Esch / Schöffe Meris Sehovic sagt dem Durchgangsverkehr den Kampf an
Am Sonntag ist mit dem Tag der sanften Mobilität der Höhepunkt der Mobilitätswoche in Esch. Die Verkehrssituation in Luxemburgs zweitgrößter Stadt ist weiter angespannt. Warum das so ist und welche Lösungen es geben könnte, das fragte das Tageblatt den zuständigen Schöffen Meris Sehovic („déi gréng“).
Tageblatt: Meris Sehovic, Sie sind seit gut einem Jahr Mobilitätsschöffe. Was ist in den letzten zwölf Monaten in Esch in Sachen Mobilität alles geschehen?
Meris Sehovic: Es war mir zunächst wichtig, eine Bestandsaufnahme zu machen. Esch ist eine Stadt, die sich entwickelt und die Verkehrsinfrastruktur muss mit dieser Entwicklung Schritt halten. Die erste Priorität ist, den Durchgangsverkehr besser um die Stadt zu leiten und aus den Wohnvierteln herauszuhalten. Da gab es auch in der Vergangenheit Initiativen, doch der Verkehr nimmt immer weiter zu. Deshalb wollen wir in den Stadtein- und -ausfahrten eventuelle Maßnahmen ergreifen, die restriktiver sind. Mit dem Ziel, sicherzustellen, dass dieser Verkehr die vorgesehenen Umfahrungen z.B. über die Liaison Micheville nimmt.
Die Rede war in diesem Zusammenhang von einem Poller auf dem Boulevard Kennedy. Wie ist hier der Stand?
Wir machen gerade eine Studie, um den Einsatz von Pollern auf einer ganzen Reihe von strategischen Stellen zu prüfen.
Wo könnte das noch sein?
Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, weil wir die Resultate der Studie noch abwarten. Wir haben jede Stadteinfahrt geprüft, aber auch die Ausfahrten wie z.B. den Kreisverkehr Richtung Audun-le-Tiche. Was wichtig ist: Wenn man eine Maßnahme trifft, dann hat das Auswirkungen auf eine ganze Reihe anderer Straßen. Wir müssen diese Entscheidungen „en parfaite connaissance de cause“ treffen, um nicht überrascht zu werden. Ich gehe davon aus, dass wir in ein paar Monaten mehr sagen können. Und dann müssen wir in eine Form von „consultation publique“ gehen, weil es weitreichende Maßnahmen sind.
U.a. der Geschäftsverband hat seine Bedenken angemeldet. Man hat Angst, dass potenzielle Kunden nicht mehr so einfach ins Zentrum kommen.
Da geht es in erster Linie um die Querstraßen zur Alzettestraße. Im „Plan local de la mobilité“ (PLM) waren dort Poller vorgesehen. Der Verkehr, der da ankommt, hat schon einen weiten Weg durch Esch gemacht. D.h., dass das momentan nicht vorrangig ist. Mich interessiert, wo der Verkehr in Esch hineinkommt und wo er hinausgeht. Und wo man dort Maßnahmen ergreifen kann, damit der unnötige Verkehr den Weg erst gar nicht mehr macht, weil er vielleicht länger wird oder nicht mehr möglich ist. Das hat Priorität.
Hauptziel des PLM ist, dem Fußgänger und dem Fahrrad mehr Platz zuzugestehen. Was ist in dieser Hinsicht in den letzten zwölf Monaten geschehen?
Ich habe die letzten zwölf Monate für die Bestandsaufnahme genutzt und geschaut, wie das Verkehrsnetz historisch gewachsen ist. Man kann mit relativ kleinen Maßnahmen eine wesentliche Verbesserung der Radinfrastruktur erreichen. Zum Beispiel kleine Poller setzen, um zu verhindern, dass Autos und Lieferwagen den Radweg blockieren. Das haben wir im Gruef, am Pierre Dupong, im Neudorf, in der rue de Belval und im Stadtkern gemacht. Und wir haben die Straßenmarkierung, die zum Teil nur auf Kreuzungen war, weitergezogen.
Dass Straßenmarkierungen aber auch kontraproduktiv sein können, sieht man am Beispiel Jean-Pierre-Michels-Straße. Dort sind neuerdings auf den Kreuzungen Radwege eingezeichnet, die auf dem Bürgersteig enden. Oder sie suggerieren, dass der Radweg weitergeht, dabei steht 20 Meter weiter ein Bushäuschen, was zwangsläufig zu Konflikten führt …
Der Optimalfall eines guten, sicheren Fahrradwegs ist ein separater Radweg dort, wo das möglich ist. Wir haben das in den letzten zwölf Monaten auf zwei großen Achsen realisiert. Die Anbindung des „Vëlodukt“ in Richtung Sanem, da haben wir auf dem Boulevard des Lumières eine Spur weggenommen, um einen Pop-up-Radweg einzurichten.
Per Definition ist ein Pop-up temporär. Bleibt der Weg?
Ja, der bleibt. Es gibt ein Mobilitätskonzept für Belval. Das wird in den nächsten Jahren umgesetzt. Wichtig war, das aber nun schon mal provisorisch einzurichten. Auf der anderen Seite des „Vëlodukt“ entsteht ein separater Radweg in Richtung Zentrum.
Meine Ambition ist, dass man vom ,Vëlodukt‘ bis zum Rathausplatz auf gesicherten Radwegen fahren kann
Und wie geht es weiter, wenn man an der Kanalstraße am Kreisverkehr herauskommt? Da gibt es zwar Radwege, aber die Farbe ist quasi nicht zu erkennen. Und da gibt es die Kanalstraße, die nicht besonders sicher für Radfahrer ist, weil sie sehr schmal ist und viel befahren.
Die Kanalstraße ist ein gutes Beispiel, da ist ganz wenig Platz. Meine Ambition ist, dass man vom „Vëlodukt“ bis zum Rathausplatz auf gesicherten Radwegen fahren kann. In diesem Zusammenhang sind wir auch dabei, zu schauen, was wir in der Kanalstraße machen können. Aber auch dort gilt: Alles, was wir dort machen, hat potenzielle Auswirkungen auf anliegende Straßen wie den Kohlenberg oder die rue du Nord. Wir wollen nichts machen, was die Lebensqualität in den anderen Straßen einschränkt. Es erfordert ein bisschen Zeit, um das richtig zu analysieren.
Sie haben den Kohlenberg angesprochen, der momentan erneuert wird. Ist dort eine Radinfrastruktur mitgedacht worden?
Diese Baustelle ist schon lange im Gange. Ich habe die Pläne jetzt nicht im Kopf.
Zurück zum PLM. Sie stimmen mir sicher zu, dass man, wenn man der sanften Mobilität mehr Platz einräumen will, diesen dem motorisierten Verkehr wegnehmen muss. Und da sind wir in Esch an einem kritischen Punkt angekommen, nämlich den Parkplätzen, die ganz offensichtlich rar sind. Wie löst man diesen Konflikt?
Für mich ist das auch eine soziale Frage. Viele Bürger haben keinen eigenen Parkplatz. Daher ist es mir nicht komplett egal, was mit dem öffentlichen Parkraum geschieht. Man muss von Fall zu Fall schauen. Jeder, der nicht ins Auto steigt, um seine Kinder zur Schule zu bringen, ist einer weniger im Straßenverkehr und das kommt im Endeffekt jedem von uns zugute. Denn wir alle haben ein Interesse daran, dass der Verkehr besser durch Esch fließt. Bessere Infrastrukturen für Fußgänger und Radfahrer bedeuten, dass weniger Leute im Auto unterwegs sind.
Die Mobilitätswoche wurde am „Jardin éphémère“ an der place des Ramparts eröffnet. Für den temporären Garten wurde die Vël’OK-Station vor der Buchhandlung geschlossen. Ist das nicht ein falsches Zeichen, wenn es um die Förderung der sanften Mobilität geht?
Uns war es wichtig, auf der place des Remparts während des Sommers eine Begegnungsstätte für die Menschen zu schaffen. Und die sollte auch den lokalen Betrieben zugutekommen. In dieser Logik ist die Station stillgelegt worden, damit die Buchhandlung ihre Terrasse vergrößern konnte.
Apropos Vël’OK: Da sind ganze Stationen kaputt, wie die an der Rockhal, an denen die Räder nicht mehr aufgeladen werden. Außerdem sind so viele Räder kaputt, dass oft kein funktionierendes an den Stationen in Esch zu bekommen ist. Wie soll es mit dem Leihsystem in Zukunft weitergehen?
Das muss man mit den Südgemeinden diskutieren, wie man den Vël’OK in Zukunft eventuell ausbaut. Ich denke da an ein Angebot von Cargorädern. Generell muss man in Esch überlegen, wie man Hubs definieren kann, die eine ganze Reihe von Dienstleistungen für die Bürger anbieten. Wir haben im Juni z.B. fünf weitere Carsharingplätze eingerichtet, da würde natürlich ein Fahrrad-Leihsystem nebenan Sinn ergeben.
Ja, aber ein Fahrrad-Leihsystem muss vor allem eins, nämlich funktionieren, und das ist bei Vël’OK momentan nicht der Fall.
Ich weiß nicht, ob er nicht funktioniert, denn er wird viel genutzt.
Ich nutze ihn fast täglich und kann Ihnen garantieren, dass er nicht funktioniert, wie er sollte …
Es gibt Probleme mit Vandalismus, ja. Ich weiß aber auch, dass die Mannschaft des CIGL, die das System betreut, das mit bestem Wissen und Gewissen macht.
Zu den von Ihnen angesprochenen Mobility-Hubs. Können die nicht auch eine Lösung für die Parkplatzproblematik sein? Also dass der Hub auch ein Mehretagen-Parkhaus hat und so Parkraum im Straßenbild für die sanfte Mobilität frei wird?
So etwas ist zumindest mal in den neuen Stadtvierteln „Rout Lëns“ und „Metzeschmelz“ vorgesehen. Das ist ein interessantes Konzept, v.a. in Anbetracht des Platzproblems in Esch. Ich schließe das nicht aus, aber ein konkretes Projekt gibt es im „alten“ Esch momentan nicht. An der Idee der Mobility-Hubs jedenfalls halten wir fest. Was in den neuen Stadtvierteln richtig ist, kann anderswo nicht falsch sein.
Es fehlen Ladestationen, da bin ich ganz deutlich
Stichwort Elektromobilität. Fehlt es in Esch an Ladestationen?
Im nationalen Vergleich ist die Dichte noch in Ordnung. Aber es fehlen Ladestationen, da bin ich ganz deutlich. Wenn wir wollen, dass die Menschen auf E-Autos umsteigen, dann muss das Angebot stimmen. In diesem Kontext wird momentan mit Südstrom ein Plan ausgearbeitet, um zwischen 40 und 60 Ladepunkte hinzuzukriegen.
Wie viele gibt es momentan?
Um die 20 im öffentlichen Raum, also ohne Parkhäuser. Die klassischen Ladestationen sind das eine, aber wir müssen auch einen Schritt weiter denken. In einer Welt, in der in fünf oder zehn Jahren das Elektroauto nicht mehr die Ausnahme, sondern der Standard ist, werden auch 60 zusätzliche Ladestationen nicht mehr reichen. Also überlegen wir, Pilotprojekte zu starten. Es gibt innovative Lösungen, die zwar nicht die 11 KW einer Ladestation haben, aber wie in Dänemark oder Holland Lademöglichkeiten in Straßenlaternen mit 2-3 KW anbieten. Damit bekommt man über Nacht 60 km Reichweite geladen. Das könnte Teil der Lösung sein in Anbetracht dessen, dass Studien aussagen, dass der Durchschnittsautofahrer in Luxemburg zwischen 40 und 60 km fährt. In unseren Parkhäusern wird die Ladekapazität auch ausgebaut.
Zurück zum Straßenverkehr. In Esch gilt fast flächendeckend Tempo 30. Das Problem aber ist, dass sich nicht daran gehalten wird.
Die Antwort ist ganz einfach. Wir müssen verhindern, dass Rennstrecken entstehen. In Tempo-30-Zonen müssen vermehrt Fußgängerüberwege geschaffen werden, auch wenn die reglementarisch ganz oft nicht notwendig sind. Und die Straßen müssen mit Verengungen zurückgebaut werden. Das haben wir nun z.B. in der Wurth-Paquet-Straße vor. In den allermeisten Fällen heißt also die Lösung Infrastruktur. Infrastruktur, die dafür sorgt, dass man nicht rasen kann.
Zur Mobilität gehört auch der Zug. Für Diskussionen sorgen in Esch die Pläne aus dem nationalen Mobilitätsplan, den Bahnhof zu versetzen. Gibt es in diesem Dossier etwas Neues?
Meines Wissens nicht. Ich hoffe, und das ist ein Appell an die nationalen Instanzen, dass das Projekt Metzeschmelz und der multimodale Korridor auf der A4 vorangetrieben werden und sich nicht verzögern, um zum Beispiel das Staatsbudget ein wenig zu schonen.
Ist das eine reelle, begründete Angst, die Sie da ausdrücken?
Das ist ein Gefühl, das ich durch rezente Antworten der Mobilitätsministerin auf parlamentarische Anfragen von mir habe.
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