/ Schwarz auf weiß: Theaterdirektorin Myriam Muller über Verhältnis zur Kritik
Myriam Muller ist Direktorin des Théâtre du Centaure in Luxemburg-Stadt, Regisseurin und Schauspielerin. Seit über dreißig Jahren wirkt sie vor der Kamera und auf oder hinter Bühnen, in Luxemburg wie im Ausland. Das Tageblatt hat sich mit ihr über ihr Verhältnis zur Kritik unterhalten.
Von Tom Haas
Tageblatt: Sie inszenieren ein Theaterstück mit sämtlicher Arbeit, die dazugehört: Casting, Proben, Diskussionen mit dem Dramaturgen, dem Bühnenbildner, dem Drehbuchschreiber. Dann kommt der große Tag der Premiere. Haben Sie Angst vor den Kritiken, die am Tag danach in der Zeitung stehen?
Myriam Muller: Man muss auf die Worte achten, die man verwendet. Es ist nicht Angst. Das Verhältnis zur Kritik spiegelt auch die Lebensanschauung ganz allgemein wieder. Ich habe den Beruf des Theaterschaffenden mit 17 Jahren ergriffen. Ich bin jetzt 48. Was ich gegenüber der zu erwartenden Kritik empfinde, hat sich im Laufe dieser Zeit gewandelt. Als Schauspieler ist man aktiv auf der Bühne, da denkt man nicht an die Kritik. Als Regisseur fragt man sich natürlich, ob man seine Arbeit getan hat und ist gespannt, wie die Zuschauer darauf reagieren.
Mit der Zeit bin ich immer sensibler gegenüber den Reaktionen des Publikums geworden und weniger gegenüber den Kritikern. Über mich wurde bereits alles geschrieben, das Schönste wie das Schlechteste. Aber ich spiele nicht für die fünf Profis im Saal, sondern für die Leute, die den Weg auf sich genommen und Eintritt bezahlt haben – und natürlich für die paar Leute, denen man wirklich vertraut, die dann auch Kritik üben können. Das ist dann aber in der Regel eine konstruktive Kritik, weil sie die eigene Arbeit über Jahre hinweg begleitet und die wiederkehrenden Schwächen erkennt.
Kritik ist mannigfaltig, sie besteht nicht nur aus Texten von externen Personen, die in einer Zeitung erscheinen. Das Problem ist, diese Kritik ist gedruckt, schwarz auf weiß, das ist also auch die Form, die verletzen kann. Deswegen muss man sich meines Erachtens mit der Zeit emotional davon distanzieren, sonst scheitert man an seinen Kritikern.
Ist die aktuelle Theaterkritik – also eine Person sieht sich ein Stück an, geht nach Hause, schreibt darüber und am Tag danach steht es in der Zeitung – überhaupt noch zeitgemäß? Wäre öffentliche Kritik in Dialogform unter Ausschöpfung der digitalen Möglichkeiten fürs Theater nicht interessanter?
Ich weiß nicht, ob das wünschenswert wäre. Wenn ich mir die Verrohung der Diskussionsformen auf Facebook ansehe, habe ich daran große Zweifel. Dort liest man Dinge, die man nicht lesen möchte – in jeder Hinsicht. Ich finde es interessant, den subjektiven, an den Moment gebundenen Eindruck einer Person zu erfahren.
Dass es nebenbei noch Foren geben könnte, um passionierten Amateuren einer spezifischen Kunstform eine Möglichkeit des Austauschs zu bieten, gerne. Aber das wäre dann eher ein Blog für Eingeweihte, der neben der traditionellen Kritik stünde. Auch im Alltag tut es bisweilen gut, jemandem einen Brief zu schreiben, ohne dabei unterbrochen zu werden. Das bedeutet ja noch lange nicht, dass die Leute darauf nicht reagieren und antworten können.
Machen die professionellen Kritiker es sich denn bisweilen zu einfach?
Ich rede jetzt über Luxemburg. Ich hatte kürzlich eine große Tournee, bei der ich es mit der internationalen Presse zu tun hatte und das ist eine ganz andere Geschichte – die kennen mich ja nicht. Aber ich glaube nicht, dass die Kritiker hierzulande es sich einfach machen. In der Art, wie sie glauben, mich durch meine Inszenierung zu durchschauen, kann ich das umgekehrt bei ihren Kritiken tun. Sie erzählen viel über sich, indem sie über andere sprechen. Also nein, einfach machen sie es sich nicht, aber bisweilen ist es recht durchsichtig.
Man erkennt beispielsweise, ob es ein junger Kritiker ist, der meint, sich beweisen zu müssen. Und man hat natürlich auch die Leute, die selbst im Milieu unterwegs sind – die selbst Schauspieler oder Regisseure sind. In Luxemburg tragen viele Leute mehrere Hüte. Das ist verständlich, wenige können von Schauspielerei oder Regie leben, aber viele können schreiben. Hier wird die Passion für die Kunst aber oft zur Stolperfalle, weil sich ein Interessenkonflikt zwischen beiden Arbeiten auftut. Auch diese Leute machen es sich nicht einfach, sind sich des Konflikts bewusst, trotzdem handelt es sich um Komponenten, die eigentlich nicht zueinanderpassen.
Hat die Kritik in Luxemburg konkrete Auswirkungen, beispielsweise auf die Besucherzahlen, aber auch auf die Verteilung von Fördergeldern, beispielsweise seitens der Focuna?
Letzteres weiß ich nicht, da müsste man Jo Kox fragen (lacht). Aber ich bezweifle es sehr, die Leute bei der Focuna sind passionierte Theatergänger, die haben ihre eigenen Ansichten und Geschmäcker. Anders bei den Einnahmen durch die Ticketverkäufe, und da spreche ich als Theaterdirektorin: Absolut. Und wir reden hier von den kleinen Theatern in Luxemburg, wie dem Kasemattentheater oder TOL, die haben keine Gelder für irgendwelche großen Werbekampagnen. Wir sind auf die Mundpropaganda angewiesen – und auf die Pressereaktionen.
Das können wir dann über unsere Kanäle weiterleiten und auf einen Schneeballeffekt hoffen. Insofern ist die Verantwortung der Kritiker recht groß, durch schlechte Kritiken entstehen für die Häuser durchaus wirtschaftliche Schäden. Einige Leute sagen, es sei egal, ob die Kritiken gut oder schlecht seien, die Hauptsache sei die Beachtung durch die Presse. Das sehe ich anders – wenn man durchgehend verrissen wird, wird man letztlich zum Running Gag.
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