Nordgemeinde / Schwierige Balance: Esch an der Sauer will Tourismus und Naturschutz in Einklang bringen
Bei einer Suche im Web wird schnell klar, was die Gemeinde Esch/Sauer ausmacht. Die über Fusionen auf 6,7 Quadratkilometer angewachsene Gemeinde mit 13 Ortschaften setzt auf Tourismus. Gleichzeitig gibt es umfangreiche Auflagen, was den Naturschutz angeht. Direkt an die Gemeinde grenzt das größte Trinkwasserreservoir des Landes. Ein Balanceakt.
Die Zeiten, als im Süden bei der Ankündigung einer beabsichtigen Fahrt in den Norden die Augenbrauen hochgehen, sind vorbei. Mit dem Erfolg der „Vakanz Doheem“-Initiative des Tourismusministeriums hat das „Éislek” endgültig den Respekt aller. Viele haben in den letzten beiden Jahren diesen Teil des Landes für sich entdeckt und – noch viel wichtiger – schätzen gelernt.
Von der Region als „Gewinner” der Bon-Offensive zu sprechen, mag der CSV-Bürgermeister von Esch/Sauer, Marco Schank (67), nicht. Er ist zu sozial eingestellt, um nicht die Kehrseite zuerst zu sehen. „Unsere Betriebe haben in der Pandemie gelitten und es wäre noch schlimmer gewesen ohne diese Aktion des Tourismusministeriums“, sagt er.
Für seine Gemeinde ist der Tourismus essentiell. Das zeigt schon die Google-Suche nach Esch-sur-Sûre. Erst an sechster Stelle taucht die Gemeindeseite mit den Bürgerdiensten auf. Vorher werben „Visit Luxembourg“, „Visitardenne.com“ oder „wikitravel“ für einen Besuch. Fotos vom Stausee dürfen nicht fehlen.
Er ist landschaftlich ein Magnet und gleichzeitig das größte Trinkwasserreservoir des Landes. Das bringt Auflagen für den Schutz mit sich, die mit den Bedürfnissen des Tourismus konkurrieren und manchmal kollidieren. Es ist eine schwierige Balance, die das Gemeindeoberhaupt nur zu gut kennt. Marco Schank ist ein mediengewöhntes Urgestein der Politik.
Tourismus ist wichtiger Wirtschaftsfaktor
Seit 41 Jahren setzt er sich kommunal und national für die Region ein. Als er 1981 in den Gemeinderat kommt, ist er mit 27 Jahren der jüngste Kommunalpolitiker der Gemeinde. Später tut er das als Minister, unter anderem mit dem Ressort Umwelt. Er weiß um den Spagat, den Esch/Sauer schon immer leistet, und muss mit historisch gewachsenen Entwicklungen zurechtkommen.
Mit 114 von insgesamt 434 Arbeitsplätzen in der Gemeinde stellen Tourismus und tourismusnahe Dienste mehr als ein Viertel. Zwar vergrößert die Gemeinde gerade die Gewerbezone in Heiderscheid, um mehr Gewerbesteuern einzunehmen, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Schank will mehr als die bestehenden Arbeitsplätze schaffen, damit Esch/Sauer nicht zur reinen „Schlafgemeinde“ degeneriert, die in der Saison tagsüber überwiegend von Touristen belebt wird. Wer aus dem Norden kommt, bleibt meist dort, obwohl der Arbeitsplatz unter Umständen weit entfernt ist. Dem Bürgermeister geht das genauso. Einen wie ihn in die Stadt verpflanzen zu wollen, ist ein No-Go.
Als Abgeordneter nimmt er seinerzeit den Zug in die „Chamber“ oder ins Ministerium. Viele denken so und nehmen Anfahrtswege in Kauf, denn auch beim Nahverkehr mit dem Bus gibt es trotz Reform „Optimierungsbedarf“. Demnach bleibt der Tourismus angesichts der Bekanntheit von Esch/Sauer auf lange Sicht ein großer Wirtschaftsfaktor. Daraus ergibt sich eine politische Forderung in Richtung Hauptstadt.
Aufholbedarf beim Zugang zum See
„Vieles, was den Zugang zum See betrifft, ist in die Jahre gekommen“, sagt Schank. „Der Staat muss hier nachhaltig investieren.“ Da ärgert es umso mehr, wenn kommunale Vorhaben, die Infrastruktur am See behutsam auszubauen, scheitern. Der Staat kauft 2020 ein mehr als einen Hektar großes Grundstück innerhalb des Bauperimeters, das in einer „Zone hôtelière“ liegt.
Das Umweltministerium argumentiert mit „Schutz des Trinkwasserreservoirs“ und der Tatsache, dass dem Staat „bereits viel Gelände dort gehört und sich das in ein Gesamtkonzept“ einfügt. Für das Ministerium ist der Wasserschutz übergeordnet, wie aus einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage dazu im November 2020 hervorgeht.
Marco Schank stellt sie damals und sitzt zu dem Zeitpunkt noch als „Député-Maire“ im Parlament. Kurz darauf räumt er seinen Platz und macht einem jüngeren Nachfolger Platz. Weiter in der Kommunalpolitik zu bleiben, fühlt sich für ihn richtig an. Und es gibt einiges zu tun. Esch/Sauer wächst. Nach der aktuellen Volkszählung, deren Ergebnis noch nicht feststeht, könnte die Gemeinde demnächst auf knapp über 3.000 Einwohner kommen.
20 Jahre zuvor wohnen mit 1.672 Einwohnern gerade mal etwas mehr als die Hälfte auf dem gleichen Gebiet. Der Rathauschef erklärt sich das Interesse damit, dass Bauterrain in seiner Gemeinde noch bezahlbar ist. Zahlen des „Observatoire de l’habitat“ vom Februar 2019 belegen das. Danach ist der Medianpreis für ein Ar Bauland im Kanton Esch zwischen 2010 und 2017 pro Jahr um 6,7 Prozent gestiegen.
Preise für Bauland erschwinglich – die Gemeinde wächst
Im Kanton Wiltz, zu dem Esch/Sauer gehört, ist er im gleichen Zeitraum praktisch gleich geblieben und liegt laut „Observatoire“ in dem Jahr bei 40.000 Euro und weniger. Die Gemeinde soll allerdings moderat wachsen. So wie das Trinkwasserreservoir keine Massen verträgt, verträgt es auch die Gemeinde nicht. Großveranstaltungen wie „Esch 2022“ würden daran wahrscheinlich sogar scheitern. Trotzdem soll die viel größere Namensschwester im Süden nicht allein mit Kultur punkten.
Auch im Norden kann man feiern. Deshalb hat Marco Schank mit seinem Gemeinderat „Esch 2023“ initiiert. Im Superwahljahr jährt sich die erste urkundliche Erwähnung von Esch/Sauer zum 1.250. Mal. Das passt. So etwas kann nur einer Gemeinde mit einem an Geschichte interessierten Bürgermeister einfallen. Ob er selbst in dem Jahr noch einmal zur Wahl antritt, lässt er jedoch offen.
Steckbrief Gemeinde
6,7 Quadratkilometer; Einwohner: ca. 3.000 (exakte Zahlen nach der Volkszählung); Landwirte: 19; Übernachtungsbetriebe: 5 Hotels, 5 Campings, eine Jugendherberge – Gesamtkapazität: 251 Hotelbetten und 1.312 Plätze für Camper
Zur Person
Marco Schank blickt auf eine lange Karriere in der Politik zurück. 32 Jahre Gemeinderat, davon 20 Jahre als Bürgermeister, 17 Jahre Abgeordneter im Parlament, knapp fünf Jahre delegierter Minister für Wohnungsbau, nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur. Im Oktober 2020 hat er seinen Sitz als Abgeordneter an den Ettelbrücker Bürgermeister und Parteikollegen Jean-Paul Schaaf abgegeben. In seiner Freizeit schreibt er Krimis mit zeitgenössischem Hintergrund. Der neueste ist „Die Wahrheit gehört ans Licht“, der im Verlag opderlay zu den Walfer Bicherdeeg erscheint, die am 20. November begonnen haben. 272 Seiten, ISBN 978-2-87967-257-1
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