colonia.lu / Schmelztiegel im brasilianischen Regenwald: Dominique Santana sucht Quellen zur Luxemburger Migrationsbewegung
Die Luxemburger Doktorandin Dominique Santana arbeitet an einer Abschlussarbeit der etwas anderen Art. Die Historikerin und Filmemacherin folgte dem Ruf, ihre brasilianischen Wurzeln erforschen zu wollen – und ist inmitten des brasilianischen Regenwaldes auf ein Stück Luxemburger Geschichte gestoßen. Nun sucht sie nach Quellen, die ihr helfen, diese Geschichte in transmedialer Form zu erzählen.
Eigentlich wollte Dominique Santana nach Brasilien, um ihre brasilianischen Wurzeln besser kennenzulernen. In Brasilien stößt die Luxemburger Historikerin aus Düdelingen über Umwege auf ein Stück Luxemburger Industrie- und Migrationsgeschichte, das sie zum Thema ihrer Doktorarbeit an der Universität Luxemburg macht. Auf der Internetseite colonia.lu sucht sie jetzt nach Quellen- und Archivmaterial, um am Ende eine Abschlussarbeit der etwas anderen Art präsentieren zu können: ein interaktiver Film über die Geschichte einer Luxemburger Arbeiterkolonie inmitten des brasilianischen Regenwaldes.
„Ich bin aus dem ,Minett‘, habe aber brasilianische Vorfahren. Ich wollte meine eigenen Wurzeln erkunden, weswegen ich mich entschieden hatte, eine längere Zeit in Brasilien zu verbringen“, erzählt Dominique Santana den Werdegang ihres Projektes. Vor Ort hat mir dann die Luxemburger Honorarkonsulin erzählt, dass sie in João Monlevade, dem Ort, in dem ihr Vater, ein Ingenieur aus Esch, im Auftrag der Arbed ausgewandert war. „Ich, ein Mädchen aus dem ,Minett‘ mit brasilianischen Wurzeln, das Geschichte studiert hat, musste nach Brasilien fahren, um auf diesen Teil der Luxemburger Geschichte aufmerksam zu werden“, wundert sich Dominique Santana noch heute, wie sie auf das Thema ihrer Abschlussarbeit gestoßen ist.
Brasilianischer Arbed-Ableger
Die Doktorarbeit dreht sich um die Luxemburger Migrationsbewegung, die rund um die Arbed-Tochtergesellschaft „Companhia Siderúrgica Belgo Mineira“ entstanden ist. Ein Name, der noch heute für Verwirrung sorgt. „Durch den Zusatz ,Belgo‘ vermuten viele Brasilianer eine Verbindung zu Belgien. Der erste Direktor der Belgo Mineira war ein Belgier, in den Führungspositionen folgten dann jedoch ausschließlich Luxemburger“, führt Santana aus. Die Geschichte der Firma ist bereits erforscht und bekannt, Dominique Santana will das Augenmerk auf die peripher entstandene Kolonie richten.
Die „Companhia Siderúrgica Belgo Mineira“ ließ sich in der brasilianischen Provinz Minas Gerais in der Ortschaft João Monlevade nieder – wo es jedoch an qualifiziertem Personal mangelte. In der Folge emigrierten Hunderte Luxemburger nach Brasilien. „Das war eine Arbeitsmigration, die man heute wohl eher als „expat community“ beschreiben würde. Die Arbeiter haben hier in Luxemburg einen Vertrag unterschrieben und sind dann nach Brasilien ausgewandert“, erläutert die Historikerin die Ursprünge der Kolonie. „Die Arbeiter haben dann entweder in Brasilien eine Familie gegründet oder sind mit ihrer Familie dorthin.“ Die Geschichte der Firma ist auch in Brasilien bekannt, die dadurch entstandene Verbindung zwischen Luxemburg und Brasilien eher weniger. „Den Aspekt will ich noch deutlicher herausarbeiten.“
Das Luxemburger Erbe ist bis heute in Monlevade an allen Ecken und Enden erkennbar. „Auf dem Firmengebäude, das größer ist als alles, was wir hier von Belval kennen, prangt riesengroß das Logo von ArcelorMittal“, erinnert sich Santana an ihre ersten Eindrücke zurück. Straßennamen und Schulgebäude sind noch heute nach Luxemburger Persönlichkeiten benannt. „Das Fußballstadion ist auch heute noch nach Louis Ensch, einem Luxemburger Ingenieur, der fast seine Karriere als Generaldirektor der Belgo Mineiro verbracht hat, benannt. Eine tropische Originalkopie des ,Minett‘ möchte man meinen“, sagt Santana.
Es ist eher ungewöhnlich, sich mit einer Historikerin auf ein Gespräch in einem Produktionsstudio zu treffen. Auf den Umstand angesprochen lacht Dominique Santana und erklärt, dass sie noch immer ihre eigenen Ideen hatte, die sie durchsetzen wollte. „Das ist bei diesem Projekt nicht anders“, sagt sie. Tatsächlich ist es eher ungewöhnlich, dass eine historische Abschlussarbeit in interaktiver digitaler Form erscheint. „Ich habe Glück, dass ich das Projekt am C²DH der Universität Luxemburg entwickeln kann. Das Center for Contemporary and Digital History ist einer der Vorreiter weltweit, was Digital Public History anbelangt“, erklärt Dominique Santana. Ganz ohne theoretischen Unterbau geht es jedoch nicht. „Ich muss schon noch etwas Schriftliches abgeben. Das steht jedoch nicht im Zentrum meiner Abschlussarbeit.“ Ob sie das vom „Fonds national de la recherche“ unterstützte Projekt an einer anderen Universität hätte realisieren können? „Schwierig, aber ich glaube eher nicht. Viele historische Forschungsinstitute wagen sich noch nicht so weit aus ihrem akademischen Elfenbeinturm heraus.“
Für ihre Recherche ist Dominique Santana mit einer Filmcrew nach Brasilien geflogen – eine komplizierte Angelegenheit in Zeiten von Corona. „Wir mussten lange abwägen, ob wir da jetzt hinfliegen wollen oder nicht und haben uns letztendlich dafür entschieden. Wir haben also zwei Wochen in einer Bubble gelebt und uns in den zwei Wochen an die Vorschriften vor Ort gehalten“, erzählt die Luxemburger Historikerin von ihrer Forschungsreise nach Brasilien. Zeit, sich auszuruhen, blieb vor Ort aber keine. „In 14 Tagen haben wir insgesamt acht Städte besucht. Das war schon ein durchgeplantes und straffes Programm.“ Mit dabei waren auch Mitarbeiter des „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA), die nun dabei helfen, das neu entdeckte Quellenmaterial zu sichern.
Das für historische Verhältnisse außergewöhnliche Projekt wird auch für „Esch2022“ eine Rolle spielen. Für das Kulturjahr sollen zwei Kioske, einer in Esch-Belval und einer in Brasilien, errichtet werden, in denen Luxemburger und Brasilianer das gegenseitige Erbe erkunden und erleben können. Die Kioske werden [L]aço getauft, ein Wortspiel aus laço, das Verbindung bedeutet, und aço: Stahl. „Derzeit ist auch geplant, dass im [L]aço in Belval bestimmte brasilianische Spezialitäten angeboten werden sollen. Außerdem soll den Menschen auch da die Möglichkeit geboten werden, ihre Geschichte zu teilen“, blickt Dominique Santana bereits voraus. Ob in dem [L]aço in Brasilien auch eine „Bouneschlupp“ angeboten wird? „War ja klar, dass die Frage kommt“, lacht Santana, „aber zurzeit befinden wir uns noch im Austausch mit den brasilianischen Gemeindeverantwortlichen.“
A Colônia Luxemburguesa
A Colônia Luxemburguesa gilt als innovatives Transmedia-Projekt, da es neue Synergien zwischen wissenschaftlicher Forschung und der kreativen Film- und New-Media-Welt schafft. Es handelt sich um die erste Zusammenarbeit zwischen dem C²DH, Samsa Film und dem CNA.
Kennen Sie Personen oder haben sogar Verwandte, die eine Verbindung zur Colônia Luxemburguesa haben? Dann können Sie Ihre Geschichte, Postkarten, Fotos, Videos oder sonstige Dokumente auf www.colonia.lu teilen oder sich per E-Mail an info@colonia.lu wenden.
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Wënschen dem Dominique e vollen Succès fir sein Asaatz an seng énorme Aarbecht déi hatt an dëssen Projet Investéiert , Bravo !!
Wenschen dem Dominique ganz vill Succes fir seng super Arbecht 👍
Bravo & Viel Glück 🍀 Dominique