Editorial / Sag alles ab: Festivals und Messen in der Pandemie
Die Absage der Leipziger Buchmesse hat die Literatur- und Verlagswelt zu Recht erschüttert: Es ist nunmehr das dritte Jahr in Folge, dass die beliebte Publikumsmesse nicht stattfinden wird. Hatte man die Absagen in den letzten beiden Jahren durchaus nachvollziehen können – 2020 befand sich die gesamte Welt im Lockdown, 2021 wurde die Welt von einer weiteren (und für Menschen mit Gehirn allzu voraussehbaren) Winterwelle in einen erneuten Lockdown gezwungen –, waren die Hoffnungen für 2022 umso größer, da man eben hoffte, die verlorene Zeit zumindest ein bisschen wettzumachen. Die Absage dieses Jahr ist umso bedenklicher, da sie dem Wegbrechen der großen Verlagshäuser geschuldet ist: So zeigt sich doch sehr deutlich, dass selbst der ach so systemkritische Literaturbetrieb von genau den Kräften angetrieben wird, die Autoren und Autorinnen stets kritisieren.
Dabei steht bei einer solchen Absage nicht ausschließlich der wirtschaftliche Aspekt auf dem Spiel: Festivals und Salons sind eben nicht nur da, um Kontakte zu knüpfen, Lizenzen zu verkaufen und sich als Schriftsteller*in zu vermarkten, sie erlauben es auch, literarische Trends zu erkennen, Debatten zu führen, Themenschwerpunkte zu detektieren und weiterzudenken.
Die Berlinale hat im Gegensatz zur Leipziger Buchmesse unter strengen Auflagen stattgefunden und somit gezeigt, dass die Rückkehr zu einer kulturellen Normalität möglich ist, zumal es bisher zu keinem Cluster kam – und das trotz Omikron und ängstlicher Vorwarnungen, die sich u.a. durch zahlreiche wütende Aufschreie in Pressevorstellungen manifestierten, sobald die Maske eines geimpften, getesteten und auf Distanz gehaltenen Kollegen auch nur einen Zentimeter verrutschte.
Sie hat aber auch gezeigt, wie wichtig solche Zusammenkünfte sind, weil dort nicht nur kulturelle, sondern auch gesellschaftliche Debatten geführt werden: Darf ein Regisseur weibliche sexuelle Pathologien inszenieren oder fliegt ihm, egal aus welcher Perspektive und mit wie viel Empathie er vorgeht, seine Themenwahl so oder so um die Ohren? Wieso verstört Denis Côté, und wieso erntet Nicolette Krebitz für ihre plakative Abrechnung mit der Männerwelt so viel Lob? Riskieren wir nicht, kreative Köpfe nach ihrem Geschlecht thematisch zu segregieren und gerade so non-binäre und fließende Genderidentität zu untermauern?
Ist der zeitgenössische Film zunehmend rural? Sind starke Frauenfiguren gerade trendy – und müssen wir, wie Céline Sciamma zu bedenken gab, uns davor hüten, dass diese Tendenz sich irgendwann erschöpft und das Patriarchat wieder die Oberhand gewinnt? Und wieso war das Politische im Wettbewerb stets nur so hintergründig vorhanden? Ähnliche Polemiken und Debatten hätten sich vielleicht in Diskussionen in und um Leipzig und seinen Buchpreis herauskristallisiert – das werden wir jedoch leider nie erfahren.
Für den Luxemburger Literaturbetrieb hätte die Absage der Leipziger Buchmesse ein Aufatmen sein können, hat doch der neue Verantwortliche für den Literaturexport, Jean-Philippe Rossignol, nach knapp vier Monaten bereits das Handtuch geworfen. Aber da bereits alle Luxemburger Events in Leipzig unter Dach und Fach waren, ist diese Nachricht vielmehr ein weiterer Rückschlag, der zusammen mit Rossignols Kündigung bewirkt, dass der Luxemburger Literaturexport, seit Jahrzehnten in den Kinderschuhen, erneut auf der Stelle tritt.
Nach drei Exportverantwortlichen in nur drei physischen Auflagen der Frankfurter Buchmesse fragt man sich, inwiefern hier strukturelle Probleme existieren. Vergleicht man, wo das Filmland Luxemburg auf internationaler Ebene steht – um den Leipziger-Buchmesse/Berlinale-Vergleich auch auf nationaler Ebene weiterzuspinnen –, kommt man nicht umhin, festzustellen, wie sehr die Literatur hinterherhinkt.
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