Bulgarien / Siebte Parlamentswahl in drei Jahren: Florierender Stimmenkauf – und immer weniger Wähler
Zum siebten Mal in drei Jahren haben die Bulgaren am Sonntag ihr Parlament zu wählen. Populistische und prorussische Parteien hoffen auf Zugewinne. Klare Mehrheiten sind zwar erneut nicht in Sicht. Doch trotz des schwindenden Interesses der ermatteten Wähler floriert wieder einmal der Stimmenkauf.
Der Lockruf der Urnen findet bei den ermatteten Bulgaren kaum mehr Gehör. Schon bei der letzten Parlamentswahl im Juni war die Wahlbeteiligung mit 34 Prozent auf einen historischen Tiefstand gesackt. Am Sonntag könnte bei der siebten Parlamentswahl in dreieinhalb Jahren der Wählerzuspruch erstmals gar unter ein Drittel sinken.
Wenn nicht „eine Art Kompromisskabinett“ zustande komme, sei im nächsten Jahr mit der achten vorgezogenen Neuwahl in Folge zu rechnen, unkt bereits das Portal „dnevnik.bg“: „Damit wird Bulgarien Weltrekordhalter.“ Wahlfieber kommt bei Bulgariens endlosen Wahltrauerspielen tatsächlich schon längst keines mehr auf. Der Wahlkampf verlaufe „so still und unauffällig, dass man sich fragt, ob er überhaupt stattfindet“, ätzt die Wochenzeitung Sega.
Die Politiker wissen, dass die meisten Wähler kein Vertrauen in sie haben. Deshalb sehen sie keinen Sinn darin, ihre Finanzen und Ressourcen in Wahlkampagnen zu stecken, sondern investieren lieber in Tricks, die ihnen sichere Stimmen bringen.
Die Zahl der Wahlwilligen schwindet. Und wer noch wählen geht, kreuzt oft populistische, nationalistische und prorussische Parteien an. Die rechte Gerb-Partei von Ex-Premier Bojko Borissow führt in den letzten Umfragen mit 24 Prozent der Stimmen klar vor dem Anti-Korruptionsbündnis PP-DB (14 Prozent). Die russophilen Nationalisten der „Wiedergeburt“ (13 Prozent) hoffen wie andere kleinere populistische Parteien auf Zugewinne. Die beiden Nachfolger der zerfallenen Oligarchenpartei DPS kämpfen derweil verbissen um die Vorherrschaft bei den Wählern der türkischen Minderheit.
Umgerechnet 250 Millionen Euro hat das ärmste EU-Mitglied bereits für die letzten sechs vergeblichen Wahlen verpulvert, 50 weitere Millionen werden am Sonntag hinzukommen. Zwar gelobt der mutmaßliche Wahlsieger Gerb im Stimmenstreit mal wieder den Neuanfang. Doch egal, ob wie erwartet sieben oder bei sehr niedriger Wahlbeteiligung gar neun Parteien der Sprung über die Vierprozenthürde gelingen sollte: Klare Mehrheiten sind erneut nicht in Sicht.
Präsident gestärkt
Ein mühsamer Koalitionspoker ist sicher, eine Regierungsbildung wieder einmal ungewiss. Nur nach zwei der letzten sechs Wahlen hatte sich zumindest die PP-DB an eine Regierungsmission gewagt – und war beides Mal von ihren Koalitionspartnern früh ins Straucheln gebracht worden.
Zuletzt hatte im Frühjahr die Gerb das prowestliche Zweckbündnis mit der unbequemen, auf Justizreformen pochenden PP-DB bereits nach neun Monaten platzen lassen, um per Neuwahl den anvisierten Pakt mit der pflegeleichteren Oligarchenpartei DPS zu forcieren. Doch die Kalkulation ging nicht auf: Die DPS zerfiel in einem heftigen Machtkampf, bevor sie der geplanten Gerb-Minderheitsregierung überhaupt in den Sattel helfen konnte.
Die zur Mehrheitsbildung unfähigen Parlamentsparteien stärken die Position des russophilen Präsidenten Rumen Radew: Von erfolgloser Wahl zur erfolglosen Wahl und von einer von Radew ernannten Übergangsregierung zur nächsten wandelt sich der Balkanstaat mehr und mehr von einer parlamentarischen in eine präsidiale Demokratie: Seit 2021 wurde Bulgarien länger von durch Radew eingesetzte Interimsregierungen als durch gewählte Regierungen geführt.
Stimmenkauf
Laut einer jüngsten Gallup-Umfrage ist das Vertrauen der Bulgaren in das Parlament der regierungsunfähigen Volksvertreter mittlerweile auf zehn Prozent geschrumpft – der mit Abstand niedrigste Wert in der EU. Mit zehn Prozent unverändert hoch ist derweil der Anteil derjenigen Wahlberechtigten, die sich den Verkauf ihrer Stimme „vorstellen“ könnten.
Über 230 Anzeigen wegen des Verdachts von Stimmenkauf hat die Polizei bereits registriert. Der Ermittlungseifer hält sich allerdings in Grenzen: Der Polizist, der in der Provinzstadt Velingrad die von seinem Chef versuchte Vertuschung von Stimmenkäufen durch die neue Partei des Medienmoguls Deljan Peewski an die Öffentlichkeit gebracht haben soll, wurde vom Innenministerium wegen „Verstoßes gegen die Disziplin“ vom Dienst suspendiert.
Den kräftig florierenden Stimmenkauf, bei dem bis zu 150 Euro pro Wähler geboten werden sollen, erklärt Sega auch mit der geringen Wahlbeteiligung. Selbst Parteien mit weniger als 100.000 Stimmen könnten mittlerweile ins Parlament einziehen, rechnet das Blatt vor: „Die Politiker wissen, dass die meisten Wähler kein Vertrauen in sie haben. Deshalb sehen sie keinen Sinn darin, ihre Finanzen und Ressourcen in Wahlkampagnen zu stecken, sondern investieren lieber in Tricks, die ihnen sichere Stimmen bringen.“
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