Sozialsystem am Limit / Sarah B. aus Esch braucht Hilfe
Ihr Gesichtsausdruck schwankt zwischen Wut, Enttäuschung und Resignation. Sarah B. weiß nicht mehr weiter. Das Appartement, in dem sie bis Sommer 2019 in Esch gelebt hat, musste sie verlassen. Bei einem Bekannten hat sie Unterschlupf gefunden. Daraufhin hat man ihr das Revis (Einkommen zur sozialen Eingliederung) gestrichen. Sarah B. ist Anfang 50, sie ist krank und sie hofft auf eine Sozialwohnung der Gemeinde.
Sarah B. ist wütend, enttäuscht und verzweifelt. Sie versteckt ihre Gefühle nicht. Eigentlich stellt sie keine großen Ansprüche. Ein normales Leben möchte sie führen, erzählt sie in unserem Gespräch. So wie damals in ihrer Heimat – vor der Krise. Seit fast zehn Jahren lebt Sarah nun in Esch. Das Klima behagt ihr bis heute nicht. Damals, als sie Spanien verlässt, ist ihr das Klima ziemlich egal. Sie sucht einfach nur ein neues Leben für sich und ihren damals 16-jährigen Sohn.
Ohne Mietvertrag
In Spanien sieht sie im Jahr 2010 keine Zukunft mehr. Das Gastronomiegewerbe, in dem sie arbeitet, steckt in einer tiefen Krise. Eine Luxemburger Touristin erzählt ihr vom Großherzogtum, von einem System, in dem vieles besser funktioniert, besonders, wenn es um Kinder geht. Sarah schöpft Hoffnung. Mit dem Flieger kommen sie und ihr Sohn nach Luxemburg. 3.000 Euro habe sie in der Tasche gehabt, erzählt Sarah heute.
Sie scheint Glück zu haben. Sie wird auf ein Appartement aufmerksam gemacht, sagt sie. In Esch. Dort habe sie einziehen dürfen. Einen Mietvertrag habe es nicht gegeben. Der Besitzer, Chef eines kleinen Unternehmens, habe das nicht gewollt. Aber Miete habe sie zahlen müssen, sagt Sarah. Die Situation habe ihr nicht behagt. Aber sie braucht eine Adresse, um den Sohn in der Schule anmelden zu können. Und eine andere Wohnung findet sie nicht. Im Sommer letzten Jahres muss sie das Appartement verlassen. Der Besitzer will Sarah und ihren Sohn nicht mehr. Mit ihren Einwänden kommt sie nicht durch.
Doch sie hat Glück im Unglück. Ein Bekannter aus ihrer direkten Nachbarschaft bietet ihr an, bei ihm im Haus zu wohnen. Zwei Zimmer stellt er zur Verfügung, eines für sie und eines für ihren Sohn. Unentgeltlich. Für zwei oder drei Monate, bis sie eine eigene Wohnung findet. Sie habe stets auf eine Sozialwohnung der Escher Gemeinde gehofft, betont Sarah. Doch das dauert. Sie wartet immer noch.
Grenzen des Revis
Dann wartet der nächste Schicksalsschlag auf sie. Man streicht ihr das Revis-Einkommen. In der objektiven Betrachtungsweise der Behörden erhält nur derjenige das Revis, der in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, deren Einkünfte unter den gesetzlich festgelegten Obergrenzen liegen. Für die Behörden leben Sarah und ihr Sohn aber in einer Haushaltsgemeinschaft, deren Geldmittel höher als die zulässige Obergrenze sind, da das Einkommen des Besitzers mitgerechnet wird. Dass dieser angeblich nur die zwei Zimmer zur Verfügung stellt, ansonsten aber in keiner Weise für die Lebenshaltungskosten von Sarah und ihrem Sohn aufkommt, hilft nicht als Argument.
Wohl sind in der angepassten Form des Revis mehrere Ausnahmen vorgesehen, was die Berechnung des Gemeinschaftseinkommens anbelangt. Diese Sonderfälle werden wie folgt beschrieben:
„Der FNS (’Fonds national de solidarité’) kann volljährige Personen, die aufgrund ihrer ordnungsgemäß dokumentierten und den Antrag auf Erhalt des Revis untermauernden familiären, beruflichen oder gesundheitlichen Situation kostenfrei in einem kein Revis beziehenden Haushalt leben, über einen Zeitraum von maximal 12 Monaten als eigene Haushaltsgemeinschaft betrachten, sofern sie zuvor in einem Krankenhaus, einem Therapiezentrum, einer Strafvollzugsanstalt, einer Flüchtlingsunterkunft oder einer sonstigen Einrichtung zur Aufnahme von Menschen in Not untergebracht waren.“ (Quelle: Salariatskammer).
Aber auch diese Sonderfälle des Revis scheinen in Sarahs Fall nicht zu greifen. Selbst der Vorschlag, Miete für die beiden Zimmer zu zahlen, um deutlicher zu zeigen, dass es eine klare Trennung und eben keine Haushaltsgemeinschaft im Sinne der Revis-Bestimmungen ist, fruchtet nicht.
Im Sozialamt der Escher Gemeinde ist man sich der Situation wohl bewusst. Und auch, dass es keine tausend Möglichkeiten gibt. Eigentlich sogar nur eine, nämlich eine Sozialwohnung der Gemeinde für sie und ihren Sohn und das Mindesteinkommen zum Decken der Lebenskosten.
Auf dem freien Markt wird Sarah keine Wohnung finden. Das ging früher nicht, weil sie als Interimsarbeiterin nie einen zeitlich unbefristeten Arbeitsvertrag hatte und obendrein eh nicht genug verdient habe. Und heute geht es noch viel weniger. Krankheitsbedingt könnte Sarah nur noch Halbzeit arbeiten und hätte selbst mit einem Revis-Zuschuss niemals wirklich genug.
Mögliche Hilfe
Und was nun? Sarah eine rosige Zukunft zu versprechen, wäre nicht richtig – zumindest aus heutiger Sicht. Sie in diesem Teufelskreis stecken zu lassen, wäre unmenschlich. Ihr Hilfe zu verweigern, weil sie ihre Wut, Enttäuschung und Resignation nicht versteckt, wäre ungerecht.
So wie Sarah gibt es einige Menschen in Luxemburg. Die Lösung ihrer Probleme braucht Zeit und Geduld. Oft fehlt beides. Meistens besteht die Hauptschwierigkeit in der desolaten Wohnungssituation im Land. Das Escher Sozialbüro kann deshalb heute nicht sagen, wie lange es dauern wird, bis eine Unterkunft in Esch für Sarah frei wird.
Doch selbst wenn ihr das Revis aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen noch eine Zeit lang verwehrt sein sollte, kann Sarah beim Nationalen Solidaritätsfonds und beim Sozialbüro Esch Hilfe beantragen. In Form von Geld, Gutscheinen oder einer kompletten Übernahme der Kosten für medizinische Leistungen durch die CNS. Das ist sicher nicht das Leben, das Sarah erwartet hatte, als sie damals Spanien verließ. Eine Hilfe, um die schwierige Zeit jetzt zu überbrücken, ist es allemal – so schwach das als Trost auch klingen mag.
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Es wird Zeit, dass die Sozialgesetzgebung den veraenderten Lebens-, Wohn- und Partnerwahlpraktiken der Gegenwart angepasst werden. Hintergrund der aktuellen Gesetzgebung sind Denkmuster des kleinbuergerlich-katholischen Miefs der 50er Jahre.
Bravo Horst! Voellig richtig.Leider werden diese grotesken „Reglemente“ von denjenigen austetueftelt , die in demselbigen Mief gross geworden sind , kaum Lebenserfahrung haben und schon garnicht ueber den Tellerrand schauen.Es geht uns ja sooo wunderbar , warum sollte man sich fuer Veraenderungen einsetzen….Das Schicksal von Sarah ist schlimm genug , der Skandal liegt bei unseren Ministerien die nichts dagegen tun.
Ziemlich blauäugig einfach in ein Land ausreisen, wo ich mich nicht auskenne und mich nicht informiert hae über die Zustände dort.Der Sohn ist ja mittlerweile 19 Jahre, was macht er?
Man darf nicht immer das System für den Notstand verantwortlich machen, denn diese Situation ist hausgemacht und selbst verschuldet.