Powerlifting / Schwer in Form: Hinter den Kulissen einer Landesmeisterschaft
An einem frühen Samstagmorgen warten Athleten in der Sporthalle in Hamm und machen sich bereit, um in wenigen Stunden hunderte von Kilos zu bewegen. Wer tut sich so etwas an und warum? Wir haben den Frauen und Männern des SC Hamm über die durchtrainierte Schulter geschaut.
Samstag, 8 Uhr morgens. Dort, wo die Trainingseinheiten des SC Hamm 1970 für gewöhnlich stattfinden, warten ein Dutzend Athleten auf ihren Einsatz, einige bereits ausgerüstet mit Knieschonern und Singlet, einem einteiligen Anzug, den Powerlifter bei Wettkämpfen tragen. Es wird gefachsimpelt, der letzte technische Schliff erfolgt. Schließlich geht es ab 10 Uhr ums Ganze.
Powerlifting ist der englische Begriff für den Kraftdreikampf, der sich aus den Disziplinen Kniebeuge (Squat), Bankdrücken (Bench press) und Kreuzheben (Deadlift) zusammensetzt. In dieser Reihenfolge treten die Sportler an – bei internationalen Wettkämpfen nach Körpergewichts- und Altersklasse, bei kleineren wie der luxemburgischen Meisterschaft nach den auf die Langhanteln geladenen Gewichten.
Das Kreuz mit dem Heben und Hilfe von der Nummer drei weltweit
Jeder hat drei Versuche pro Disziplin zur Verfügung, die alle von drei Juroren bewertet werden. Damit ein Versuch gültig ist, müssen mindestens zwei Jurymitglieder ihn gutheißen. Dann erscheinen weiße Kreise auf einer Anzeigetafel. Bei einem Fehlversuch sind diese rot. Dabei wird auf ein strenges Regelwerk geachtet. Ist die Kniebeuge tief genug? Achten die Athleten auf die Signale der Jury? Ein Heben des Hinterns beim Bankdrücken oder ein zu frühes Absetzen der Hantel beim Kreuzheben führt beispielsweise zu einem Fehlversuch.
Vor dem Wettkampf entscheiden die Sportler gemeinsam mit Nationaltrainer Alain Hammang über die ersten Versuche. Zwischen 8 und 10 Uhr werden sie außerdem gewogen und ihrer jeweiligen Alters- und Gewichtsklasse zugeordnet. Dann folgt die Aufwärmphase. Hierbei gibt es Hilfe von Europas Silbermedaillenträgerin und weltweiten Nummer drei in der Frauen-Kategorie unter 84 kg, Ankie Timmers aus der Niederlande, die ebenfalls in Luxemburg trainiert und den Teilnehmern tatkräftig zur Seite steht.
Parage, Krokos und Ndoja brechen Rekorde
Lynn Marx startet als eine von nur zwei Frauen. Die Zeiten, in denen es mehrere Powerliftingvereine in Luxemburg gab, die einmal im Jahr gegeneinander antraten, sind vorbei. Dennoch erlebt der Sport seit einigen Jahren ein Comeback und immer mehr junge Athleten schließen sich dem SC Hamm, der letzten Bastion hierzulande, an. Zu den Neuzugängen gehört Gabriel Ndoja, der mit 240 kg in der Kniebeuge und 180 im Bankdrücken einen neuen Landesrekord in der Kategorie Seniors unter 120 kg aufgestellt hat.
Bei Philippe Parage, der dieses Jahr mehrere internationale Wettkämpfe bestritten hat, zeigt der Weg nur in eine Richtung: nach oben. Vor wenigen Wochen hieß es noch bei der EM in Litauen, die 600er-Marke im Total sei in greifbarer Nähe. Diese hat der Subjunior-Athlet am Samstag bereits überschritten: 235 im Squat, 125,5 Bench, 246 Deadlift und insgesamt 606,5 kg.
Lebenswichtige Loaders
Die beste Leistung aus allen Gewichts- und Altersklassen holt ein Junior-Athlet: Mit sagenhaften 679 kg insgesamt, davon 220 in der Kniebeuge, 176 im Bankdrücken und 283 im Kreuzheben, katapultiert sich der erst 22-jährige Junior-Powerlifter Ioannis Krokos an die Spitze der Gesamtwertung.
Lebenswichtig, vor allem bei solchen Lasten, sind die Loaders. Das sind die Helfer, die die Gewichtsscheiben auf die Hanteln laden und während der jeweiligen Versuche aufpassen. Wenn ein Sportler sich beispielsweise bei einer Kniebeuge nicht mehr aufrichten kann, müssen die Loaders sofort zur Stelle sein, um ihn aufzufangen. Dafür ist nicht nur physische Stärke, sondern auch höchste Konzentration gefragt. Der SC Hamm kann hier auf eine treue Mitgliedschaft zählen, die freiwillig hinter den Kulissen arbeitet, ob in der Organisation oder auf der Plattform selber.
„Allez, Flantes!“
Hier wird deutlich: In diesem Mikrokosmos herrschen andere Sitten. „Flantes“, der typische Begriff für die robusteren Athleten, und „Allez, du Béischt!“ gelten als Ansporn und lassen den Adrenalinpegel eines jeden Hammers steigen. Vor und während jedes Einsatzes feuern sich die Sportler gegenseitig an, teils mit Schreien.
Auch auf die Zuschauer färbt die Stimmung ab: Michel, der sich nicht mit dem Sport auskennt und einen Freund beim Wettbewerb unterstützt, findet, dass man „automatisch mitfiebert“. Egal, wie viel Gewicht gerade auf der Hantel ist, als Zuschauer hofft man, dass der jeweilige Athlet sein Pensum schafft.
„Ein exzellenter Wettkampf“
Trainer Hammang hatte nur lobende Worte für die diesjährige Landesmeisterschaft übrig. Er sprach von einem exzellenten Wettkampf, bei dem einige nationale Rekorde gebrochen wurden. Daneben haben einzelne Athleten neue persönliche Bestleistungen aufgestellt.
Hammang blickte dann auch in die Zukunft. Die nationale Meisterschaft findet ein Mal im Jahr statt, immer im Dezember. 2020 wird Luxemburg keine internationale Powerlifting-Veranstaltung austragen, nachdem das Land dieses Jahr Gastgeber der Bankdrücken-EM gewesen ist. 2021 soll jedoch die Westeuropa-Meisterschaft hierzulande stattfinden. Auch einen Benelux Cup kündigte der Trainer an. Die jungen Athleten sind auf jeden Fall hungrig und es kommt Bewegung in die luxemburgische Powerliftingszene rein.
Die Sieger
- Platz 1 in der Kategorie -63 kg bei den Frauen: Lynn Marx (82,5 kg Squat; 65 kg Bench press; 127,5 kg Deadlift)
- Frauen +84: Laura Giacomini * (100; 52,5; 122,5)
- Subjuniors -93 bei den Männern: Collin Harcarik (142,5; 120; 192,5)
- Subjuniors -120: Philippe Parage (235; 125,5; 246)
- Juniors -105: Ioannis Krokos (220; 176; 283)
- Seniors -83: Man Chun Kiu (167,5; 117,5; 200)
- Seniors -93: Denis Leider (187,5; 132,5; 237,5)
- Seniors -105: Christophe Zezza (180; 122,5; 222,5)
- Seniors -120: Gabriel Ndoja (240; 180; 235)
- Platz 3 und ein World-Games-Ticket: Ankie Timmers qualifiziert sich für Chengdu - 22. November 2024.
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