/ Schreibhilfe mit persönlicher Note: Stéphanie Guerisse ist Differdingens „écrivain public“
Eine individuelle und fehlerfreie Alternative zu Google Translate: Stéphanie Guerisse steht in ihrer Freizeit all jenen zur Seite, die nicht so sattelfest in der französischen Sprache sind oder eine zweite Meinung zu einem Schreiben brauchen. Als einziger „écrivain public“ der Stadt Differdingen bietet sie ihre Hilfe neben ihrer Arbeit als Anwältin an.
Die Idee, als „écrivain public“ Hilfe anzubieten, hat sie seit der Studienzeit nicht mehr losgelassen. „Durch mein Jura-Studium haben mich Menschen in meinem Umfeld oft gefragt, ob ich nicht mal über einen Lebenslauf schauen oder einen Brief verbessern könnte.“ Nach ihrem Umzug nach Differdingen stellte sie Bürgermeister Roberto Traversini und Jean-Paul Reuter vom „office social“ ihre Idee vor. Am März 2017 wurde das Projekt konkreter und im Juni desselben Jahres der Öffentlichkeit vorgestellt.
Kontakt:
Wer die Hilfe des „écrivain public“ in Anspruch nehmen möchte, macht am besten einen Termin unter der Nummer 661 58 70 15 aus.Wann?
Donnerstags zwischen 16.00 und 19.00 Uhr – ansonsten eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.
„Schreibhilfe ist in vielen Bereichen gefragt: Es können Lebensläufe oder auch Motivationsschreiben sein. Doch meistens handelt es sich um schriftlichen Austausch mit Verwaltungen.“ Gerade hier sei es wichtig, die richtigen Worte zu finden und ein vollständiges Dossier zusammenzustellen.
Stéphanie hilft außerdem dabei, die richtigen Dokumente beizufügen. Auch bei Bewerbungen sei es wichtig, von Beginn an einen positiven Eindruck beim potenziellen Arbeitgeber zu hinterlassen.
Zu Beginn ging Stéphanie davon aus, dass vor allem Menschen zu ihr kommen würden, die der französischen Sprache nicht mächtig sind. Die Differdinger Bevölkerung sei nun einmal sehr unterschiedlich.
Auch Persönliches wird gecheckt
„Die meisten melden sich, um wirklich etwas auf Französisch in der Hand zu haben“, sagt Stéphanie. Doch manchmal sei auch Persönlicheres dabei. Einmal war eine Französin mit einem mehrseitigen Schreiben bei ihr. „Sie wollte, dass einfach mal jemand darüber liest. Damit sie sich nicht in ihren Gedanken verliert.“ Falls eine Person nur ganz wenig Französisch versteht, muss nach einem Übersetzer gesucht werden.
Die Zeit für diese Tätigkeit, die Stéphanie ehrenamtlich ausübt, muss sie sich neben ihrem Job als Anwältin und ihrem Privatleben freischaufeln. „Zu Beginn muss ich oft präzisieren, dass ich dies auf freiwilliger Basis anbiete.“ Viele nähmen zuerst an, sie sei von der Gemeinde angestellt und müsse jederzeit verfügbar sein.
In manchen Monaten können sieben Treffen stattfinden. Manchmal dauert ein Gespräch nur fünf Minuten und den Rest erledigt sie von zu Hause aus am Computer. Ruhiger sei es vor allem zu Beginn des Jahres.
Atmosphäre des Vertrauens
Die Termine verlaufen meistens ohne Probleme. Nur zweimal ist sie bisher versetzt worden. „Es ist schon mühsam, wenn ich mich extra so organisiere, um zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar zu sein. Dann warte ich eine halbe Stunde und es kommt niemand.“ Doch die meisten seien sehr nett und wüssten ihre Hilfe zu schätzen.
Ihr Angebot geht über das reine Schreiben hinaus. „Die Menschen brauchen jemanden, der ihnen zuhört.“ Oft kämen sie während des Gesprächs auf andere Themen. Und genau das sei das Interessante daran.
Schließlich sei es schwierig, jemandem gegenüberzutreten und sich einzugestehen, dass man Schreibfehler macht oder ein Problem hat, etwas zu formulieren. Das betreffe schließlich die Grundlagen der Schulbildung. „Ich verurteile die Menschen nicht. Es ist wichtig, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen.“ Die betroffenen Menschen gewähren Stéphanie einen kleinen Einblick in ihr Privatleben. Sie benötigt ihn, um helfen zu können. Dennoch muss sie vorsichtig sein, wie sie den Hilfesuchenden gegenüber auftritt. Der Inhalt der Schreiben wird stets vertraulich behandelt und Daten und Namen werden nie herausgegeben.
Teufelskreis durchbrechen
„Letzten Endes ist es gerade diese Sensibilität, die ein ‚écrivain public‘ mitbringen muss“, sagt Sing-Loon Cheung, der im Chancengleichheitsdienst der Gemeinde Differdingen tätig ist und das Projekt zusammen mit Stéphanie koordiniert. Er ist für alle organisatorischen, logistischen und materiellen Aspekte zuständig und steht in engem Kontakt mit der Anwältin, auch um ihr mitzuteilen, welche Ressourcen wo verfügbar sind oder welche anderen Dienste eventuell besser geeignet wären.
Oft sei es so, dass bei Problemen die ersten Ansprechpartner die Familie oder der Bekanntenkreis seien. Alle Schritte und Behördengänge blieben somit oft begrenzt. Das sei ein Teufelskreis und Sing-Loon sei angestellt worden, um diesen Kreis zu durchbrechen.
Die Gemeinde stellt Stéphanie ein Telefon, eine E-Mail-Adresse und Räumlichkeiten zur Verfügung. „Es ist wichtig, zu betonen, dass sich der ‚écrivain public‘ um die Schreibarbeit kümmert. Für soziale Begleitung ist der soziale Dienst zuständig.“ Doch auf der anderen Seite kann der „écrivain public“ dem Dienst Arbeit abnehmen, weil dieser wichtige Bereich für ihn wegfällt und dann mehr Zeit für die soziale Unterstützung bleibt.
Eine erste Bilanz sieht Sing-Loon durchaus positiv. Von Juni bis November 2017 gab es 16 aktive Dossiers und fünf Kontakte, bei denen später nichts konkretisiert wurde. Das kann passieren, wenn die Anfrage nicht im Kompetenzbereich des „écrivain public“ liegt.
Deswegen wird gerade überlegt, das Hilfsangebot auf andere Sprachen auszuweiten.
Sing-Loon spielt mit dem Gedanken, die Bürger vermehrt darauf aufmerksam zu machen. Doch gleichzeitig möchte er darauf achten, dass es nicht zu viel für Stéphanie wird. Denn sie schultert das Ganze alleine und ehrenamtlich.
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