Interview / „Sein wichtigster Beitrag zur Kunstform Film“: Katharina Kubrick spricht über ihren Vater Stanley
Stanley Kubrick zählt zu den größten Regisseuren aller Zeiten – und ist doch bis heute ein Mysterium geblieben. Zum Anlass einer Retrospektive im Saarbrücker Filmhaus spricht seine Tochter Katharina Kubrick über die Arbeit mit ihrem Vater, die Schwierigkeiten von Literaturverfilmungen – und die unbelehrbare Menschheit.
Tageblatt: Frau Kubrick, Sie haben an vielen Filmen Ihres Vaters Stanley Kubrick mitgearbeitet. Gibt es einen Moment in der Zusammenarbeit mit ihm, an den Sie sich besonders gerne erinnern?
Katharina Kubrick: Während der Produktion von „Barry Lyndon“ habe ich nach Drehorten gesucht. Ich habe viele Fotos gemacht und Stanley sagte zu mir: „Das ist großartig, du hast einen sehr guten Geschmack. Vielen Dank, das ist genau das, was ich gebraucht hab.“ Dann wusste ich, dass ich den Job richtig gemacht habe. Es war wirklich schön zu spüren, dass er mir vertraut hat, den richtigen Ort zu finden, die richtigen Requisiten, die richtigen Kostüme. Er hat meinem Urteil vertraut, das ist das größte Kompliment von allen.
Vor allem von einem Mann, der als absoluter Perfektionist bekannt ist.
Stanley kannte seine Schwächen. Man stellt sich oft vor, dass er mit einem großen Ego herumlief, seine Mitarbeiter anschrie. So war er gar nicht. Er war sehr still, sehr schüchtern. Er arbeitete immer wieder mit derselben Crew. Wenn man aufs Set kam, war es sehr friedlich, sehr still. Jeder hatte seinen Job, es herrschte eine sehr ruhige Atmosphäre. Man merkte, dass jeder absoluten Respekt vor ihm hatte. Das war sehr beeindruckend. Ich habe an anderen Filmen mit anderen Regisseuren gearbeitet – da war es gar nicht so. Es gibt heute nicht mehr viele Menschen, die mit Stanley gearbeitet haben. Deshalb rede ich darüber, weil ich ihn kannte und weil ich den Leuten erzählen kann, dass er nicht so war wie diese Figur, die sie sich ausgedacht haben.
Zur Person
Katharina Kubrick, 1953 als Katharina Christiane Bruhns geboren, ist die Tochter der deutschen Künstlerin und Schauspielerin Christiane Harlan (später: Kubrick) und des deutschen Schauspielers Werner Bruhns. Katharina Kubrick wuchs jedoch mit ihrem Stiefvater Stanley Kubrick auf, an dessen Filmen sie seit „Barry Lyndon“ (1975) u.a. als Location-Scout oder Teil der künstlerischen Abteilung mitgearbeitet hat. Katharina Kubricks Großonkel ist der NS-Propaganda-Regisseur Veit Harlan („Jud Süss“), ihr Onkel Jan Harlan hat mehrere Filme von Stanley Kubrick produziert. Auch jenseits der Projekte ihres Vaters machte Kubrick Karriere in der Filmindustrie, sie arbeitete u.a. an den beiden James-Bond-Produktionen „Der Spion, der mich liebte“ und „Moonraker“ – für die sie die berühmte stählerne Zahnprothese des Bond-Bösewichts „Beißer“ entwarf.
Ihr liebster Kubrick-Film ist „Eyes Wide Shut“ (1999). Auch von Ihrem Vater ist überliefert, dass er diesen Film, der sein letzter sein sollte, für sein bestes Werk hielt. Warum „Eyes Wide Shut“?
Das ist immer auch eine Frage des persönlichen Geschmacks. Wir werden älter, wir verändern uns, unsere Lebenserfahrungen verändern uns. Wir sehen Dinge anders, ob es Musik oder Kunst oder etwas ganz anderes ist. „Barry Lyndon“, zum Beispiel, da war ich sehr involviert, das war ein Jahr meines Lebens. Der Film, der mich dazu inspiriert hat, in die Filmindustrie zu gehen. Ich mag „Eyes Wide Shut“, weil es so ein kraftvoller Film ist. Ich hatte damals eine schwere Zeit, der Film sprach zu mir auf eine sehr ergreifende Weise. Mein Vater hielt „Eyes Wide Shut“ für seinen wichtigsten Beitrag zur Kunstform Film. Obwohl er nicht wusste, dass er sterben wird, dachte er doch, dass das die Ansammlung all seiner künstlerischen Weisheit bis zu diesem Punkt war. Alles, was er über das Filmemachen wusste, steckt in diesem Film. Er hat ja auch 30 Jahre lang über ihn nachgedacht.
„Eyes Wide Shut“ basiert auf Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“, ein Buch, das Ihr Vater 30 Jahre lang mit sich rumgetragen hat. Überhaupt basieren die meisten seiner Filme auf Büchern. Hat Ihr Vater über die Schwierigkeiten gesprochen, Literatur in Film zu verwandeln?
Selbstverständlich. In den Kubrick-Archiven gibt es einen Brief von meinem Vater an den Autor John le Carré, der ihm ein Manuskript zugeschickt hatte, damit er es vielleicht verfilmt. Darin fragt sich Stanley: „Wie erzählt man eine Geschichte, für die der Autor 165.000 Wörter gebraucht hat, in den 12.000 Wörtern, die in einen zweistündigen Film passen, ohne alle zu Lebkuchenmännern zu zerdrücken?“ Es gab dieses Buch, das meine Mutter und ich sehr mochten: „Das Parfum“ von Patrick Süskind. Wir haben zu Stanley gesagt: Das ist so ein tolles Buch, das musst du verfilmen. Er antwortete: „Es eine gute Geschichte. Aber so viel von dieser Geschichte passiert in Grenouilles Kopf. Wie filmt man das?“ „Das Parfum“ wurde dann später ein Film, ein sehr guter (2006, von Tom Tykwer, Anm. d. Red.). Mein Vater hat die ganze Zeit gelesen, er las sehr schnell, Leute haben für ihn gelesen und ihm Zusammenfassungen geschickt. Manchmal hat ihn ein Besuch im Buchladen in einen Kaninchenbau geführt, den er nicht erwartet hat. Und dann gibt es diese Überraschungen. „A Clockwork Orange“ (1971) war so eine Überraschung. Meine Mutter hat ihm das Buch gegeben, weil sie Science-Fiction mag. Er konnte zuerst nichts damit anfangen. „Die Sprache ist zu schwer“, sagte er und sie sagte: „Lies es einfach.“ Man weiß nie, wann einen etwas packt. Stanley war sehr frei in dieser Hinsicht.
„Eyes Wide Shut“ ist ein sehr schönes Beispiel. In der „Traumnovelle“ gibt es so viel innere Figurenpsychologie, aber der Film textet einen nicht mit einem Voice-over-Erzähler zu.
Deshalb hat es 30 Jahre gedauert, um die Frage zu beantworten: Wie zur Hölle filme ich das? Viel hängt an den Schauspielern. Mein Vater war sich nicht sicher, ob er Nicole Kidman besetzen sollte, und dann sah er sie in dem Film „To Die For“ (1995) und fand sie absolut brillant. Wegen ihrer Fähigkeit, ihren Blick zu halten und zu schweigen. Ein wirklich guter Schauspieler gibt dir alles, während er gar nichts tut. Das ist der Unterschied zwischen Theaterbühne und Film. Das Zucken einer Augenbraue, die Bewegung eines Auges sind auf einer Zehn-Meter-Leinwand etwas komplett anderes. Eine der stärksten und faszinierendsten Szenen in „Eyes Wide Shut“ ist, wenn Kidman mit dem Rücken zur Heizung sitzt und Cruise von ihrer Fantasie erzählt.
Es ging bei ihm immer um das große Ganze
Welche Themen ziehen sich durch das Werk Ihres Vater? Was interessierte ihn?
Wir alle haben unsere persönlichen Interessen. In seinen Filmen steckt sein Geschmack, das, was ihn interessierte. Es ging bei ihm immer um das große Ganze. In „Barry Lyndon“ geht es nicht darum, eine Nahaufnahme der Protagonisten zu bekommen. Wir blicken auf sie herab wie auf Laborratten. Ein Film wie „2001 – Odyssee im Weltraum“ (1968) beschäftigt die Leute seit 50 Jahren. Manche sehen darin einen religiösen Film, die Stimme Gottes, andere sehen ihn als wissenschaftliche Science-Fiction, wieder andere lesen ihn als eine Geschichte der Wiedergeburt. Die Leute sehen in dem Film, was sie sind. Wenn man nicht religiös ist, sieht man darin nichts Religiöses. Gleichzeitig haben sie „2001“ im Vatikan gezeigt, weil der damalige Papst ein Filmliebhaber war. Für mich handelt dieser Film von allen Facetten der menschlichen Existenz. Wenn wir die prähistorischen Menschen am Anfang sehen, wie sie um das Wasserloch kämpfen: Das machen wir noch immer! Wir haben nur größere Knochen, um uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Wir haben uns kein bisschen verändert.
Man kann als Kubricks „vision du monde“ den Zusammenbruch von Ordnungssystemen in vielen seiner Filme finden. Ganz offensichtlich natürlich in „A Clockwork Orange“ oder dem Vietnamkriegsfilm „Full Metal Jacket“ (1987). Aber auch die Justiz in „Wege zum Ruhm“ (1957), die Familie in „Shining“ (1980), in „Eyes Wide Shut“ …
… die Moral! Und darin ist jeder im Publikum Experte. Wir können nachvollziehen, dass Menschen etwas falsch machen. Das Leiden der Menschen ist zum größten Teil von Menschen selbst geschaffen. Aber es gibt auch viel Hoffnung in diesen Filmen. Zum Beispiel bei „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ (1964). Das war nicht als Komödie gedacht, sondern als ernster Film. Ich erinnere mich, als ich jung war, hat man uns in der Schule erzählt: Wenn du eine Sirene hörst, versteck dich unter einem Tisch. Als ob das bei einer Atombombe etwas nützen würde! Man hat uns reingelegt, damit wir nicht in Panik geraten. Auch davon erzählt dieser Film. Manche Themen sind so groß, dass man sie nicht auf einen Satz runterbrechen kann, man muss einen Film darüber drehen.
Im Kino: Retrospektive „Kubrick komplett“
Im Filmhaus Saarbrücken läuft bis zum 23. Oktober die Retrospektive „Kubrick komplett“. Alle Termine finden Sie auf der Webseite des Kinos. Die Filme werden sowohl in der englischsprachigen Originalversion als auch in der Originalversion mit deutschen Untertiteln und in deutscher Synchronisation gezeigt.
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