Krieg, Krisen und Corona / Russische Propaganda und ihr Einfluss auf Europa – ein Interview
Die Europäische Union hat die russischen Medienunternehmen RT und Sputnik am 2. März per Sanktion verboten. Der Grund: Die beiden Sender verbreiten Propaganda der russischen Führung. Sie werden direkt aus dem russischen Staatshaushalt finanziert und sind an den Kreml angebunden. Und – wie es RT-Chefin Margarita Simonjan ausdrückte – sie betrachten sich selbst als „Waffe im Informationskrieg“.
Mit Inkrafttreten der Sanktionen war zuerst nicht klar, was genau blockiert werden sollte. „Die Verordnung klärt in der Tat nicht im Detail, welche URLs mit welchen technischen Mitteln zu blockieren sind“, erklärt ein Sprecher des Luxemburger Medienministeriums am Montag gegenüber dem Tageblatt. Die Frage sei von vielen Mitgliedsstaaten aufgeworfen worden.
Das wurde inzwischen aber geklärt – und zwar vom Gerek, dem „Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation“, einer EU-Stelle mit Sitz im lettischen Riga. „Gerek geht davon aus, dass die Verpflichtung zur Sperrung von RT und Sputnik weit gefasst ist und dass alle Websites, die zu den in der Verordnung genannten Einrichtungen gehören, darunter fallen.“ Das Gremium ist der Ansicht, dass alle Domains und Subdomains betroffen sind.
So weit zur rechtlichen Seite. Technisch sieht es im Hinblick auf die Natur des Internets aber offenbar anders aus. RT versucht noch immer, seinen Content in Europa zu verbreiten – und hat damit auch teilweise Erfolg. Genutzt werden dazu alternative Internet-Links und Streams über Anbieter im Nicht-EU-Ausland. Videos der deutschen RT-Version „RT DE“, der Livestream von „RT International“ und auch die deutsche Webseite sind so von Luxemburg aus aufrufbar.
Auf seiner RT-Webseite steht geschrieben: „Die Stimme von RT DE soll zum Verstummen gebracht werden. Doch wir machen weiter. Auch nach dem EU-Beschluss, der RT DE das Aussenden von Inhalten innerhalb der EU verbieten soll, gibt es Möglichkeiten, uns zu erreichen.“ Es folgt eine Liste mit Links zu Apps und Streams.
„Auch wenn nicht alle möglichen Kanäle 100-prozentig und dauerhaft abgeriegelt werden können – so wird der Zugriff auf die Inhalte der betroffenen Medien dennoch sehr stark eingeschränkt und ist nicht mehr auf direktem Wege möglich“, heißt es dazu aus dem Luxemburger Medienministerium.
Jahrelang verbreitete RT seine Inhalte weitestgehend ungehindert in Europa. Wie groß ist der Einfluss des Medienunternehmens tatsächlich? Und welche Strategien verfolgt es, um seine Klientel zu bedienen – oder zu manipulieren? Die Wissenschaftlerin und Journalistin Susanne Spahn beschäftigt sich seit langem mit den russischen Staatssendern – und hat unter anderem ihre versuchte Einflussnahme auf die deutsche Bundestagswahl untersucht. Ein Interview.
Tageblatt: Frau Spahn, ist RT noch Meinungsäußerung oder schon Propaganda?
Susanne Spahn: Ich beobachte die Berichterstattung von RT DE seit acht Jahren und habe sechs Studien dazu verfasst. Es ist wichtig, auf das Selbstverständnis zu schauen. Die Chefredakteurin Margarita Simonjan spricht selbst darüber: Das Selbstverständnis ist, eine Waffe des Informationskriegs zu sein.
Was will RT eigentlich?
Vor einigen Jahren sagte Simonjan, dass es darum gehe, in den westlichen Ländern eine Gegenöffentlichkeit und eine Alternative zum Mainstream zu schaffen. Insbesondere die Unzufriedenen und die Kämpfer gegen das System sollten angesprochen werden. Linke und rechte Kreise – aber auch die Bevölkerung allgemein. Die Berichterstattung entspricht dem sehr gut. Seit acht Jahren werden gezielt Krisen genutzt: erst die Flüchtlingskrise, dann der Brexit, dann die Corona-Krise, jetzt der Ukraine-Krieg. Die Krisen werden genutzt, um Unmut zu schüren und Unzufriedenheit anzustacheln.
Was ist das übergeordnete Ziel?
RT hat zum Ziel, das System und die Demokratie anzugreifen und als dysfunktional darzustellen. Das System soll negativ dargestellt werden, ein System, das nicht im Sinne der Bürger ist und nicht funktioniert. Auf der anderen Seite wird das autoritäre System Russlands positiv gezeichnet – und Präsident Putin als effektiver Krisenmanager in Szene gesetzt.
Wie präsentieren sich die russischen Staatsmedien ihrer Klientel?
Sie versuchen, sich als unabhängige Alternative zu verkaufen – dabei sind sie selbst zu 100 Prozent vom Staat finanziert und von der Präsidialverwaltung kontrolliert. Sie erklären, den Anspruch zu haben, jene Wahrheit zu zeigen, die die anderen verschweigen. Das sind Tricks. Sie machen das sehr geschickt, sie greifen bestehende Zweifel auf. Es gibt Schichten in der Bevölkerung, die kein großes Vertrauen in etablierte Medien haben – Stichwort Lügenpresse.
Was ist der größte Unterscheid von RT zu „normalen“ Medien?
Anders als gewöhnliche Medien zeichnet RT eine politische Agenda aus. Normale Journalisten versuchen, sich an Standards zu halten, zum Beispiel nicht zu lügen oder Fakten zu bringen, die sie selbst überprüft haben. Aber RT und andere Staatsmedien haben eine ganz andere Aufgabe: eine politische Agenda zu verbreiten und entsprechende systemkritische Aussagen zu bekommen.
Welche Rolle spielte RT während der Corona-Pandemie?
Es ist egal, aus welcher Ecke: Hauptsache es ist regierungskritisch und gegen das System. Am Anfang hieß es, „diese Epidemie gibt es überhaupt nicht“ und „Maßnahmen wie Händewaschen sind sinnlos“. Es wurde unterstellt, dass Politiker die Maßnahmen nur beschließen, um die Macht zu ergreifen und wehrlose Bürger zu drangsalieren. Dann hieß es „die Behörden werden der Lage nicht Herr“.
Wie agierten die staatlichen Medien währenddessen in Russland selbst?
Dort gab es zu Corona ganz andere Narrative. Es wurde davon gesprochen, dass Impfen wichtig ist und Putin erkundigt sich nach dem Erfolg der Impfkampagne. Daran kann man gut sehen, wie unterschiedlich gewichtet wird – und was die Zielrichtung ist.
Wird vor allem am rechten Rand gefischt?
Es gibt unterschiedliche Medienformate, die unterschiedliche Kreise der Gesellschaft ansprechen. RT DE hat sich vor allem zu einer Plattform für rechtspopulistische Strömungen entwickelt. Daraufhin hat Russland ein neues Format etabliert: „Redfish“– mit linkem Graswurzel-Content. Bei dieser RT-Tochtergesellschaft heißt es, dass man sich gegen das Elend wendet, das durch den weltweiten Kapitalismus hervorgerufen wird. „Redfish“ berichtet über den Kampf von Arbeitern gegen Oligarchen – aber nicht in Russland, sondern in Indien oder der Türkei.
Wie erfolgreich ist RT mit seiner Propaganda?
Es gibt zum Nutzungsverhalten und zu den Auswirkungen leider keine soziologischen Studien. Ich analysiere die Berichterstattung, die Aussagen und wer angesprochen werden soll. Aber ich habe keine Angaben zu den Nutzern und keine Untersuchungen zur Wirkungsweise. Es ist eine Blackbox. Die Reichweite lässt sich jedoch beziffern. Im September 2021, zur Zeit der Bundestagswahl in Deutschland, hatte RT DE 1,4 Millionen Nutzer auf den wichtigsten Social-Media-Portalen.
Die Manipulation von RT ist manchmal sehr subtil und durchdacht. Woher kommen diese Fähigkeiten?
RT DE ist finanziell gut ausgestattet. Mitarbeiter berichten davon, dass die Gehälter gut sind. Ein Aussteiger hat berichtet, dass unter den Mitarbeitern aber auch linke und rechte Aktivisten sind – und Russlanddeutsche, die absolut loyal zu Putin sind. Viele haben keinerlei journalistische Ausbildung. Die Desinformation ist im Westen feiner als bei anderen RT-Ablegern, die Methoden sind subtiler. Typisch ist eine Verbindung von stimmigen Fakten und Falschdarstellungen. Meist wird so gearbeitet, dass Belege fehlen oder die Quellen wissentlich falsch interpretiert werden, zum Beispiel zu Impfstoffen.
RT hat sein Narrativ sehr deutlich von „anti-Corona“ hin zu „pro-Russland“ geändert. Andere neo-rechte Webseiten tun es RT gleich. Gibt es da Verbindungen?
Es sieht so aus, als gäbe es zwischen den Seiten starke Verbindungen, inhaltlicher wie personeller Art. Allen gemein sind die Kritik am „Corona-Regime“, an den Maßnahmen, den Impfungen und eine ausgeprägte anti-amerikanische und pro-russische Agenda. Am Beispiel des Kriegs in der Ukraine kann man das gut erkennen. Demonstranten gehen jetzt gegen Corona und die NATO auf die Straße – und wünschen sich die Befreiung durch Putin. Es ist an Zynismus und Absurdität nicht zu überbieten. Es gibt eine rechte Gruppe in Sachsen, die die Volksrepubliken im Donbass unterstützt – und meint, dass Sachsen sich genauso wie Donezk und Luhansk von Berlin abspalten könnte. Traurig, aber wahr.
Werden Schwurbler und Russland-Fans durch RT nur gestärkt – oder hat RT die Schwurbler etwa geschaffen?
Ich gehe davon aus, dass das Tendenzen sind, die sich einander verstärken – dass es sowohl Menschen gibt, die durch RT „auf den Pfad gebracht“ werden, als auch solche, die sowieso so ticken und sich gerne bestätigt sehen.
Welche Rolle hat RT beim Brexit oder während der Flüchtlingskrise gespielt?
Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass daran RT und Russland alleine Schuld tragen. Ich würde es so formulieren, dass die russischen Medien sehr clever darin sind, Streitthemen aufzugreifen und diese durch ihre polarisierende Berichterstattung zu verstärken und politisch zu nutzen. Aber Russland hat definitiv auch Anteil an dieser Entwicklung. Nach Ansicht einer britischen Untersuchungskommission, die das Brexit-Referendum untersucht hat, hat Russland darauf Einfluss genommen.
Warum sucht Russland überhaupt diese Offensive – und kooperiert nicht einfach mit Europa? Das würde doch am Ende auch den Russen helfen.
Ich habe osteuropäische Geschichte studiert und lange in Russland gelebt. Es ist leider so: Die russische Führung betrachtet den Westen spätestens seit der Annexion der Krim als Feind. Es gibt zwei große Entwicklungslinien. Erstens eine außenpolitische, nämlich die Integrationskonkurrenz im post-sowjetischen Raum. Russland betrachtet diesen als eigenes Interessengebiet und möchte die Integration der Ukraine in die EU und die NATO verhindern. Das zweite ist der Gegensatz des russischen autoritären Systems zur Demokratie. Die russische Regierung will verhindern, dass es zu demokratischen Regime-Wechseln in der Nachbarschaft kommt – und vor allem in Russland selbst.
Russland hatte sich in den 90ern doch geöffnet und daraus auch Nutzen gezogen. Wieso agiert Russland so jetzt so irrational?
Unsere Perspektive ist eine andere ist als die russische. Die aktuelle russische Führung stellt politische Prioritäten über wirtschaftliche. Und das oberste Ziel ist der Machterhalt. Putin ersetzt Wirtschaftsreformen bereits seit einigen Jahren durch Außenpolitik. Diese Reformen sind spätestens mit dem Ende der Präsidentschaft Medwedews zum Stillstand gekommen. Man darf nicht vergessen: Nicht nur in der Ukraine, auch in Moldawien und Georgien stehen Truppen, um eine Westbindung zu verhindern. Russland selbst betreibt zunehmend eine isolationistische Politik. Putin hat in einer seiner letzten Reden sogar erklärt, Russland sei eine eigene Zivilisation.
Könnte Putin mit diesem Plan Erfolg haben?
Ich denke, dass dieser Weg eine Sackgasse ist. Das ist nicht zukunftsfähig. Alles dreht sich um die Clique um Putin und die Oligarchen. Viele Menschen verlassen das Land, Kleinunternehmen können sich nicht entwickeln, das Investitionsklima ist schlecht, es gibt so gut wie keine Rechtssicherheit.
Sind die EU-Sanktionen gegen RT gerechtfertigt?
Ich denke, dass das Verbot umgesetzt werden sollte. Mit dem Krieg ist klar geworden, dass es illusorisch ist, dass RT sich jemals an journalistische Standards hält. Es werden haarsträubende Falschdarstellungen veröffentlicht. Jetzt, zu Kriegszeiten, ist besonders deutlich, dass RT eine Waffe im Informationskrieg ist. Das Argument, dass man RT gewähren lassen sollte, weil ein Verbot negative Konsequenzen für westliche Medien in Russland hätte, trifft nicht mehr zu. Russland hat sämtliche westlichen Medien blockiert – und auch die eigenen letzten unabhängigen Formate wie Echo Moskau.
Wieso kann man noch immer auf RT zugreifen?
Mittlerweile wurde die Übertragung des deutschen Fernsehprogramms eingestellt. Bei der Webseite sollten die EU-Sanktionen eigentlich auch Gültigkeit haben. Aber RT macht hier trotz aller Verbote weiter. Ich finde, dass das ein Skandal ist. Das EU-Verbot muss umgesetzt werden. Weil die Berichterstattung dermaßen von Desinformation geprägt ist, dass es einfach unhaltbar geworden ist. Es ist ein Instrument des Kriegs. Russland führt in der Ukraine einen Angriffskrieg. Und wenn Sie RT DE lesen, steht da, dass der Westen und die NATO daran schuld sind.
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Zensur ist immer undemokratisch – auch die westliche !
Warum will man den mündigen Bürgern nicht die Freiheit lassen, sich selber eine Meinung zu bilden ?
Ich muss gestehen, ich traue auch der westlichen Propaganda immer weniger.
Mich würde mal ein Artikel über die Azov Kämpfer in Mariupol interessieren. Das wäre mal was Nützliches. Wer sind die? Und dann noch ein Artikel über die Reichen in Monaco. Und die Schwurbler im Vatikan. Meine Güte, was für eine Welt.
Ich sende noch, aber niemand hört auf mich.Maze