/ Schachern um die Macht – Sánchez will nach Sieg Minderheitsregierung in Spanien
In der Wahlnacht hatte Pablo Iglesias, Chef der linksalternativen Partei Podemos, noch von Ministersesseln geträumt. Und davon, als Juniorpartner in die sozialistische Regierung von Pedro Sánchez einzuziehen.
Von unserem Korrespondenten Ralph Schulze, Madrid
Am gestrigen Montag war Iglesias’ Traum, zum Vizepremier aufzusteigen, schon wieder geplatzt. Sánchez ließ verlauten, dass er nach seinem Wahlsieg lieber ohne Koalitionspartner regieren wolle – also wie bisher mit einem Minderheitskabinett, das von Podemos und den kleinen Regionalparteien gestützt wird.
„Die Sozialisten werden eine Alleinregierung versuchen“, erklärte die Sánchez-Vertraute und bisherige Vize-Regierungschefin Carmen Calvo. „Wir glauben, dass wir genügend Rückhalt haben, um am Ruder dieses Schiffes zu stehen.“ Ob Sánchez wirklich ausreichende Unterstützung zusammenbekommt, um das spanische Regierungsschiff zu steuern, wird sich bald zeigen. Es wird eine schwierige und lange Regierungsbildung erwartet.
Sánchez’ Sozialisten erstarkten zwar, haben aber trotzdem im neuen Parlament nur 123 von 350 Abgeordneten. Auch zusammen mit Podemos, die 42 Sitze eroberten, sind es erst 165 Mandate – die absolute Mehrheit liegt bei 176. Also wird Sánchez nichts anderes übrig bleiben, als sich in die Hände der kleinen Regionalparteien aus Katalonien oder dem Baskenland zu begeben. Und diese kündigten bereits an, dass sie dafür Zugeständnisse in Richtung mehr regionaler Autonomie wollen.
Niederlage für PP
Nach dem vorläufigen Endergebnis dieser vorgezogenen Neuwahl gewannen die Sozialisten (PSOE) mit 28,7 Prozent (2016: 22,7). Das ist nicht so viel, wie sich Sánchez gewünscht hatte. Aber genug, um seinen Anspruch auf das Regierungsamt geltend zu machen. Und immerhin ist es in Spanien das beste Ergebnis der sozialdemokratisch orientierten Sozialisten seit elf Jahren. Auch das ist ein Erfolg, den sich der 47-jährige Sánchez, der schon mehrmals politisch am Ende schien, zugutehalten kann.
„Wir haben der Welt gezeigt, dass man die fortschrittsfeindlichen Kräfte besiegen kann“, sagte Sánchez. Damit meinte er die konservative Opposition, die einen empfindlichen Dämpfer verpasst bekam: Pablo Casado, Chef der Volkspartei (PP), steht vor einem Trümmerhaufen. Seine Konservativen, bisher die stärkste Partei, stürzten auf 16,7 Prozent (33,0) – ein historischer Tiefpunkt.
Eine Niederlage, in der sich vermutlich die vielen Korruptionsaffären in der Parteispitze niederschlagen, die bis heute nicht bewältigt sind. Die aber auch als Quittung gilt für Casados Versuch, die Partei auf einen rechtskonservativen Kurs zu trimmen und moderate Parteiströmungen zum Schweigen zu bringen. Davon profitierte vor allem die bürgerlich-liberale Partei Ciudadanos (C’s) die sich auf 15,9 Prozent (13,1) verbesserte und nun den moderneren Flügel im konservativen Lager repräsentiert. Unter Spaniens Sozialisten gibt es nicht wenige Genossen, die sich insgeheim eine Koalition mit den Bürgerlich-Liberalen vorstellen könnten. Doch Ciudadanos-Chef Albert Rivera schlug diese Tür schon vor der Wahlnacht zu: „Wir werden keinen Pakt mit Sánchez eingehen“, versicherte Rivera. Er nimmt Sánchez übel, dass dieser in der vergangenen Legislaturperiode mit der Unterstützung der katalanischen Separatisten regierte.
Zuwachs bei Rechten
Während die noch recht junge Partei Ciudadanos aufblüht, geriet die linke Protestpartei Podemos ins Wanken. Die Plattform des Politrebellen Pablo Iglesias, dessen Markenzeichen sein langer Pferdeschwanz ist, kam nur noch auf 14,3 Prozent (21,1). Vermutlich die Folge des ewigen Richtungsstreits zwischen Fundamentalisten und Realisten, den die linken Hardliner um Iglesias gewannen – was wohl nicht wenige Wähler verschreckte und den Sozialisten in die Arme trieb.
Auch wenn es unter dem Strich im spanischen Parlament eine progressive Mehrheit aus Sozialisten, Podemos und linken Regionalparteien gibt, bekam das konservative Lager Zuwachs: und zwar die Rechtsaußenpartei Vox, die erstmals ins Unterhaus einzog und auf Anhieb 10,3 Prozent der Stimmen holte. Damit werden Spaniens neue Rechtspopulisten immerhin 24 Abgeordnete haben. Ein Aufstieg, der vor allem auf Kosten der Volkspartei ging, die zum großen Verlierer dieser Wahl wurde. „Das ist erst der Anfang!“, rief Vox-Chef Santiago Abascal nach seinem Wahlerfolg. Er sieht seine fremdenfeindliche und europaskeptische Partei als einzigen legitimen Hüter des spanischen Vaterlands, das er durch Separatisten, Migranten und Linke bedroht sieht. Seine Parolen erinnern an jene von US-Präsident Donald Trump. Vor allem diese: „Zusammen werden wir Spanien wieder groß machen.“
Ein Sieg, keine Stabilität und ein Rechtsruck
Ein Kommentar von unserem Korrespondenten Ralph Schulze, Madrid
Es ist ein bitterer Sieg. Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez gewann zwar die Parlamentswahl, aber holte keine ausreichende Mehrheit. Er muss sich also erneut Unterstützung suchen. Etwa bei den kleinen Parteien aus Katalonien und dem Baskenland, die sich mit ihren Forderungen nach mehr regionaler Autonomie oder sogar nach Unabhängigkeit als schwierige Partner erwiesen. Schon Stunden nach der Wahl kündigte Sánchez an, dass er keine Koalition anstrebt. Zum Beispiel mit der linken Bewegung Podemos oder der bürgerlich-liberalen Partei Ciudadanos. Sondern dass er weiterhin alleine regieren will. Also eine Minderheitsregierung, die sich wie bisher im Parlament vor jeder Entscheidung eine Mehrheit suchen muss. Dies sind keine stabilen Aussichten.
Schon einmal scheiterte Sánchez mit diesem Experiment, weil die katalanischen Separatistenparteien seinen Haushalt ablehnten – was die vorgezogene Wahl am vergangenen Sonntag zur Folge hatte. Es war die dritte Parlamentswahl in dreieinhalb Jahren. Jahre, die geprägt waren durch Minderheitsregierungen und politischen Stillstand, weil sich mangels klarer Mehrheiten nichts bewegte.
Nun soll es also mit einer neuen Wackelregierung weitergehen. Es ist unschwer, vorauszusagen, dass dies wieder eine Zitterpartie wird. Die Regierungsbildung dürfte sich Wochen hinziehen. Vor der Europawahl am 26. Mai wird es vermutlich keine neue Regierung geben. Zumal an diesem Tag noch mehr auf dem Spiel steht: In Spanien werden dann auch Kommunal- und Regionalwahlen abgehalten.
Eine weitere Nachricht aus Spanien weckt Sorgen: In dieser Wahl zog erstmals seit Ende der Franco-Diktatur wieder eine offen rechtslastige Partei ins Parlament ein. Und zwar die Bewegung Vox, die auf einer Linie liegt mit den rechtspopulistischen Parteien anderer europäischer Länder.
Der Rechtsruck verlief zwar weniger heftig als in manchen Wahlumfragen angekündigt. Doch immerhin eroberten die Ultrarechten auf Anhieb zehn Prozent der Stimmen. Das ist keine Kleinigkeit. Und ein Hinweis darauf, dass auch in Spanien das politische Klima rauer wird, nationalkonservative Gefühle wachsen und zugleich die Skepsis gegenüber der Europäischen Union zunimmt.
Letzteres wird sich schon im kommenden Europawahlkampf bemerkbar machen: Vox hat sich in den letzten Monaten nicht nur als fremdenfeindliche Partei erwiesen, sondern auch gegen die EU getrommelt, die sich angeblich zu sehr in die nationalen Belange einmische. Die zu erwartende Linie gab Vox-Chef Santiago Abascal bereits vor: „Wir sehen die aktuelle EU, vor allem wegen ihres föderalistischen Triebs, als ein Feind Europas.“
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