Forum / Sand im Sommerloch – Oder: Wie Luxemburg endlich ans Meer angeschlossen wird
Es ist ein altes Trauma: Wir haben keinen Zugang zum Meer. Eingeklemmt zwischen Deutschland, Frankreich und Belgien sitzen wir auf dem Trockenen. Zwar wird das Land gelegentlich geflutet, der immer ärgere Klimawandel beschert uns gewaltige Regengüsse, wilde Sturzbäche und bedenkliche Überschwemmungen, aber das richtig große, imposante Wasser fehlt. Wir vermissen seit jeher den echten Ozean, den atlantischen Thrill oder das mediterrane Hochgefühl. Wir sind die geografisch vernachlässigten Pampabewohner (oder Waldeinsiedler) und können uns nicht damit abfinden, dass ausgerechnet bei uns kein Wellenrauschen zu vernehmen ist.
Da muss man den Luxemburger Kommunen dankbar sein, dass sie Sommer für Sommer täuschend echte Sandstrände in ihrem urbanen Bering einrichten. Es „biitscht“ landauf landab. Wenigstens das. Meeressimulation mit hauseigenen Mitteln. Dicke Sandteppiche, Plastikmuscheln, Quallen aus Schaumstoff, Möwen aus recyceltem Zeitungspapier, Pinguine „made in China“ mit verblüffend naturgetreuem Watschelgang. Und vor allem: sehr viele Cocktails und sehr viel Bier. Sozusagen eine sandumrahmte Kneipe unter freiem Himmel. Auch an artistischen Einlagen mangelt es nicht. Wechselnde Stimmwunder, DJs und andere Stimmungskanonen geben sich rund um die Uhr die Klinke, nein, vielmehr den Humpen in die Hand. Zwar ist immer noch weit und breit kein Meer in Sicht, aber die Voraussetzung zum heißersehnten Meeresanschluss haben wir schon: den populären Sandstrand mitten in der City. Op der Biitsch mécht et quiitsch! Holy summer hole!
Nun ja, für Anspruchsvolle ist das alles leider ein bisschen zu lazy und cosy. Es fehlt ganz einfach die Dynamik. Aktive und lehrreiche Ferien sehen anders aus. Das Strandfeeling kann sich doch nicht darin erschöpfen, dass sich morgens die üblichen Fettwanstexhibitionisten auf die Liegestühle knallen und bis zum Abend nicht mehr weichen. Oder bestenfalls alle zwei Stunden ein paar Meter durch den Sand schlurfen, um den nächsten Bierkasten anzuschleppen. Da muss mehr Pep rein! Ein toter Wal wird angeschwemmt! Shame and scandal! Horror und Graus! Das Artensterben bricht herein! Mamma mia, schnell noch ein Bierchen!
Immersives Theaterspektakel
Es ist gar nicht so schwer, einen toten Wal zu basteln. Da kann die gesamte lokale Künstlerszene eingebunden werden. Sogar die zahllosen Graffitisprayer dürfen sich am Wal austoben: fluoreszierende Schwanzflossen, Blutstriemen noch und noch, ein schillerndes Farbengewirr quer über den gigantischen Leichnam. Da kommt Freude auf. Alle Kunstbeseelten ziehen zum Beach. Bei Sonnenuntergang steigt ein immersives Theaterspektakel, „The whale or how to kill him“, dreihundert Figuranten mit giftigen Harpunen, fast die integrale einheimische Theaterszene gibt sich ein biozertifiziertes Rendezvous. Und das Schönste ist: Wenn das erbauliche Spektakel vorbei ist, kann der ausgediente Wal immer noch an irgendeine Grundschule verschenkt werden, wo er im Hof als didaktische Öko-Hütte dient. Oder als Zuflucht für Lehrer:innen, wenn es in der Pause wieder mal zu klimawandelbedingten Wolkenbrüchen kommt.
Auch Strandgäste, die es härter mögen, also gesellschaftlich noch zupackender, sollten mit einem hübschen Programm verwöhnt werden. Zum Beispiel: Achtung, Tanker havariert, Ölfracht ausgelaufen, Riesensauerei, Panik, Panik, was geschieht jetzt mit unseren schönen Sandstränden? Eine kleine Ölpest bringt todsicher Schwung ins lahme Strandgeschäft. Überall im Land stehen Altölfässer rum, die man sofort einsetzen kann, bestimmt freuen sich viele Arbeitssuchende, Systemgegner und andere Rebellen über den coolen Minijob: Öl ausschütten, Beach kontaminieren, Strandbenutzer proaktiv mit der realen Meereswelt konfrontieren! Ölverschmierte Teenies flüchten schreiend nach Hause, wo sie ihre Eltern in eine monumentale Ehekrise stürzen, Rambazamba in the family, Belustigungsfaktor twelve points!
Natürlich muss nicht alles zwanghaft mit dem Meer zusammenhängen. Der Sandstrand ist ja auch ein Playground für aktuelle Konflikte, die man spielerisch aufbereiten kann. Wo sich das Volk trifft, entstehen Reibungsflächen. Da wird nach ausgiebigem Alkoholkonsum auch mal kreativ die Sau rausgelassen. Eng fatzeg Kläpperei deet ëmmer gutt. Danach schmeckt das Bier umso besser. Die Polizei mischt sich ein, aber nur pro forma, auch Ordnungshüter haben ein Recht auf Sandstrand, man kennt sich, man hasst sich, man schart sich um den Zapfhahn.
Auf Sand gebaut
Vor allem unsere Kleinsten sollten die kommunalen Beach-Manager nicht vernachlässigen. Kinder leiden unter den überlangen Sommerferien, sie vergehen fast vor Langeweile. Also schnell kids on the strand, bitte, und zwar mit pädagogisch wertvollen Spielchen. Wir sind ja alle humanitär gut drauf, da kann ein bisschen aufklärerischer Freiluftaktivismus nicht schaden. Die Kleinsten bringen ihre Schlauchboote mit, im „Save the boat people“-Workshop schneidern sie ihre eigenen Rettungswesten, und schon nimmt das putzige Flüchtlingsdrama seinen Lauf. Die herbeigeeilten Eltern sind zu Tränen gerührt, wie realistisch ihr Nachwuchs den kollektiven Schiffbruch nachspielt. Danach gibt’s Limo und Erdbeershake für die Kindertruppe und scharfe Absacker für die erwachsenen Zuschauer, alle fallen sich in die Arme, die kleinen Flüchtlingsfiguranten klopfen sich den Sand von den Rettungswesten, Applaus, Applaus, die Beach-Community ist perfectly happy. Hoffentlich versickert diese relevante, sozial bedeutsame Freizeitidee nicht gleich wieder im Sand.
Sand ist übrigens ein rares und zunehmend teures Gut. Manche reden gar von einer kommenden globalen Sandkrise. Die improvisierten großherzoglichen Strände sind also höchst gefährdet. Demnächst wird der Sandnachschub wohl versiegen. Das ist keine gute Nachricht für ein Land, in dem fast alles auf Sand gebaut ist.
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