Luxemburg-Stadt / „Schockiert mich immer noch“: Wie sich ein Verein gegen das Bettelverbot einsetzt
Seit genau sechs Monaten gilt in Luxemburg-Stadt das sogenannte Bettelverbot. Eine Regelung, die bis heute unter anderem von Menschen aus der Zivilgesellschaft stark kritisiert wird. Um dagegen vorzugehen, haben einige von ihnen „Solidaritéit mat den Heescherten“ gegründet. Und dabei laut Präsident Guy Foetz und Mitglied Marc Faramelli festgestellt, wo es in Luxemburg wirklich hakt.
Tageblatt: Guy Foetz, Sie waren am 15. Januar in Luxemburg-Stadt, als die Polizei dort einen Monat nach Inkrafttreten des Bettelverbots mit den verstärkten Kontrollen begann. Wie haben Sie die Situation und die letzten Monate erlebt?
Guy Foetz: Mit einem anderen Mitglied habe ich mich an dem Tag am Hamilius getroffen, weil wir uns die Situation in Luxemburg-Stadt ansehen wollten. Wir wussten ja nicht genau, was passieren wird. Schnell kam die Idee auf, eine Vereinigung zu gründen. Abends habe ich dann bei einigen Leuten angerufen und während mehrerer Versammlungen hat sich unser Kreis erweitert – auf aktuell etwa 20 Personen. Darunter auch Anwälte, die bereit sind, Menschen auf der Straße juristisch zu unterstützen. Es haben sich viele solidarisiert, die Innenminister Léon Gloden (CSV) oder Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) nicht als positive Menschen wahrnehmen.
Sie, Marc Faramelli, haben sich mit einer Unterschriftenaktion dafür eingesetzt, dass das Betteln jederzeit und überall erlaubt bleibt.
Marc Faramelli: Genau. In einem Artikel im Tageblatt las ich die Aussagen von Anwalt Frank Wies und die Situation widerte mich an. Spontan reichte ich die Petition ein. Die Regelung setzt Menschen in die Köpfe, dass Betteln eine Straftat ist und entsprechend behandeln sie Betroffene auch. Sie werden als Kriminelle angesehen – und das schockiert mich immer noch. Die Polizei ging bei den Kontrollen allerdings eher moderat vor. Da aber das Betteln kriminalisiert ist, hätte sie auch ganz anders verfahren können …
Von der Entscheidung im Innenministerium, der neuen Regelung zuzustimmen, bis zu deren Inkrafttreten und später dem verstärkten Polizeieinsatz verging rund ein Monat. Was brachte das mit sich?
M.F.: Zu Beginn gab es viele Unklarheiten bei der praktischen Umsetzung. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, dass das Verbot auch innerhalb der Polizei kritisiert wurde. Wenn etwas in der Form nicht geklärt ist, muss es meiner Meinung nach in einem Rechtsstaat außer Kraft gesetzt werden – bis eben nachgebessert wird. Wenn ich Léon Gloden während seines Redebeitrags in der Chamber richtig verstanden habe, stand er beim Treffen dieser Entscheidung unter Zeitdruck. Manche finden, dass es dabei um nicht viel geht. Für Betroffene allerdings ist es eine existenzielle Angelegenheit. Und sie können sich nicht wehren.
„Solidaritéit mat den Heescherten“ will das für Betroffene tun. Was genau ist das Ziel der Vereinigung?
G.F.: Wir wollen Armut und Ungleichheiten thematisieren. Dazu haben wir uns mit den großen Organisationen in diesem Bereich getroffen und dabei wesentliche Defizite festgestellt: Es gibt einen großen Mangel an Strukturen, was die Hauptbedürfnisse wie die Basishygiene, Essen oder auch medizinische Hilfe angeht. Wenn jemand eine Infektion an den Zähnen hat und diese nicht behandelt werden kann, breitet diese sich aus und zieht größere Probleme nach sich. Bei Krankheiten gibt es keine Nachsorge. Viele sind nicht krankenversichert und leben schon seit Jahren auf der Straße. Im Alter wird das umso mehr zum Problem.
Woran hapert es außerdem?
G.F.: Es herrscht ein großer Mangel, was die Befriedigung der Grundbedürfnisse angeht. Auf Unterbringungseinrichtungen bin ich dabei noch gar nicht eingegangen. Viele wollen nicht in die Winteraktion (WAK), weil sie nicht mit so vielen Menschen in großen Schlafsälen schlafen wollen. Sie wollen keine Betrunkenen um sich herum oder fürchten Angriffe. Eine solch große Unterkunft ist nicht zeitgemäß. Allgemein reichen zum Beispiel auch die Kleiderstuben nicht aus und es gibt nicht genügend Waschmaschinen.
M.F.: Wenn man die eigene Kleidung oder sich selbst nicht waschen kann, zieht man sich zurück. Einem selbst ist die eigene Verwahrlosung peinlich und anderen Leuten der Geruch unangenehm oder aber sie machen sich darüber lustig. Umso wichtiger ist deshalb die Arbeit von „Stëmm vun der Strooss“ (Anm. d. Red.: Dort können benachteiligte Menschen unter anderem kostenlos duschen, Kleider waschen oder neue abholen). Ich bewundere die „Stëmm“ für ihre Arbeit. Aber die reicht nicht aus. Deren Präsidentin Alexandra Oxacelay ist wirklich eine Leitfigur. Wenn sie einmal in Rente geht, wird sie nur schwer zu ersetzen sein.
Manche wollen vielleicht helfen, wissen aber nicht, wie. Was ist Betroffenen wirklich eine Unterstützung?
G.F.: Freiwilligenarbeit ist wichtig. Aber die wird das Problem nicht lösen. Wir verlangen von der Politik, dass öffentliche Gelder investiert werden. Es müssen Strukturen aufgebaut werden, in denen die Grundbedürfnisse im Bereich Arbeit, Wohnen und soziales Leben befriedigt werden. Denn wenn das eine fehlt, fällt das andere oft weg. Die Leute werden ausgegrenzt und haben keine Möglichkeit, sich auszudrücken. Viele glauben ja auch, dass ein Bettler immer griesgrämig sein muss und kein Glas trinken darf. Während wir von Bars zu Restaurants ziehen, darf ein Bedürftiger keine soziale Freude haben. Eine wichtige Forderung ist noch, dass die Bedingung wegfallen muss, dass man für den Erhalt des „Revenu d’inclusion sociale“ (Revis) eine offizielle Adresse braucht. Manche bezahlen 20 oder 30 Euro, damit ihr Name auf einem Briefkasten steht.
Zu den Personen
Guy Foetz ist Präsident der Vereinigung „Solidaritéit mat den Heescherten“ und politisch bei „déi Lénk“ aktiv. Der pensionierte Gymnasiallehrer (Wirtschaft) war von 2014 bis 2017 und von 2019 bis 2023 Mitglied im städtischen Gemeinderat. In den Sitzungen am „Knuedler“ hat er mehrere Diskussionen über das Betteln miterlebt, einige davon vor fast zehn Jahren. Marc Faramelli hat sich in der hitzigen Debatte mit einer Petition dafür eingesetzt, dass das Betteln zu jeder Zeit und überall erlaubt bleiben soll. Da binnen einer Woche rund 5.500 Menschen unterschrieben und somit das Quorum von 4.500 erfüllt war, wurde Anfang Mai in der Chamber über das Bettelverbot diskutiert. Inzwischen ist der Finanzberater als Mitglied bei „Solidaritéit mat den Heescherten“ dabei.
Diese und andere Forderungen hat „Solidaritéit mat den Heescherten“ auch der Presse mitgeteilt. Worauf basiert sich der Verein bei seinen Feststellungen?
M.F.: Wir waren mit den größten Organisationen in Kontakt – so sieht die Situation aus. Darüber geredet wird nicht. Denn die Organisationen wollen nicht politisch sein. Da sie auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, sagen sie nicht, was nicht gut ist. Zumindest werden solche Diskussionen nicht öffentlich geführt. Es werden dann eher einzelne Politiker angesprochen und auf Probleme hingewiesen.
G.F.: Die „Ville de Luxembourg“ (VdL) handelt selbst ja kaum. Sie gibt Zuschüsse und geht Partnerschaften ein. Das reicht aber nicht. Die Gemeinde hat viel Geld und viele Reserven, macht damit allerdings nur wenig für die Leute, die kaum etwas haben. Sie hat auch Möglichkeiten: Die VdL besitzt Grundstücke und könnte darauf bauen. Zum Beispiel auch, um mehr Mietunterkünfte zu schaffen.
Seit sechs Monaten gilt das Verbot in Luxemburg-Stadt nun. Was hat sich in Ihren Augen verändert?
M.F.: Die Armut ist durch das Bettelverbot nicht verschwunden. Es gibt eine Verlagerung, zum Beispiel auf Kreuzungen. Es wird dann an roten Ampeln gebettelt und das ist gefährlich. Man darf nicht vergessen, dass jeder in eine solche Lage kommen kann. Und wenn man dann erst in der Armut drin ist, ist es schwer, wieder herauszufinden – sogar mit einem starken Willen. Vor allem wenn man keinen gewissen Background hat. Wir wollen doch in einer Gesellschaft leben, in der es Solidarität gibt. Stattdessen wird Angst geschürt und eine falsche Sicherheit vermittelt. Damit ist niemandem geholfen.
G.F.: Hat sich fundamental etwas an der Situation geändert? Nein. Denn man löst Armut nicht, indem man diese unter Strafe stellt. Man muss sagen, dass wir den Leuten auf der Straße nicht ein Gefühl von Sicherheit geben können – dafür haben wir nicht die nötige Ausbildung und auch nicht die finanziellen Mittel. Uns wurde da auch ans Herz gelegt, keine falschen Hoffnungen zu schüren. Aber wir wollen weiter die Leute sensibilisieren und der Öffentlichkeit die Probleme ins Bewusstsein rufen. Um uns so gegen die Kriminalisierung des Bettelns einzusetzen. Artikel 42 aus der städtischen Polizeiverordnung muss außer Kraft gesetzt werden!
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