Der Vampir im Film / Schauer und Romantik
Vampirfiktionen haben in der westlichen Kulturgeschichte eine lange Tradition. Mit Robert Eggers neuem Film „Nosferatu“ kommt Ende des Jahres eine Neuinterpretation des wohl berühmtesten Blutsaugers der Kulturgeschichte wieder in die Kinos. Die filmische Darstellung des Vampirs als Ausdruck einer übernatürlichen Schreckensgestalt ist dabei fast so alt wie der Film selbst. Ein Rückblick.
Der Mythos des Vampirs hat die Künste seit jeher beschäftigt. Zunächst findet sich das Motiv in der deutschen Lyrik des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus: 1821 erschien E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Vampirismus“ – 76 Jahre bevor diese emblematische Figur, die auf den dunklen, mitteleuropäischen Aberglauben zurückgeht, ihren ersten Höhepunkt in Bram Stokers Kultroman „Dracula“ aus dem Jahr 1897 findet und damit zu einer Zeit der frühen Tage des Kinos, einem Medium, das in der Folge nie aufgehört hat, diese transgressive und faszinierende Figur zu erforschen, von „Nosferatu“ von F. W. Murnau (1922), Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“ (2013) oder noch den Kultfilmen von Francis Ford Coppola, Werner Herzog und der Teenager-Serie „Twilight“ bis zum neuen Film von Robert Eggers „Nosferatu“, der Ende 2024 in den Kinos starten soll.
Wie der Horror ins Kino kam
„Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ von Friedrich Wilhelm Murnau von 1922 stellt wohl das berühmteste Beispiel dieser frühen filmischen Aneignungsprozesse dar. Auf diesen Stummfilmklassiker scheint die Neuverfilmung von Robert Eggers sich im Besonderen zu beziehen. Murnau, der wegen Urheberrechtsstreitigkeiten mit der Witwe Stokers einige Details aus „Dracula“ abändern musste, behielt aber den Plot und die Figurenkonstellationen im Wesentlichen bei: Thomas Hutter, der Sekretär eines Maklers in Wisborg, reist nach Transsylvanien, um mit dem Grafen Orlok einen Hauskauf auszuhandeln. Der Schlossherr erweist sich als ‚Vampyr‘, der den Tod nach Wisborg bringt. Es erfordert die aufopfernde Hingabe der jungen Ehefrau Hutters, um das Unheil zu bannen.
Gemeinhin wird „Nosferatu“ der Stilbewegung des Deutschen Expressionismus zugerechnet, damit sind im engeren Sinn ziemlich genau fünf Jahre des Deutschen Films der Weimarer Republik gemeint, von 1920-1925 – wobei „Nosferatu“ in Form und Inhalt viel konventioneller angelegt ist, als etwa „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920) von Robert Wiene. Man kann zumindest davon ausgehen, dass der Horror mit dem Deutschen Film-Expressionismus seinen Weg ins Kino fand, noch bevor er sich in den Dreißigern als eigenständige Genrebezeichnung im klassischen Hollywood etablierte. Dies geschah mit „Dracula“ (1931) von Tod Browning, mit Bela Lugosi in der titelgebenden Rolle des untoten Grafen – es sollte die genrebildende Vorlage sein, auf die sich weitere klassische Horrorfilme Hollywoods beziehen.
Unter dem Begriff des „Hammer-Horror“ ist ein Filmensemble des britischen Filmproduktionsstudios Hammer gemeint, das sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren besonders auf das Genre spezialisierte. Hier war es Christopher Lee, der mit der achtfachen Aneignung der Figur des Grafen Dracula weltweite Popularität gewann. Einen wirkungsmächtigen Versuch, an das filmische Erbe der Zwanzigerjahre anzuknüpfen, unternahm 1979 der deutsche Filmemacher Werner Herzog mit „Nosferatu – Phantom der Nacht“. Der berüchtigte Schauspieler Klaus Kinski verkörperte darin die Titelfigur. Der luxemburgisch-koproduzierte Film „Shadow of the Vampire“ aus dem Jahre 2000 ist eine Hommage an Friedrich Wilhelm Murnaus Meisterwerk. Der Film schildert mit John Malkovich als Murnau und Willem Dafoe als Carl Schreck und an luxemburgischen Originalschauplätzen gedreht, etwa der Burg von Vianden, eine fiktive Entstehungsgeschichte des Filmklassikers von 1920 – die Scherereien des damaligen Kunst- und Kulturverständnisses aufgreifend.
„Bram Stoker’s Dracula“ (1992)
In den Neunzigerjahren eignete sich Francis Ford Coppola den Stoff an: „Bram Stoker’s Dracula“ (1992) – allein der Filmtitel signalisiert die überaus werkgetreue Haltung, mit der sich Coppola dem Ursprungstext näherte. Darin schlüpfte der Brite Gary Oldman in die Rolle des berühmt-berüchtigten Grafen Dracula, der in der Verlobten des Landvermessers Harker (Keanu Reeves), Mina (Winona Ryder), seine wiederauferstandene Geliebte zu erkennen glaubt. Überwältigend in der Bildgestaltung, farbenprächtig und opulent in der Ausstattung, vorrangig in den Arbeiten der japanischen Kostümbildnerin Eiko Ishioka, zielt alles in diesem Film auf betörende Stilisierung. Wenn der Manierismus in nur einem Film der Neunzigerjahre zur Formvollendung fand, dann in diesem. Coppolas Werk ist ein Bildersturm aus Grauen, Romanze, Lust – dazu die schauerhafte Musik des polnischen Komponisten Wojciech Kilar. So überaus virtuos in Form und Inhalt wurde die Sage um den Grafen Dracula bisher noch nicht verfilmt. Man kann diesen Film einer spezifischen Form des Neoklassizismus zurechnen: als ein letztes Aufkommen des großen Genrefilms, des schaurigen Horrors, das den Schwanengesang birgt. Coppolas Vampirfilm ist für den Horror das, was „Dances With Wolves“ (1990) für den Western, „Titanic“ (1997) für den Liebesfilm, „Casino“ (1995) für den Mafiafilm und selbstredend „Heat“ (1995) für den Gangsterfilm in den Neunzigerjahren war.
Rückkehr zum Ursprünglichen
Modernere Anverwandlungen der Schreckensgestalt deuteten den Blutsauger in eine romantische Sehnsuchtsfigur um, die sich vor allem an ein junges, weibliches Publikum richtete. Mit der Adaption der ungemein erfolgreichen Jugendroman-Reihe „Twilight“ (2008-2012) der Schriftstellerin Stephanie Meyer, war der Trend gesetzt, in der der Schauspieler Robert Pattinson den Vampir als eine unscheinbare, melancholische Außenseiterfigur anlegte. Mit den „Vampire Diaries“ war etwa eine direkte Kopie dieser Neuausrichtung, diesmal im Serienformat, erschienen. Auch der Indie-Kultregisseur Jim Jarmush griff diese romantische Ausrichtung der Vampir-Figur in seinem 2013 erschienenen Film „Only Lovers Left Alive“ auf: Eine Vampirin (Tilda Swinton) versucht ihrem bedrückten Partner (Tom Hiddelston) wieder neue Lebenslust einzuverleiben. Das ewig junge Liebespaar erhält sich nicht so sehr durch Blut, sondern vielmehr durch Kunst und Kultur. Über die Äußerlichkeiten des Vampirfilms hinweg gestaltet Jarmush ein Programm aus wechselnder Melancholie und Lakonik, Stasis und Bewegung, die Gegensätze und Anziehungskräfte des Liebespaares auf eine für Jarmush typische entrückte Weise als höchste Form des Lebens bejahend.
Neuerliche Versuche der Aneignung, etwa Tim Burtons „Dark Shadows“ (2012) mit Johnny Depp als untotem, anachronistischem Blutsauger, legten die Figur viel humoristischer an. Die Geschichte um den jungen Barnabas, der von einer Hexe verflucht wird, keine ewige Ruhe zu finden, sieht sich da plötzlich mit der Lebenswirklichkeit der Siebzigerjahre konfrontiert. Der Film war einmal mehr Burtons stilverliebte Hommage an den Deutschen Expressionismus, der den Vampir als Familienmenschen ins Liebenswerte oszillieren ließ. „The Last Voyage of the Demeter“ (2023) bemühte sich wieder mehr um das Schauerhafte des Stoffes, der Ernst in der Betrachtung der übernatürlichen Phänomene prägte diesen schwerfälligen und erst gegen Ende wahrlich düsteren Film von André Øvredal. Es mag diese unentschlossen pendelnde Haltung des Films zwischen grauenerregender Düsternis und latenter Gesellschaftssatire sein, die den Film an den Kinokassen scheitern ließ; er konnte gerade mal die Hälfte seines Produktionsbudgets wieder einspielen.
Umso mehr ist der Blick nun auf Robert Eggers gerichtet, der Regisseur von „The Witch“ (2015), „The Lighthouse“ (2019) oder noch „The Northman“ (2022), der vielen als ‚Wunderkind‘ des gegenwärtigen amerikanischen Genrefilms gilt. Gerade „The Northman“ vermochte es eindrücklich, eine archaische Untergangsstimmung heraufzubeschwören. Seine Zuwendung zum Deutschen Expressionismus dürfte nicht weiter verwundern. Eggers arbeitete zunächst als Produktionsdesigner – kaum eine filmhistorische Strömung konstituierte sich so sehr aus dem Produktionsdesign heraus wie der Deutsche Expressionismus. Dieser Umstand fördert einmal mehr den Eindruck des großen, cinephilen Künstlers, der dieser weitreichenden ästhetischen Filmströmung vergangener Zeiten frönt – ein einheitlicher, nahezu unsterblicher Epochenstil, der sich dann in Tendenzen des Französischen Realismus und des amerikanischen Film Noir niederschlug und bis heute in diversen Ausprägungen weiterlebt. Seine Vampirfiktion soll vor allem eine Rückkehr zum Ursprünglichen signalisieren.
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