Tourismus / Saar-Lor-Lux: Das neue Fernweh
„Alles beginnt mit dem Fernweh“. Eine Postkarte mit diesem Spruch liegt dem Reiseführer bei. Dabei ist Autor Markus Mörsdorf (51) gar nicht weit in die Ferne gezogen, um Tipps weiterzugeben. Der Gymnasiallehrer hat sich den Saar-Lor-Lux-Raum ausgesucht. Ein Gespräch über das Dreiländereck, den Sprung über nationale und eigene Grenzen sowie Überraschungen.
Tageblatt: Als Fan der Großregion hat Sie der Lockdown besonders betroffen, oder?
Markus Mörsdorf: Ich war auf dem Rückweg von Mondorf nach Hause, weil ich noch Fotos gemacht habe. Da hörte ich die Nachricht, dass die Grenzen geschlossen werden, im Radio. Das hat mich geschockt. Ich bekomme noch heute Gänsehaut. Deswegen habe ich diesem Erlebnis einen Exkurs am Ende des Buches gewidmet.
Sie haben sich ja auf eine Grenzregion spezialisiert …
Genau. Ich finde, es ist ein geografisches Geschenk, hier zu leben. Man geht auf einem Waldweg und ist plötzlich in einer anderen Kultur. Viele wissen das gar nicht zu schätzen. Ich will den Menschen schon vor Augen führen, was hier ist und wo sie herkommen.
Wissen sie das nicht?
Als Lehrer stelle ich fest, dass Schüler nach dem Abitur gerne nach Neuseeland, Australien oder in die USA wollen. Vor der eigenen Haustür kennen sie sich aber nicht aus.
Geht das nicht vielen so?
Doch, klar. Saarländer kennen Luxemburg vom Tanken und Frankreich vom Einkaufen im Cora in Forbach (F). Und Luxemburger kennen eventuell noch Saarbrücken und Trier. Lothringer fahren ins Saarland und nach Luxemburg zum Arbeiten. Ein bewusster Sprung über die Grenzen hier ist in den Köpfen oft weiter weg als vom Findel aus nach Mallorca oder Kreta zu fliegen.
Das verstehen aber viele unter Reisen. Was ist es denn für Sie?
Reisen ist für mich unterwegs sein. Es ist ein Schritt ins Unbekannte, der mir neue Einsichten und Perspektiven ermöglicht – übrigens auch auf mich selbst. Es ist eine Neuentdeckung an Menschen, Landschaften und Geschichten. Nach Playa de Palma auf Mallorca zu fliegen, um dort Landsleute zu treffen, die ich sowieso um mich herum habe, ist es definitiv nicht.
Ihr Reiseführer enthält zwischen den Zeilen ein Bekenntnis: pro Europa und pro Saar-Lor-Lux. Das ist schwere Kost, gerade jetzt …
Stimmt. Während der Pandemie gab es einen Rückzug hinter die eigenen Grenzen. Deshalb ist es umso mehr ein Herzensanliegen für mich, Menschen für Europa zu begeistern. Obwohl es so nicht geplant war, hat der Reiseführer vielleicht gerade deshalb eine ungeahnte Aktualität.
Saar-Lor-Lux wird von vielen aber nur als schicker Briefkopf für Briefe in mehreren Sprachen wahrgenommen. Wollen Sie dem politischen Konstrukt Leben einhauchen?
Das war in der Tat meine Anfangsmotivation für das Buch. Politisch gewollte, grenzüberschreitende Projekte sind das eine. Meistens geht das über die Köpfe der Menschen hinweg und am Alltag vorbei. Die Realitätsferne zeigt die „Frankreichstrategie“ des Saarlandes. Nach ihrer Verkündung war das saarländische Bildungsministerium stolz darauf, in die Frankofonie aufgenommen zu werden. Das hat an den Schulen gar keine Relevanz. Die Menschen leben Saar-Lor-Lux längst.
In Ihrem Vorwort attestieren Sie diesem Raum mehr Gemeinsamkeiten als die Grenzen vermuten lassen. Drei Beispiele dafür …
Die Geschichte. Das ist eine sehr kriegerische Ecke hier. Alle drei Länder wurden oft als Verfügungsmasse gesehen, die man hin- und herschieben kann. Alle drei Gebiete liegen in einer Randlage. Lothringen am östlichen Rand Frankreichs, das Saarland am südwestlichen Rand Deutschlands und Luxemburg grenzt an drei Nationen. Und alle drei Gebiete sind von einem alten Wirtschaftszweig geprägt, der Kohle- und Stahlindustrie. Sie hat diese Gegend reich gemacht. Für die Stahlbarone haben Grenzen keine Rolle gespielt und überall waren Italiener die ersten Einwanderer.
Haben Sie deshalb im Teil über Luxemburg neben dem Moseltal vor allem den Süden des Landes in den Reiseführer aufgenommen?
Ja. Die Stahlkultur im Süden zeigt, dass Luxemburg es geschafft hat, einen Strukturwandel hinzubekommen. Das haben die beiden anderen Regionen so nicht gepackt. Außerdem ist der Süden des Landes touristisch nicht so bekannt. Dort macht man neben anderen Entdeckungen bei einem „Galão“ (portugiesischer Espresso, Anm. der Red.) im Café die Erfahrung, plötzlich in Lissabon oder Porto zu sein. Damit rechnet ein Tourist nicht. Das sind Grenz- und Kulturerfahrungen, die man in Luxemburg so nur dort macht.
Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht?
Es gibt mehr Ressentiments gegen den jeweiligen Nachbarn in den drei Gebieten, als ich gedachtet habe – quer durch alle Bevölkerungs- und Altersschichten. Und ich bin überrascht von der Museumskultur in Frankreich – gerade auf dem Land. Dazu gehört das Grubenmuseum in Petite-Roselle (F) oder die Bliesmühle (F). In Luxemburg hat mich beeindruckt, wie kritisch Künstler den Wandel des Landes sehen, insbesondere den Einzug städtischer Kultur auf dem Land oder den Finanzplatz.
Gibt es ein Ziel in dem Buch, wo Sie selbst gerne noch mal hinwollen?
Zu den „Etoiles Terrestres“ im Bitcher Land (F). Das sind die Kristallmanufakturen in Meisenthal, Saint-Louis und Wingen-sur-Moder.
Was ist Ihr Lieblingsreiseziel?
Das Meer.
Über den Autor
Autor Markus Mörsdorf hat Germanistik, Politikwissenschaften und Ethik in Saarbrücken, Trier und Berlin studiert. Er ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer und lebt in Oberthal. Er unterrichtet an der Gemeinschaftsschule in Marpingen (D) Deutsch, Politik und Ethik. Reisen und Schreiben sind seine Hobbys. Reisen ist für ihn die physische Fortbewegung, Schreiben ist Reisen im Geist. Als Kind war er mit seinen frankophilen Eltern sehr oft in Saar-Lor-Lux unterwegs. Seine erste Bekanntschaft mit Luxemburg aus dieser Zeit ist der „Parc merveilleux“ in Bettemburg. ISBN 978-3-8317-3446-7, 2021, 622 Seiten.
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