/ „Sehnsucht nach Wandern“: Warum das Müllerthal sich neu erfinden muss
Dem Patienten geht es besser, gesund ist er nicht. Das Müllerthal krankte jahrelang und war das Sorgenkind unter den Touristikregionen im Land. Die Situation hat sich gebessert. Von optimal ist die Region dennoch weit entfernt. Neue Strategien scheiterten bislang daran, dass verlässliche Daten und Fakten fehlten. Die hat jetzt eine Studie ans Licht gebracht.
„Wanderer haben dreckige Schuhe, bringen ihr eigenes Picknick mit und wollen kein Geld ausgeben“: Dieses Klischee hat sich im Müllerthal lange halten können. Alteingesessene Familienbetriebe haben früher nur zu gern auf diese Kundschaft verzichtet. Erst seit der Müllerthal Trail 2013 in die Liga der „Leading Quality Trails – Best of Europe“ aufgestiegen ist, hat sich das geändert. Ein Umdenken setzte ein und zwischen 2011 und 2016 steigen die Übernachtungszahlen laut Studie, die sich auf Statec-Zahlen beruft, wieder. Das gilt für die Hotels und für die Campings in der Region.
„Es hat gedauert, bis die Betriebe erkannt haben, dass Wanderer Leute sind, die Geld ausgeben, aber nicht für ein ‚Schlemmermenü‘ wie die angestammte Kundschaft“, sagt Sandra Bertholet (41), Geschäftsführerin des „Office régional du tourisme“ (ORT) im Müllerthal. „Sie wollen eine durchgehend geöffnete Küche und einfache, leckere Mahlzeiten.“
Traditionelle Wirtschaftsmodelle
Das ORT seinerseits nutzt das europaweit bekannte Label bis heute dazu, „die Sehnsucht nach Wandern“ zu kreieren, wie Bertholet sagt. Umdenken und die Orientierung hin zu neue Zielgruppen reichen offensichtlich aber nicht. 81 Prozent der befragten Betriebe beklagen laut Studie mangelnde Auslastung, die Befragungen wurden zwischen Oktober 2017 und Mai 2018 durchgeführt. Viele von ihnen verharren in traditionellen Wirtschaftsmodellen.
Dazu gehören die Öffnungszeiten. Betriebe, die von Ostern bis November geöffnet haben, erreichen kaum eine volle Auslastung. Der Tourist im Müllerthal ist einer, der gewöhnlich für weniger als eine Woche anreist. Verlängerte Wochenenden und Brückentage rund um Feiertage bringen das Gros der Gäste. Deshalb wäre eine Umstellung auf ganzjährige Öffnungszeiten mit einem Angebot, das auch von der lokalen Bevölkerung angenommen wird, eine Lösung.
Regionale Produkte
Im „Berdorfer Eck“ ist das gelungen. Der alte Familienbetrieb wurde von anderen Betreibern übernommen und umgestaltet. Ein Laden bietet regionale Produkte für jedermann, das Restaurant hat eine kleine Karte mit deftigen luxemburgischen Speisen, das Gebäude wird mit dauerhafter Vermietung und Gästezimmern gemischt genutzt. „Dann kann man Mitarbeiter auch ganzjährig beschäftigen“, sagt Bertholet. Saison-Arbeitsverhältnisse kombiniert mit langen Arbeitszeiten verhindern oft, dass sich Nachfolger finden.
Das ist laut Studie das zweite große Problem im Müllerthal und hat umso mehr Gewicht vor dem Hintergrund, dass das Angebot in den letzten Jahren zurückgegangen ist. 43 Betriebe haben zwischen 1995 und 2017 geschlossen. Der jüngste Fall ist die „Hostellerie de la Basilique“ im Zentrum Echternachs.
Das Hotel wird Ende des Jahres seine Türen schließen, weil es an einen „Promoteur“ verkauft wurde, der darauf Wohnungen bauen wird. „Der Besitzer ist im Pensionsalter und wird später dort wohnen“, sagt Bertholet. „Das darf man Menschen, die sehr hart gearbeitet haben, nicht verbieten.“
Nachfolge schwierig
Potenzielle Nachfolger schreckt zudem die Tatsache ab, dass viele Betriebe von Ausnahmeregelungen bezüglich der Konformität leben. Diese erlöschen, wenn der Betrieb an jemand anders übergeht. „Dann müssen sie sich in vollem Umfang den geltenden Regelungen anpassen, was oft sehr teuer werden kann“, sagt Bertholet. Aussagen wie diese gewinnen zusätzliches Gewicht, weil 90 Prozent der Hotels im Müllerthal vor 1950 gebaut wurden und „in Schuss“ gehalten werden müssen.
10 Prozent aller Beherbergungsbetriebe werden in den nächsten zwei Jahren schließen oder vom Markt verschwinden und 20 bis 40 Prozent sind mangels Nachfolge in den nächsten drei bis zehn Jahren „schließungsgefährdet“, hält die Studie fest. Allerdings haben sieben Hotels, sechs Campings und fünf Ferienwohnungsanbieter es in den letzten drei Jahren geschafft, einen Nachfolger zu finden. Auch das steht in der Studie, die noch auf einen weiteren strukturellen Aspekt hinweist.
Restriktive Gesetze für den Schutz der Natur
Das Müllerthal ist eine Region, die mit der Natur wirbt. Um sie zu erhalten, wie sie ist, herrschen sehr restriktive Gesetze zu ihrem Schutz. Neubauten oder Erweiterungen bestehender Beherbergungsbetriebe sind schwierig bis unmöglich. Chancen sieht Bertholet hier nur in Bestandswahrung durch Modernisierung. Das gilt beispielsweise für die vier Hotels im Raum Echternach. Alle liegen in Zonen, in denen nur Hotelanlagen gebaut werden dürfen. Sonst nichts.
Das Gros der 92 Interviews wurde mit Touristikbetrieben geführt. Es kamen aber auch Experten, Berufsverbände und Gemeinden zum Zug. „Wir wollten uns nicht den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass wir nur die ‚üblichen Verdächtigen‘ gefragt haben“, sagt Bertholet. „Wir haben diese Studie gemacht, um von den emotionalen Diskussionen wegzukommen. Damit erreicht man bei öffentlichen Stellen nichts.“
Bei Tourismusminister Lex Delles sind die Nachrichten angekommen. Er beendete die „Road Show“ in Sachen Förderungsmöglichkeiten für Tourismusbetriebe in der „Heringer Millen“. Sein Ministerium ist offen für Anfragen.
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