Editorial / „Sag alles ab“: Kulturveranstaltungen in Zeiten des Coronavirus
Er hat sich erschreckend schnell ausgeträumt, der Traum einer globalen Welt. Das Coronavirus ist vor allem ein gesellschaftlicher Indikator: Tugenden aus dem Jahrhundert der Aufklärung sind bereits jetzt Schnee von gestern. Das Schlaraffenland Luxemburg, dem es auch in Zeiten von Stahl- und Finanzkrisen stets gut ging, leidet scheinbar unter einer Art Unbesiegbarkeitssyndrom und reagiert wie so oft reichlich spät, obschon unsere Nachbarländer zu den europaweit am meisten betroffenen Gebieten gehören. Interessanter ist aber, dass in öffentlichen Ankündigungen zwischen waschechten Luxemburger Opfern und infizierten Grenzgängern unterschieden wird. Die Fassade einer grenzenlosen Gesellschaft, in der die freie Mobilität den Austausch der Kulturen favorisierte, bröckelt aufgrund von Panik, Unsicherheit und Unwissenheit auf eine beängstigend rapide Weise. Symbolische Mauern, die nie ganz abgerissen waren, werden nun gefestigt: Nationale Grenzen werden wieder deutlich erkennbar, Schengen war gestern. Als ich vorgestern den Fahrstuhl eines Parkhauses betrat, warteten dort drei Menschen. Niemand hatte sich getraut, auf den Knopf zu drücken, der sie auf das Erdgeschoss befördern würde. Diese angespannte Wartezimmersituation erschloss sich mir als treffende Parabel für den momentanen Zustand der Welt.
Das Problem ist: Kulturveranstaltungen, die Menschen aller Schichten und Ethnien zusammenbringen und Empathie fördern, werden scharenweise abgesagt. Heute hätte die Leipziger Buchmesse starten sollen, die Woche danach hätte der Pariser „Salon du livre“ stattfinden sollen, die Biennale in Venedig ist verlegt, sogar Bands wie Pearl Jam oder Wolf Parade und nun auch Russian Circles, die laut eigener Aussage bereits unter den schlimmsten aller gesundheitlichen Bedingungen getourt haben, canceln ihre Tour. Unvermeidlich denkt man an den Tocotronic-Song „Sag alles ab“. Wie trist eine Welt ohne Kulturveranstaltungen sein wird, können wir uns bereits wenige Wochen nach dem Auftauchen des Coronavirus in der EU allzu gut ausmalen. Das Risiko besteht, dass übertriebene Vorsicht und durch Medien ausgelöste Panikattacken die Zombie-Apokalypse ausrufen, noch bevor die Menschheit an irgendeinem Virus zugrunde geht. Wenn ich mir verlassene Theater- und Kinohäuser vorstelle, wenn ich an verbarrikadierte Menschen denke, die die kollektive Erfahrung eines Theaterstückes nicht mehr erleben dürfen, dann wird sich das Endzeitszenario realisiert haben, noch bevor das Virus eine verheerende Anzahl an Todesopfern eingefordert hat.
Im Falle von nationalen und lokalen Quarantänen wird unsere Internetverbindung das letzte Überbleibsel einer globalen Gesellschaft sein. Das Coronavirus wird den Prozess hin zu einer entkörperten, digitalen Gesellschaft nur noch beschleunigen. Für alteingesessene Kulturformen wie das Theater oder das Kino – in Italien wurden diese bereits geschlossen – sind das keine guten Nachrichten, das Hauptaugenmerk des paranoiden Kulturkonsumenten verlegt sich nun noch mehr als zuvor auf Netflix, Streaming und Konsorten. Theaterhäuser könnten schon mal andenken, ihre nächsten Veranstaltungen (wie bei Fußballspielen) vor leeren Zuschauerreihen aufzuführen und einen Streaming-Dienst anzubieten – nur geht dabei eben genau die zwischenmenschliche Erfahrung verloren, die wesentlicher Bestandteil der Theater-, Kino- oder Konzerterfahrung ist.
Für den Fall der Fälle sollten sich die Panikmacher eher mit postapokalyptischen Romanen als mit Desinfektions-Sprays eindecken – „I am Legend“ von Richard Matheson gibt einem beispielsweise eine gute Idee davon, wie es sich anfühlt, einer der letzten Einwohner des Planeten zu sein – und Camus’ „La peste“ ist immer noch ein erschreckend realistischer Einblick in das Verhalten der Menschen in Zeiten der Panik.
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Lieber Jeff Schinker, viele Ansichten mit Ihnen teile ich , allerdings auf einem Punkte hapert es an der Übereinstimmung unserer Ansichten. der Panik-, Angstmache . Nun wer die letzten Wochen und Tage die Medien verfolgt hat, konnte feststellen welch Adrenalinstoss es den Journalisten versetzt hat das Thema in allen Varianten zu thematisieren. But ,that’s business. Allerdings seien wir ehrlich, unsere Konsum- und Spassgesellschaft ist nicht mehr fähig sich in solche Katastrophenszenarien hineinzudenken, geschweige denn die Politik , die Folgen solcher im Voraus einzuplanen. Was nun das kulturelle Geschehen angeht, seien Sie beruhigt, es wird nicht leiden, es ist schon lange tot und nur noch Teil der Unterhaltungsindustrie.Ich schätze Sie als sehr belesenen Zeitgenosse ein, nehmen Sie die Bücher eines Fallada, Seghers, Böll,Hilsenrath oder Grün zur Hand und Sie werden feststellen welche Parallelen zu der heutigen Zeitepoche bestehen.Ich gehöre einer anderen Generation an, doch im Rückblick , stelle ich immer mehr fest, dass die Einschränkung der Meinungsfreiheit sich durch die Hintertüre in unserer Gesellschaft eingeschlichen hat, Schriftsteller ,Journalisten,….wie einige Zeilen vorher genannt, nicht mehr so frei in Wort und Satz ihre Kritik ausüben könnten.Seghers und Fallada unterlagen natürlich anderen politischen Gegebenheiten, vergleichbar der heutigen Zeit und doch, sie haben sich gewehrt.Das humanistische Gedankengut, die Menschenrechte stehen für mich an erster Stelle, doch wenn diese ausgenutzt werden um politische Ziele zu verwirklichen, Mittel zum Zwecke sind, wir die Prioritäten unsere Mitbürger vernachlässigen und wie nun in Krisensituationen die politische Rhetorik laviert, beschwichtigt, nicht adäquat reagiert, ist Kultur ein Nebenfaktor . Trotz des Viruses, bleibt Kultur in meinen vier Wänden die Hauptbeschäftigung und als Ausgleich zur desolaten Weltsituation gute Ablenkung.
J. Scholer
“ Trotz des Viruses, bleibt Kultur in meinen vier Wänden die Hauptbeschäftigung und als Ausgleich zur desolaten Weltsituation gute Ablenkung.“
Genee. D’Bicher kommen nach ëmmer bannent 3 Sekonnen op mengem Kindle un. Als Pensionär halen ech et problemlos méintelaang doheem aus.