Psychopädagoge über Lernschwierigkeiten / „Schauen Sie doch mal Spongebob mit ihrem Kind!“
Mobbing und Lernschwierigkeiten in der Schule kann man vorbeugen, sagt der Psychopädagoge Bruno Humbeeck. Dabei scheut er nicht vor etwas eigenartig klingenden Erziehungsmethoden zurück. Er empfiehlt Eltern gestresster Kinder, gemeinsam „Spongebob“ anzuschauen. Auch Videospiele wie „Fortnite“ und Call Of Duty“ gehören zu seinem pädagogischen Inventar. Das Tageblatt unterhielt sich mit dem Psychopädagogen am Rande der Konferenz, die das „Centre psycho-social et d’accompagnement scolaire“ (Cepas) am Donnerstagabend in Luxemburg-Stadt veranstaltet hatte. Das Thema lautete „Seinem Kind helfen, die Schule positiv zu erleben… Wie Eltern mit Lernschwierigkeiten umgehen sollten“.
Für den belgischen Psychopädagogen Bruno Humbeeck sind Bildschirme keine Babysitter, sondern gute Pädagogen. „Schauen Sie sich doch einfach mal die Zeichentrickserie Spongebob mit Ihrem Kind an und reden Sie danach darüber“, sagt Humbeeck im Gespräch mit dem Tageblatt. Er sagt, dass Eltern und Kinder mit dem Anschauen von „Spongebob“ einen pädagogischen Moment von großer Qualität erlebt und dabei sicherlich auch noch Spaß hätten. „Wir wollen den Eltern beibringen, nicht zu viel Schule zu Hause zu machen und aus den schulischen Kanälen rauszutreten.“
Für Humbeeck ist es wichtiger, dem Kind beizubringen, seine kognitiven Fähigkeiten beim Schauen der Zeichentrickserie „Spongebob“ einzusetzen. Denn „Spongebob“ bringt den Kindern laut Humbeeck wichtige intellektuelle Vorgehensweisen in sämtlichen Bereichen bei. Dazu zählten das Verstehen, Analysieren und Kennenlernen. Anschließend solle man mit den Kindern das Gesehene zusammenfassen und versuchen, die Serie neu zu gestalten.
Wenn sie Videospiele spielen, dann tun sie wenigstens etwas.
Das Gleiche gelte für Videospiele wie zum Beispiel „Fortnite“ oder „Call of Duty“. Eltern seien oft besorgt, wenn ihre Kinder Videospiele spielen. Dazu sagt Humbeeck: „Wenn sie Videospiele spielen, dann tun sie wenigstens etwas.“
In seinen Sitzungen als Psychopädagoge empfiehlt er auch das Videospielen, oft zur großen Überraschung der Eltern. Denn jemand, der Videospiele spiele, übe seine kognitiven Fähigkeiten. „Wenn sie Fortnite oder Call of Duty spielen und diese Art von Games nicht kennen, dann werden sie danach sagen: Viel zu kompliziert. Ich verstehe nix.“
Wichtige Kompetenzen durch Videospiele
Laut Humbeeck muss man über strategische, prozedurale und analytische Intelligenz verfügen, um „Call of Duty“ spielen zu können. Das seien die drei Kompetenzen, die am meisten in der Arbeitswelt geschätzt würden. Wenn ein „Call of Duty“-Spieler in seiner Bewerbung schreibe, er „verfügt über exzellente strategische, prozedurale und analytische Kompetenzen“, dann wäre er als potenzieller Kandidat für den Job sehr interessant. Schreibt er aber, dass er leidenschaftlicher „Call of Duty“-Spieler ist, dann wird das höchstens belächelt werden. Laut Humbeeck ist es jedoch ein und dasselbe.
Ähnliches schreibt er dem Spiel „Fortnite“ zu. Im Schnitt würden acht von zehn Kindern das Spiel spielen. Jenes Kind, das es nicht spielt oder nicht spielen darf, weil es die Eltern verboten haben, könne nicht mitreden und fühle sich ausgeschlossen.
Editpress
Bruno Humbeeck im Gespräch mit dem Tageblatt
Sollen Jugendliche allen Ernstes die ganze Zeit „Fortnite“ spielen? „Nein, natürlich nicht die ganze Zeit“, sagt Humbeeck. Ein wichtiges Stichwort lautet Autoregulation. „Jugendliche finden die Schule ziemlich doof“, sagt Humbeeck. Das sei normal. „Stimmen die Noten nicht, dann kann man mit dem Jugendlichen einen Deal aushandeln“, so der Professor, nach dem Motto: In deinen schwachen Fächern musst du mindestens 55 Prozent der maximalen Punktzahl erreichen, dann kannst du so viel Fortnite spielen, wie du es für richtig hältst. „Das nennt man Autoregulation. Das klappt in der Regel sehr gut.“
Zwei Arten von Schwierigkeiten
Man soll nicht den Kindern beibringen, die Schule zu lieben, sondern das Lernen zu mögen
Für Humbeeck gibt es zwei Arten von Schwierigkeiten in der Schule. Erstens: Dinge verstehen und einprägen. Zweitens: Sich in eine Schulgruppe integrieren. Hierzu gehöre die Belästigung beziehungsweise das Mobbing. Am Donnerstag fand in Frankreich der internationale Tag gegen Mobbing in der Schule statt. „Wenn die Eltern ihr Kind morgens vor der Schule absetzen, dann müssen sie damit rechnen, dass ein Risiko besteht, mit diesen beiden Problemen konfrontiert zu werden.“ Daraus resultiere, dass die Schule für manche Eltern Beklemmung oder Angst hervorrufen kann. Mütter, aber auch Väter – bei Letzteren vielleicht weniger offensichtlich – neigen dazu, zu weinen, nachdem sie ihr Kind das erste Mal zur Schule gebracht haben.
Humbeeck bezeichnet eine Schule nicht unbedingt als Ort konstanter Glückseligkeit, sondern eher als einen Ort, an dem Kinder Leid erfahren können. „Man soll nicht den Kindern beibringen, die Schule zu lieben, sondern das Lernen zu mögen“, sagt der Pädagoge. Deshalb sollten Schulen sich die Mittel geben, mit den Eltern zu kommunizieren, nicht um das Leid auszuradieren – es wird immer Momente geben, wo Kinder Angst haben, traurig oder wütend sein werden. Es sollte allerdings verhindert werden, dass das Leid ein Gemütszustand wird, der die Kinder dazu verleitet, sich die falschen Fragen zu stellen.
Eltern sind die Echokammer ihrer Kinder
Humbeeck erklärt das so: „Bei einem schulischen Misserfolg ist das Problem nicht der Misserfolg an sich, sondern die Fragen, die der Misserfolg beim Kind auslöst. Es fragt sich: Wieso ich? Wieso ist das Lernen so schwierig für mich? Wieso haben die anderen bestanden und ich nicht?“ Das Gleiche gelte beim Mobbing. Kindergruppen rufen Mobbing hervor. Das sei ganz normal. Auch hier sei nicht das Mobbing das Problem, sondern die Fragen, die das betroffene Kind sich dadurch stellt. „Ich nenne das ‚die seelische Verfassung‘“, so der Pädagoge. Oder noch eine Stufe weiter: Wenn der Gemütszustand sich in Gefühle verwandelt. Das Kind fühlt sich terrorisiert, verzweifelt und sein Selbstvertrauen zerbricht.
In einem solchen Zustand ist es dem Kind laut Humbeeck nicht mehr möglich, zu lernen. Und das wiederum versetze die Eltern in einen Angstzustand. Eltern seien die Echokammer ihrer Kinder. „Hat das Kind Angst, sind die Eltern terrorisiert.“ Manchmal werde dieser Mechanismus weiter gesteigert. Humbeecks Lösungsvorschlag lautet Ko-Erziehung. Eltern und Lehrpersonal sollen sich zusammentun und kommunizieren. „Auf diesem Weg können zwar nicht die negativen Emotionen verbannt werden, doch es verhindert, dass das Kind sich die falschen Fragen stellt und sich in negativen Gefühlen festfährt, die das Lernen unmöglich machen.“
Ko-Erziehung ist kein Ko-Unterricht
Ko-Erziehung soll man laut Humbeeck nicht verwechseln mit Ko-Unterricht. Letzteres wäre ein Tabu. Denn Eltern hätten sich nicht in den Unterricht einzumischen. Sie sollten folglich nicht in die Falle tappen und dem Lehrer sagen, wie er zu unterrichten habe. Das könne Spannungen erzeugen. Der Unterricht sei die Sache des Lehrers. Das Gleiche gelte für die Erziehung. Diese obliege der Familie und nicht der Schule. Der Lehrer dürfe den Eltern nicht sagen, wie sie das Kind erziehen sollen. Das würde negative Reaktionen bei den Eltern hervorrufen. Die Zusammenarbeit solle lediglich in Bezug auf die Entwicklung des Kindes stattfinden.
Wie sollte die Schule die Eltern beruhigen? Indem sie über präzise Maßnahmen zur Prävention von Misshandlung oder Mobbing verfügt. „Eltern haben eigentlich in der Schule nichts zu suchen, aber ich kann es den Eltern nicht verübeln, vorbeizuschauen, wenn sie davon überzeugt sind, dass ihr Kind dort leidet“, so Humbeeck. Deshalb seien diese präventiven Maßnahmen wichtig, um den Eltern zu garantieren, dass es kein Leiden gibt und dass man negative Gefühle meistern kann. Aus diesem Grund arbeiten seit geraumer Zeit alle Teilnehmer aus den sozialen Bereichen an diesen Maßnahmen.
Wenn Schulen nicht über solche Präventivmittel verfügen, sei das laut Humbeeck „pädagogischer Autismus“. Es gebe die Maßnahmen, man müsse sie nur anwenden. Auch deshalb habe man diese Konferenz organisiert. Ziel ist es, dass sich alle sozialen Teilnehmer nun zusammensetzen, um diese konkreten Werkzeuge in allen luxemburgischen Schulen einzuführen.
Bruno Humbeeck – Zur Person
Bruno Humbeeck ist Psychopädagoge und besitzt einen Doktortitel in Erziehungswissenschaften. Er hat einen Lehrstuhl an der Universität von Mons (B) und ist Verantwortlicher für das „Centre de ressource éducative pour l’action sociale“ (Creas). Humbeeck arbeitet an Recherche-Projekten über das Verhältnis zwischen Schule, Familie und Gesellschaft und gilt als Experte für psychische Widerstandskraft. Der belgische Psychopädagoge ist zudem Autor zahlreicher Bücher zu Themen wie Selbstvertrauen, Misshandlung, Drogensucht oder die Betreuung von Menschen, die sich in einer psychosozialen Zäsur befinden. Der Vortrag lehnte sich thematisch an das im August 2018 erschienene Buch „Aider son enfant à bien vivre l’école“ mit dem Untertitel „Phobie scolaire, harcèlement, difficultés d’apprentissage: comment réagir?“ an.
- Was Jugendliche im Internet treiben: Bericht zeigt Nutzungsverhalten auf digitalen Geräten - 8. Februar 2023.
- Kritik am FDC: Die „schmutzigen“ Investments des „Pensiounsfong“ - 7. Februar 2023.
- Ein Plan für mehr Naturschutz in Luxemburg - 3. Februar 2023.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos