Mutterschaft und Musik / Saxophonistin Nadine Kauffmann über Kunst und Karriere: „Mir ist es wichtig, meine Kinder aufwachsen zu sehen“
Was für Unterschiede bestehen in der Musikbranche zwischen Frauen und Männern? Und wie verändert Mutterschaft den eigenen Berufsweg? Die Saxophonistin und Musiklehrerin Nadine Kauffmann gibt im Interview Einblicke in ihren Alltag.
Tageblatt: Frau Kauffmann, inwiefern fühlen Sie sich als Saxophonistin und Musiklehrerin am Escher Conservatoire im Vergleich zu männlichen Kollegen ungleich behandelt?
Nadine Kauffmann: Im Hinblick auf meinen eigenen Karriereweg erkenne ich keine Unterschiede: Mir wurden keine Steine in den Weg gelegt, weil ich eine Frau bin. Ich habe mich früh für eine Lehrtätigkeit entschieden, sodass ich als Beamtin in puncto Gehalt ebenfalls keine Diskriminierung erfahre. Das gilt in meinem Fall auch für Konzertgagen. Was meinen Lebenslauf stärker bestimmt als mein Geschlecht, sind persönliche Entscheidungen.
Welche?
Mir war klar: Wenn ich Kinder bekomme, will ich Zeit mit ihnen verbringen. Das zieht Konsequenzen nach sich. Ich habe mich dazu entschieden, nur in Teilzeit zu lehren, um die restliche Zeit flexibel für kreative Projekte und meine Familie zu nutzen. Ich habe mich nicht um eine Karriere im Ausland bemüht, sondern mich auf Luxemburg konzentriert. Ich bin dankbar, dass es hierzulande genügend Möglichkeiten gibt, seine Kunst gemäß dem eigenen Alltag auszuleben: Mir ist es wichtig, aufzutreten und eigene Projekte umzusetzen. Ob es sich dabei um Schul- und Familienkonzerte, Kammermusik, Orchester oder Auftritte mit pädagogischem Hintergrund handelt, ist mir per se gleich. Im Gegenteil – es erfreut und beflügelt mich, wenn ich nach einem Auftritt in einem professionellen Kulturhaus in einem unaufgeräumten Turnsaal ohne Bühnenflair eine Theateratmosphäre erschaffen und einen tollen Auftritt hinlegen kann.
Es ist jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, besonders, wenn du alleinstehend bist. Ich habe das große Glück, dass meine Mutter immer ein Fels in der Brandung ist: Dank ihr kann ich seit meiner Jugend meine beruflichen und persönlichen Ziele verfolgen.Saxophonistin und Musiklehrerin
Reduzieren Musikerinnen ihre Arbeitszeit Ihrer Erfahrung nach öfter als ihre männlichen Kollegen?
Ja, wobei die Gründe dafür von Fall zu Fall variieren. Ich kann nur für mich sprechen: Mir ist es wichtig, meine Kinder aufwachsen zu sehen und aktiv an ihrem Leben teilzunehmen. Die Pflichten, Freuden und Sorgen, die damit einhergehen, will ich nicht an andere abgeben. Ich kenne viele Frauen, die das ähnlich empfinden. Diesen Entschluss treffen zu können ist in unserer Gesellschaft zu einem großen Privileg geworden, das sich wenige leisten können. Viele Eltern, vor allem aber alleinerziehende Mütter, haben diese Wahl nicht, weil u.a. die unbezahlte Care-Arbeit nicht gewürdigt wird. So müssen viele aus finanziellen Gründen einen Weg einschlagen, den sie eigentlich nicht gehen möchten.
Was bringt das mit sich?
Es ist jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, besonders, wenn du alleinstehend bist. Ich habe das große Glück, dass meine Mutter immer ein Fels in der Brandung ist: Dank ihr kann ich seit meiner Jugend meine beruflichen und persönlichen Ziele verfolgen. Ein finanzieller Nachteil ist: Wer jahrelang nicht in Vollzeit arbeitet, erhält später weniger Rente. Hinzu kommt, dass man für die geleistete Care-Arbeit nicht bezahlt wird. Dessen muss man sich bewusst sein.
Sind Elternschaft und Kunstberufe schwer vereinbar?
Das kann ich nicht pauschal beantworten, denn es gibt viele Berufsfelder, in denen eine gewisse Flexibilität und Belastbarkeit vorausgesetzt wird. Im Kulturbetrieb hängt es ebenfalls vom Genre und den Projekten ab. Im Film- und Theaterbereich gibt es intensive Arbeitsphasen, die ich als Musikerin und Lehrkraft beispielsweise anders erlebe. Außerdem erlaube ich es mir, nur die Projekte anzunehmen, die mich begeistern und mit meinem Familienalltag vereinbar sind.
Das heißt, Sie schlagen Angebote aus.
Natürlich – und ich habe Kontakte und Verbindungen ungenutzt gelassen. Stattdessen habe ich meine eigene Nische erschaffen, in der ich mich wohlfühle und meinen künstlerischen Bedürfnissen nachgehe. Es gibt einen Teil in mir, der sich fragt: „Was wäre gewesen, wenn …?“ Doch ich würde mich jederzeit wieder für meine Kinder entscheiden und bin stolz, dass ich einen für mich erfüllenden Weg gefunden habe, der Familie, Beruf(ung) und Selbstverwirklichung vereint.
Als junge Musikerin habe ich alle Anfragen angenommen – aus Angst, dass ich durch eine Absage in Vergessenheit gerate. Zwar sammelte ich dadurch viele Erfahrungen, doch ich habe viel und oft ohne Freude gearbeitet.Saxophonistin und Musiklehrerin
Hatten Sie nie das Gefühl, Ihrer Karriere zu schaden?
Ich tue mich schwer, den Begriff „Karriere“ zu definieren. Was bedeutet es, professionelle Künstlerin zu sein? Woran messen wir Erfolg? Ich bevorzuge, statt von Karriere von Berufung zu sprechen – noch treffender beschreibt es das japanische Konzept „Ikigai“: Dieses beschäftigt sich mit dem Sinn und Zweck des Lebens. Es vereint Leidenschaft, Begabung, Beruf und Mission zu einem harmonischen Ganzen. Diese Balance zwischen persönlicher Erfüllung und gesellschaftlichem Nutzen treibt mich an.
Empfanden Sie das immer schon so?
Als junge Musikerin habe ich alle Anfragen angenommen – aus Angst, dass ich durch eine Absage in Vergessenheit gerate. Zwar sammelte ich dadurch viele Erfahrungen, doch ich habe viel und oft ohne Freude gearbeitet. Die Disziplin stand im Vordergrund. Durch den Entschluss, mir Zeit für die Familie zu nehmen, habe ich gelernt, „nein“ zu sagen.
Oft fühlen sich die Mütter gezwungen, zu rechtfertigen, warum sie früher nach Hause müssen oder weshalb es ihnen wichtig ist, ihre Kinder zu Bett zu bringen. Im Umkehrschluss plagt sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie jeden Abend proben und nicht zu Hause sind.Saxophonistin und Musiklehrerin
Können sich freischaffende Kulturschaffende das leisten?
Ich kenne in Luxemburg wenige, die ausschließlich von ihrer Kunst leben. Die meisten haben unterschiedliche Einnahmequellen und sind deswegen nicht darauf angewiesen, jeden Job anzunehmen. Es ist bedauerlich, dass man sich ein Leben als freischaffender Bühnenkünstler nur schwer leisten kann. Gleichzeitig ist es aber auch eine Bereicherung: In unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen des Kultursektors aktiv zu sein, eröffnet einem Perspektiven, fördert die eigene Flexibilität und kommt der Begeisterung zugute.
Treffen Sie bei Frauen in der Musikszene auf mehr Verständnis für Ihre Entscheidungen als bei Männern?
Interessanterweise arbeite ich inzwischen ohnehin vorwiegend mit Frauen zusammen. Oft fühlen sich die Mütter gezwungen, zu rechtfertigen, warum sie früher nach Hause müssen oder weshalb es ihnen wichtig ist, ihre Kinder zu Bett zu bringen. Im Umkehrschluss plagt sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie jeden Abend proben und nicht zu Hause sind. Andere Mütter können diese innere Zerrissenheit gut nachvollziehen, weil sie sich selbst mit diesen Themen auseinandersetzen.
Warum haben Sie die Frauenband „D’Gëlle Fraen“ gegründet?
Die Idee für die Band geht auf die Zusammenarbeit mit Georges Urwald zurück: Damals spielten wir unser erstes 1920er-Jahre-Konzert im „Stued Theater“. Zur gleichen Zeit bin ich auf eine Broschüre vom „CID Fraen an Gender“ gestoßen: Es ging um die Saxophonistin Laure Koster, die Schwester der luxemburgischen Komponistin Lou Koster. Darin war ein Foto von Laure abgebildet, auf dem sie in den 1920er-Jahren in einem Frauenorchester in Antwerpen Saxophon spielt. Ich fand das so inspirierend! Ich wusste sofort, welche Frauen ich mit ins Boot nehme – inzwischen spielen wir seit über zehn Jahren zusammen.
Ist es Ihnen wichtig, Stücke von Komponistinnen zu spielen?
Für mich steht bei der Programmgestaltung das Thema des Konzerts im Vordergrund. Ich freue mich, wenn ich in dem Rahmen Frauen unterstützen kann, doch ich schränke mich bei meiner Auswahl nicht bewusst ein. Das will nicht heißen, dass ich das Ungleichgewicht in der Szene ignoriere: Männer dominieren viele Bereiche, auch wenn es heute mehr Komponistinnen und Dirigentinnen gibt als früher.
Was muss sich Ihrer Meinung nach im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse in der luxemburgischen Musikszene verändern?
Es wäre ein wichtiges Zeichen, wenn mehr Frauen höhere Positionen im Bildungsbereich einnehmen würden. Das ist momentan eine Männerdomäne. Frauen verfolgen oft andere Lösungsansätze, was zu einer größeren Vielfalt an Ideen und Strategien führt.
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