Editorial / „Shampoo-Gate“ und Stereotype: Über die Genderdebatte im Skispringen
Ja, haben wir denn noch immer 1989? Wer dachte, dass Episoden wie das famose Kaffeeservice, das die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen für ihren damaligen EM-Sieg erhielt, endgültig den Geschichtsbüchern angehören, der wurde in den vergangenen Tagen wieder einmal eines Besseren belehrt. Inzwischen wird in den internationalen Medien bereits vom „Shampoo-Gate“ gesprochen. Ein Fauxpas, der die Genderdebatte im internationalen Sport auch zu Beginn des neuen Kalenderjahres weiter in den Blickpunkt rückt und deutlich zeigt, warum – auch wenn es viele vielleicht schon gar nicht mehr hören können –, unbedingt weiter hierüber gesprochen werden muss.
Vielleicht war es einfach als nette Geste gedacht? Bevor die Siegerin der Qualifikation der Two-Nights-Tour in Garmisch-Partenkirchen gar nichts erhält, gibt es eine kleine Aufmerksamkeit. Doch wer mit der Idee eines Partnerbag, bestehend aus Duschgel und Handtüchern, kam, hätte dann doch lieber zweimal darüber nachdenken sollen. Denn genau dies erhielt die deutsche Skispringerin Selina Freitag und sorgte im anschließenden ARD-Interview mit ihrer Erzählung für mächtig Verwunderung. Zum Vergleich: Ein Qualifikationssieger bei den Herren erhält 3.000 Schweizer Franken. „Das wirkt dann so wie, wir hatten leider keinen 500er mehr übrig“, meinte Freitag und hat damit vollkommen recht.
Nun betrifft es auch noch eine Sportart, die wie kaum eine andere gegen uralte Stereotype ankämpfen muss und dadurch in ihrer Entwicklung anderen Disziplinen meilenweit hinterherhinkt. Es fällt schwer zu glauben, dass in der Vergangenheit immer wieder „medizinische Ursachen“ als Ausrede dafür genannt wurden, Frauenwettkämpfe im Skispringen zu ermöglichen. Der ehemalige Präsident des Skiweltverbandes Gian Franco Kasper, der diesen Posten von 1998 bis 2021 innehatte, war beispielsweise überzeugt davon, dass „den Frauen bei der Landung die Gebärmutter platzen würde“. Behauptungen, die tatsächlich ernst genommen wurden und das Frauenskispringen über Jahrzehnte hinweg ausbremsten. Denn gerade einmal vor elf (!) Jahren, 2014 in Sotschi, feierte das Skispringen der Frauen seine Olympiapremiere. Bei der WM 2021 durften Frauen erstmals überhaupt eine Titelträgerin auf der Großschanze ermitteln. Im vergangenen März folgte dann erst der erste Weltcup überhaupt im Skifliegen. Eine Disziplin, die für Frauen lange als zu risikoreich betrachtet wurde. Oder war es nur die Angst, dass sie vielleicht einmal in der Lage sein werden, gleiche Weiten wie die Männer hinzulegen? Dass dies möglich sein kann, ist nämlich längst nicht mehr ausgeschlossen.
In einer Zeit, in der Mixed-Wettbewerbe immer populärer werden, hat es das Skispringen, auch mit seinem Aushängeschild Vierschanzentournee, eindeutig verpasst, auf den Modernisierungszug aufzuspringen. Die „Shampoo-Posse“ ist hoffentlich der letzte Weckruf für die Entscheidungsträger dieser Sportart. Dass man sich damit sichtlich blamiert hat, das scheint den Verantwortlichen der FIS inzwischen klar geworden zu sein, und somit kündigten sie am Montag nicht nur einen gemeinsamen Kalender mit den Herren für 2026/27, sondern auch mehr Skifliegen und mehr Geld an. Dass sich Investitionen in den Frauensport lohnen, das haben inzwischen viele Sportverbände verstanden, vielleicht ist es 2025 auch endlich im Skispringen angekommen. Sonst wäre es an der Zeit, den Verantwortlichen einmal ordentlich den Kopf zu waschen.
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