/ Sich glücklich singen im „Gudde Wëllen“: Konzept von Chor-Institut aus Luxemburg ist ein voller Erfolg
Karaoke fordert Überwindung. Der Sänger steht alleine vor einem Publikum, im Hintergrund läuft eine Melodie, vor ihm ein Bildschirm mit dem Songtext. Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Das liegt nicht jedem. Für alle, die gerne singen, dabei aber lieber in der Masse versinken, gibt es seit Anfang des Jahres Choraoke. Ein Konzept, das vom „Institut européen de chant choral Luxembourg“ (Inecc) ins Leben gerufen wurde.
In der kleinen Gasse zwischen der place Clairefontaine und dem Gerichtshof ist der Gesang nicht zu überhören. Die fröhlichen, wenn auch manchmal schiefen Töne kommen vom ersten Stock des Cafés „de Gudde Wëllen“.
Seit Januar findet hier einmal im Monat das sogenannte Choraoke statt. Das Konzept gleicht dem des klassischen Karaoke: singen und dabei Spaß haben – Vorkenntnisse nicht erforderlich. Der wesentliche Unterschied: Es betritt nicht nur einer die Bühne und singt vor Publikum. Stattdessen animiert eine Live-Band das Publikum und alle singen mit. Der Songtext wird auf eine große Leinwand neben der Bühne projiziert.
Arend Herold ist seit über einem Jahr Inecc-Direktor. Der 42-Jährige hat die Mission des Instituts klar vor Augen: den Gesang im Allgemeinen fördern. Nicht nur den Chorgesang. Es sei immer schwieriger, Menschen für das gemeinsame Singen zu begeistern. „Das Bild des Chors ist verstaubt“, sagt Herold. Junge Menschen würden dabei oft an die Kirche denken. Das sei natürlich weniger attraktiv.
Nachwuchsmangel in Chören
Das will das Inecc ändern. Am Anfang steht also die Frage, wie den Menschen wieder die Freude am gemeinsamen Singen vermittelt werden könnte. Choraoke ist das Resultat. Ein Abend, an dem in entspanntem Rahmen zusammen gesungen wird. Der Eintritt ist frei. Niemand, der mitsingt, muss davor im „Solfège“ gewesen sein und es gibt keinerlei Verpflichtungen. „Jeder kann so oft mitmachen, wie er möchte. Und wer zwischendurch eine Pause braucht, kann auch mal runtergehen.“
Dass jemand, der nicht daran gewöhnt ist, zu singen, beim Choraoke eine Pause braucht, ist nicht unwahrscheinlich. Denn Singen ist ganz schön anstrengend. Das belegen die Schweißtropfen, die sich im Laufe des Abends auf mehr als einer Stirn bilden. Was sich neben den Schweißperlen noch auf den Gesichtern der singenden Menge abzeichnet, ist ein breites Grinsen. „Die Dynamik, die hier entsteht und bei der sich die Menschen gegenseitig mitreißen, macht einfach glücklich“, sagt Elisa Baiocchi, Kommunikationsbeauftragte des Inecc.
Das bestätigt Arend Herold. Singen hat viele positive Auswirkungen auf Körper und Geist. „Es befreit“, sagt er. Obwohl er am Anfang nicht immer Lust hatte, zur Chorprobe zu gehen, sei er noch nie unglücklich aus einer zurückgekommen. Sobald er die ersten Töne singt, gehe es ihm immer besser. Die positiven Effekte des gemeinsamen Singens haben offenbar schon einige Besucher des Choraoke für sich entdeckt. „Es gibt ein paar Gesichter, die wir hier regelmäßig wiedersehen“, freut sich Herold. Die Stammgäste brächten auch immer neue Freunde mit. So werden die Gruppen immer größer. Am vergangenen Dienstag war der Saal jedenfalls voll.
Zoé ist eine derjenigen, die auf den Geschmack gekommen sind. Nachdem sie den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und gearbeitet hat, ist Choraoke genau das Richtige. „Ich habe mich schon richtig darauf gefreut“, erzählt sie begeistert. Auch dass es schon um kurz nach 21 Uhr vorbei ist, findet sie gut. So wird am Dienstagabend niemand seines Schönheitsschlafes beraubt.
Durchdachte Songauswahl
Die Live-Band ist seit Januar dieselbe. Herold hat die aus fünf jungen Musikern bestehende Gruppe zusammengestellt. Claude Zeimes am Keyboard, Bob Minette an den Drums, Tom Heck abwechselnd an Bass oder Gitarre. Andy Loor und Lynn Berchem singen beide. Ihre Aufgabe liegt vor allem darin, das Publikum zum Mitmachen zu motivieren.
Das gelingt ihnen mit ihrer positiven Art und einer gut durchdachten Songauswahl. Sie spielen gezielt Stücke, die alle kennen. „Überwiegend Pop aus den 70ern, 80ern, 90ern und von heute“, sagt Elisa Baiocchi. Die Band geht aber auch auf die Wünsche des Publikums ein. Als sich am Ende des Abends eine Frau im Publikum „Lovefool“ von The Cardigans wünscht, spielt die Band den Song sofort – der volle Saal stimmt ein.
Andy Loor ist ausgebildeter Sänger und Chordirigent. Er schafft es, den Choraspekt mit reinzubringen, und fordert das Publikum dann und wann dazu auf, mehrstimmig zu singen. Lynn Berchem ist Grundschullehrerin und eher zufällig zur Band gestoßen. Durch ihre Abschlussarbeit über Musik in der Grundschule ist sie mit dem Inecc in Kontakt gekommen. Dort erkennt man ihr Talent sofort. „Wir wollten sie unbedingt dabeihaben“, sagt Loor, der von der Stimme seiner Bühnenpartnerin schwärmt.
Mal mehr, mal weniger Disney
Berchem liebt das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und mit Menschen zu singen. Die Band harmoniere einfach und das übertrage sich aufs Publikum. Ein Publikum, das jedes Mal anders ist. „Wir wissen nie, was uns erwartet und welche Menschen wir gerade vor uns haben“, erzählt Andy Loor. Beim ersten Mal seien viele ältere Menschen dabei gewesen, diesmal haben sie vor einer jüngeren Mitsingerschaft gespielt. Manchmal kämen Disney-Songs sehr gut an, an anderen Tagen sei das Publikum eher zurückhaltend.
Drummer Bob Minette hatte nicht mit dem großen Erfolg des Choraoke gerechnet. Bei der ersten Auflage waren sich Musiker und Veranstalter unsicher gewesen, ob überhaupt jemand kommen würde. „Nachdem wir dann drei Akkorde gespielt hatten, kam uns eine Wand an Gesang entgegen – jeder hat sofort mitgemacht,“ Seitdem ist die Band richtig motiviert, einmal im Monat dem „Gudde Wëllen“ richtig einzuheizen.
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