Unesco (Teil 2) / Schafe auf Wanderschaft: Transhumanz soll weltweit immaterielles Kulturerbe werden
Bei gleich drei Kandidaturen ist Luxemburg aktuell mit dabei, um gelebte Traditionen, Handwerk sowie Wissen aus der Natur von der „United Nations educational, scientific and cultural organization“ (Unesco) als immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen. Eine davon bezieht sich auf die saisonalen Wanderungen von Herdentieren – auch Transhumanz genannt – und wurde gemeinsam von zehn Ländern eingereicht. Myriam Zimmer-Weber von der „Schäferei Weber“ in Lieler hat intensiv an der Bewerbung gearbeitet und weiß, für was die Wanderschäferei steht.
Es tut sich aktuell so einiges in Luxemburg, zumindest was Kandidaturen des Großherzogtums bei der „United Nations educational, scientific and cultural organization“ (Unesco) angeht. Wurde der Natur- und Geopark Müllerthal am Donnerstag ganz offiziell in das Netzwerk der sogenannten „Global Geoparks“ von der Unesco aufgenommen, war bereits Anfang April bekannt geworden, dass das Großherzogtum bei drei Bewerbungen für die Anerkennung als immaterielles Kulturerbe bei der Unesco dabei ist. In die Vorbereitung eine dieser Kandidaturen hat Myriam Zimmer-Weber viel Zeit investiert: jene zur sogenannten „Transhumanz“ – also der saisonalen Wanderung von Herdentieren.
Gemeinsam mit ihrem Mann Florian Weber betreibt die 34-Jährige eine etwas außerhalb der kleinen Ortschaft Lieler gelegene Wanderschäferei. „Er ist gelernter Schäfer und der Mann mit dem Know-how. Ich bin ‚bäigeprafft’“, erzählt Myriam Zimmer-Weber lachend bei Kaffee und einem Glas Wasser in ihrem Garten an einem sonnigen Wochentag im April. Florian Weber hat den Betrieb 2012 von seinen Eltern übernommen, 2016 wurde dieser dann am neuen Standort in Lieler wiedereröffnet. „Dieser Tag war für uns ein ganz besonderer, denn europaweit gibt es eher die Tendenz, dass Wanderschäfereien schließen“, erklärt die freundliche Frau mit sanfter Stimme.
Als die einzigen Berufsschäfer des Großherzogtums vom Luxemburger Kulturministerium 2019 darauf aufmerksam gemacht werden, dass gleich mehrere Länder gemeinsam bei der Unesco eine Kandidatur für die internationale Anerkennung der Transhumanz einreichen wollen, ist für Myriam Zimmer-Weber gleich klar: die Lieler Wanderschäferei wird sich daran beteiligen. 2020 beginnt sie mit der Vorbereitung des Dossiers: „Ich war zu dem Moment schwanger und erledigte deshalb ohnehin größtenteils die Büroarbeit. Unser Beruf ist traditionsreich und wir sind stolz auf das, was wir tun. Vor allem auf politischem Niveau geht dieser allerdings unter und da wir unsere Arbeit schon schützenswert finden, stellten wir die Kandidatur.“
Tierische Rasenmäher
Dass die Mutter von drei Kindern voll und ganz in dem aufgeht, was sie tut, merkt man ihr an. „Ich mag die Interaktion der drei Spezies, die miteinander klarkommen müssen: Der Mensch, die Hunde und die Schafe. Es braucht wenig Technik, nur die eigenen Beine und schon geht es los“, erklärt die 34-Jährige. Und los ist aktuell viel. Denn nach etwa zwei Monaten im Stall geht es im April für die rund 800 Schafe wieder raus in die Natur. Das ist gut für die Tiere, denn: „Das Schaf ist ja ein Wandertier.“
Unesco-Kandidaturen: Die dreiteilige Serie
Das sogenannte „Fléitzen“, die Transhumanz und die Fähigkeiten, Praktiken sowie das Wissen von Hebammen könnten bald drauf stehen: auf der repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der „United Nations educational, scientific and cultural organization“ (Unesco). Denn gemeinsam mit anderen Ländern hat Luxemburg drei Kandidaturen bei der Unesco eingereicht, um immaterielles Kulturerbe international anerkennen zu lassen. In einer dreiteiligen Serie werden diese im April im Tageblatt vorgestellt.
Die Saison startet meist unten im Tal. „Manchmal fahren wir die Schafe hin. Aber danach wandern wir zu Fuß von einer Fläche zur nächsten – immer höher. Wir sind ja eine Wanderschäferei und kein Fahrdienst“, sagt Myriam Zimmer-Weber lachend. Mit den Tieren geht es dann über Bahnübergänge, Straßen und Wiesen zu verschiedenen Grasflächen. Eben dorthin, wo die Schafe gebraucht werden. Auf ganz natürliche Art und Weise düngen sie dann die Wiesen und mähen sozusagen das Gras. „Mäuse fühlen sich beispielsweise in hohem Gras sehr wohl. Wenn dieses kurz ist, haben die Bauern weniger Schäden“, erklärt die 34-Jährige.
Und so bearbeiten die Schafe von April bis November rund 80 Hektar von etwa 20 verschiedenen Bauern in der Umgebung. „Wenn die Damen also gemütlich auf den Feldern stehen und essen, machen sie dabei ihre Arbeit“, sagt die Schafshüterin, die in dem Zusammenhang von Naturschutz spricht. Wenn nach ein, zwei Tagen der Ort gewechselt wird, läuft einer der beiden Ehepartner vor den Schafen und der andere hinter ihnen her. Mit Rufen werden die Tiere in eine Richtung gelockt, während die Hunde die Herde zusammenhalten.
Gelassene Menschen
So wie Hündin Lyn – einer von acht Border Collies der Familie Weber – es macht, als Florian Weber gemeinsam mit seiner Ehefrau an diesem sonnigen Apriltag um die Mittagszeit die großen, schwarzen Eimer auf einem hügeligen Gelände in Lieler mit Wasser befüllen geht, damit die Schafe ihren Durst stillen können. Lyn umkreist die Herde und sorgt so dafür, dass die Tiere sich in die gewünschte Richtung fortbewegen. „Schafe haben schon Angst vor Hunden, aber sie hier kennen sie ja. Trotzdem haben die Tiere Respekt“, erklärt Florian Weber, während man aus allen Richtungen Geblöke hört.
Wer den Eheleuten bei der Arbeit zusieht, merkt schnell, dass sie sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen. „Schäfer sind ein sehr besonderer Schlag Mensch. Sie nehmen die Dinge, wie sie eben kommen. Vielleicht kommt das von der Naturverbundenheit“, hatte Myriam Zimmer-Weber zuvor noch beim Kaffee gemeint. Dass Gras, je nach Wetterlage, eben schneller oder langsamer wachse. Man mit den Schafen demnach länger oder kürzer an einem Ort bleiben würde und sich die Schafshüterinnen und -hüter dem anpassen müssen. Und so bei der Arbeit in der Natur ihre Lektion in Demut lernen würden.
Gelassenheit und Geduld kommen dem Ehepaar nun wahrscheinlich zugute, wenn sie wegen der Bewerbung zum immateriellen Kulturerbe von der Unesco auf eine Antwort warten müssen. Denn mit einer Rückmeldung ist frühestens Ende 2023 oder gar erst Ende 2024 zu rechnen. „Viele Länder haben engagiert daran gearbeitet, deshalb denke ich schon, dass es klappen wird. Aber es bleibt spannend. Gut, dass ich keine Zeit dazu habe, dauernd nur darauf zu warten“, erklärt Myriam Zimmer-Weber lachend. Sie weiß, dass die Schafe sie in den nächsten Monaten weiterhin auf Trab halten werden.
Und nicht nur die. Denn die Wanderschäferei Weber bietet auch Menschen die Möglichkeit, für einen Tag selbst zur Schafshirtin oder zum Schafshirten zu werden. Unter anderem an diesem Wochenende wird das Ehepaar gemeinsam mit seinen Tieren und Freiwilligen auf Wanderung gehen. Auf der Webseite schaeferei-weber.lu gibt es mehr Informationen dazu, allerdings sind die Termine für dieses Jahr bereits ausgebucht. Interessierte müssen sich also – ganz wie die Schafshüterinnen und Schafshüter – in Geduld üben.
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