in den Fond-de-Gras - 30. September 2024.
Wusste gar nicht, dass so viele Damen vor 70 Jahren tätowiert waren.
Ich kannte das damals bloß aus der Freakshow auf der ‚Fouer‘.