Forum / Rote Fahnen im Te Deum?
Aus unseren heimischen Sozialdemokraten wird man nicht immer klug. Sie entwickeln neuerdings ziemlich rätselhafte Muster linker Politik. Oder sagen wir es so: Es überfordert altgediente Sympathisanten, sich in die Kapriolen der jungen Garde einzufühlen. Manchmal sind die Gründerväter und -mütter ganz einfach verwirrt. Nichts gegen den jungen Nachwuchs, denken sie, aber was treiben diese Youngster eigentlich? Haben sie überhaupt einen politischen Kompass? Und einen erkennbaren Plan?
In Steinfort, einer sozialdemokratischen Hochburg, wurde der Nationalfeiertag besonders klassenkämpferisch inszeniert. Am Vorabend versammelte der junge rote Bürgermeister seine Truppen mit dem rebellischen Aufruf „17:30 Auer: Rendez-vous beim Kiosk fir de Cortège an d’Stengeforter Kierch – 18:00 Auer: Te Deum“. Moment mal. Wohnen in Steinfort nur linksgedrehte Kirchgänger? Setzt die Bevölkerung sich ausschließlich aus sogenannten Herz-Jesu-Sozialisten zusammen? Ist die gesamte Ortschaft ein Nest der Frommen und Gottesfürchtigen?
Ad maiorem Dei gloriam
Oder hat der junge Herr Bürgermeister ganz einfach vergessen, mal einen Blick in die Geschichte seiner Partei zu werfen? Weiß er nicht, dass die LSAP zu den Vorreitern der Trennung von Kirche und Staat zählt? Legt er sich keine Rechenschaft ab, dass der Gottesstaat, jene absonderliche Allianz von CSV und katholischer Kirche, längst abgeschafft ist? Warum lässt er seine Musikvereine mit Tschingderassabum in die Kirche marschieren, ad maiorem Dei gloriam? Kann er sich kein ziviles Fest vorstellen? Oder gibt er nur der allgemeinen Bequemlichkeit nach, die da sagt: Das war schon immer so, hier war seit Generationen Te Deum, hier wird in alle Ewigkeit Te Deum sein, laizistische Gesellschaft hin oder her? Gehört der Herr Bürgermeister zu jener Fraktion von unbedarften Sonntagskindern, die als smarte Facebook-X-Instagram-TikTok-Artisten durch die politische Landschaft surfen und sich um das Vermächtnis ihrer Partei nicht im Geringsten kümmern?
Wie sagte doch die forsche LSAP-Newcomerin Liz Braz im 100,7-Interview (19.6.24): „Wann ee sou an d’Chamber kuckt, huet een awer nach ëmmer d’Bild vum ale groe Mann, och wa se dat net gär héieren, ech sinn do e bëssen de Kontrast dozou.“ Gott bewahre! Sollen jetzt alle verdienstvollen alten grauen Männer durch lauter junge weiße Frauen ersetzt werden? Die so weiß sind wie ein unbeschriebenes Blatt? Der vitale Geist von Steinfort (das erfreuliche Gegenstück zum Geist von Senningen, der nur ein kalter Hauch ist), unser aller Jean Asselborn, wird sich wohl vor Missfallen schütteln angesichts solch blauäugiger Braz-Phrasen. Egomanisches Karrieregeplapper statt stringenter Politik: In der Theorie wie in der Praxis ist die junge Dame leider viel grauer als der graueste alte Mann.
Nichts als Tarnung
Aber es gibt Trost. Einmal mehr lagen wir völlig falsch. Ein Whistleblower hat uns nämlich verraten: Dieser religiös-patriotische Steinforter Nationalfeiertags-Hokuspokus war nichts als Tarnung. In Wirklichkeit handelte es sich beim pfaffenfreundlichen „Cortège“ um einen Protestmarsch, eine echte Guerilla-Aktion. Ganz wie beim Sturm auf die Bastille stachelte der Bürgermeister seine Truppen an, im Handstreich das Gotteshaus zu besetzen. Die Steinforter Aktivisten ignorierten nicht nur das Te Deum, sie ließen mitten in der Kirche die roten Fahnen wehen. Also virtuell. Das heißt, sie aktivierten heimlich Bilder von roten Fahnen auf ihren Smartphones. Ein herzerwärmender Instagram-Aufstand gegen die Pfaffenarroganz!
Und demnächst kommt es Schlag auf Schlag. Der Herr Pfarrer wird nach Clairfontaine ins süße Exil verfrachtet. Alsdann ist der Weg frei für den sozialistischen Umbau der Steinforter Pfarrkirche. Im ehemaligen Sakralbau wird ein Ausbildungszentrum für den LSAP-Nachwuchs eingerichtet, nach dem Motto: Die harten Holzbänke für die Schwärmer und Knallfrösche, die gepolsterten Stühle für die Fleißigen und Gelehrigen, der Beichtstuhl für die weltanschaulichen Sünder.
Wer nicht hören will …
Der alte graue Mann Jean Asselborn persönlich wird zum strengen Ausbildungsleiter erkoren. Als ehemaliger Bürgermeister von Steinfort weiß er, was Sache ist. Von Konferenz zu Konferenz wird er den Grünspechten sozialdemokratische Manieren beibringen. Noch und noch wird er das Narrativ der entschlossen linken Partei wiederholen. Wer nicht hören will, muss fühlen. Und zwar wird jedem, der nicht den weltanschaulichen Mindestanforderungen entspricht, der Zutritt zu den Parteiämtern verwehrt. Die jungen Draufgänger und Schaumschläger sollten sich warm anziehen. Diese LSAP-Schulung wird kein Zuckerschlecken.
Hier wird nämlich nicht wie beim Theorieunterricht für die Führerscheinprüfung verfahren. Man weiß ja, wie dort die hohe Durchfallquote aufgefangen wird. Kann der Kandidat auf die Frage „Was ist rund und kommt an jedem Auto viermal vor?“ nicht antworten, bekommt er sofort eine zweite Chance mit der Frage „Was ist rund, hat Gummireifen, wird gemeinhin Rad genannt, dient der Fortbewegung und sorgt für die Bodenhaftung des Automobils?“. Nein, nein, der alte graue Mann kennt kein Erbarmen. Er stellt die zentrale Frage nur einmal: „Was sind die Glanzleistungen der LSAP?“ Wer dann nicht wie aus der Flinte geschossen antwortet „Verhinderung des AKW Remerschen, Euthanasie, Trennung von Kirche und Staat“, der hat seinen Anspruch auf ein Parteiamt endgültig verspielt.
Wir aber stellen voller Genugtuung fest: Die LSAP lebt. Sie wird ihren ahnungslosen Nachwuchs ganz sicher an die Kandare nehmen. Wie wir von unserem Whistleblower erfahren, soll in Steinfort schon nächstes Jahr zum Nationalfeiertag ein vollends entklerikalisiertes Volksfest steigen. Festredner ist – wie könnte es anders sein – unser geliebter Jean Asselborn, der hochverehrte Schutzpatron aller Laizisten.
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