/ Sind „Ronde“ und Giro überhaupt kompatibel? – Erkenntnisse aus der Flandern-Rundfahrt
Die Flandern-Rundfahrt 2019 sorgte für einige Überraschungen. Was das Rennen für Bob Jungels bedeutet und was man sonst noch zurückbehalten kann.
Wird Jungels die Flandern-Rundfahrt eines Tages gewinnen?
Das Potenzial dazu hat der Luxemburger auf jeden Fall, das hat er in den vergangenen Wochen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Am Sonntag fehlte es dem 26-Jährigen allerdings an der nötigen Frische. Er ist diese Saison bei jedem Rennen mit Ambitionen gestartet, was körperlich und mental eine enorme Belastung war. Während Jungels bei Paris-Nice in jeder Etappe an seine Grenzen gehen musste, da er auf das Gesamtklassement fuhr, suchten sich die Klassiker-Spezialisten den einen oder anderen Tagesabschnitt aus, um sich zu testen. An den anderen Tagen hielten sie sich zurück. Will Jungels die Flandern-Rundfahrt oder Paris-Roubaix – ein Rennen, das ihm noch eher liegen sollte – gewinnen, dann muss er spezifisch darauf hinarbeiten. Das alleine ist allerdings keine Erfolgsgarantie. Der Belgier Greg van Avermaet ist die Flandern-Rundfahrt nunmehr 13 Mal gefahren und zählte meistens zu den Favoriten. Achtmal schaffte er es unter die Top 10, dreimal stand er auf dem Podium. Mit einem Sieg hat es bisweilen noch nicht geklappt. Die „Ronde“ bleibt unberechenbar.
Braucht es Erfahrung, um die Ronde gewinnen zu können?
Oftmals wird behauptet, dass man ohne Streckenkenntnisse keine Chance bei der Flandern-Rundfahrt habe. Die Ergebnisse der diesjährigen Ausgabe sprechen allerdings dagegen. Gleich vier „Ronde“-Neulinge schafften den Sprung in die Top 10: Kasper Asgreen (Platz 2), Mathieu van der Poel (4), Michael Matthews (6) und Alejandro Valverde (8). Hinzu kommt noch Bob Jungels als 16. Es ist durchaus möglich, als Neuling vorne mitzuhalten, dennoch spielt Erfahrung bei den Flandern-Klassikern eine größere Rolle als in anderen Rennen. Bei der „Ronde“ geht es wesentlich taktischer zu als zum Beispiel bei den Ardennen-Klassikern. Bei Liège-Bastogne-Liège oder dem Amstel Gold Race reicht es – vorausgesetzt, man hat die Kraft dazu – bis zum Finale dranzubleiben und dann zu attackieren. Wer bei der Flandern-Rundfahrt an wichtigen Streckenabschnitten schlecht platziert ist, für den kann das Rennen bereits vorzeitig gelaufen sein, ganz gleich, wie gut die Beine sind.
Hätte man Bettiol auf der Rechnung haben müssen?
Der Sieg von Alberto Bettiol ist definitiv eine Überraschung gewesen. Es ist aber nicht so, als wäre der Italiener aus dem Nichts gekommen. Immerhin landete er beim E3 Harelbeke, der Generalprobe für die „Ronde“ – auf dem vierten Platz. Vor der Saison 2018 hatte BMC den Italiener als Helfer für Greg van Avermaet verpflichtet. Die Saison lief enttäuschend und Bettiol wechselte zurück zu EF Education First. Bereits bei Tirreno-Adriatico stellte der 25-Jährige mit Platz zwei im Zeitfahren sein Talent unter Beweis. Mit ihm ist für die Zukunft zu rechnen.
Hat schon einmal ein Flandern-Sieger eine Grand Tour gewonnen?
Eine Frage, die vor allem die Fans von Bob Jungels interessieren dürfte. Am Donnerstag reist der Luxemburger für drei Wochen in die Sierra Nevada ins Höhentrainingslager. Dort bereitet er den Giro d’Italia vor, bei dem er wieder eine gute Platzierung im Gesamtklassement anstrebt.
Ein Sieg bei einer Grand Tour sowie der Flandern-Rundfahrt gelangen seit der ersten Austragung der „Ronde“ bloß einer Handvoll Fahrern. Der Letzte, der Giro und „Ronde“ in einem Jahr gewonnen hat, war ein Italiener. 1951 setzte sich Fiorenzo Magni bei der Flandern-Rundfahrt und dem Giro durch. Ein ähnliches Kunststück gelang Eddy Merckx 1969 mit der „Ronde“ und der Tour de France. Die gleichen Rennen gewann der Franzose Louison Bobet 1955.
Einige weitere Fahrer haben die Flandern-Rundfahrt und eine Grand Tour in verschiedenen Jahren gewonnen: der Belgier Michel Pollentier (Giro 1977, „Ronde“ 1980) und der Deutsche Rudi Altig (Vuelta 1962, „Ronde“ 1964). Der letzte Fahrer, dem das gelang, war der Italiener Gianni Bugno, der 1990 die Italien-Rundfahrt und 1994 die „Ronde“ für sich entschied. Seitdem hat sich der Radsport stark verändert und die Fahrer haben sich immer stärker entweder auf Klassiker oder große Rundfahrten spezialisiert.
Wer hat überrascht, wer hat enttäuscht?
Die größte Überraschung war Mathieu van der Poel. Der niederländische Cyclocross-Weltmeister konnte nicht nur mit den Besten mithalten, sondern drückte dem Rennen seinen Stempel auf. Nach einem Sturz kämpfte er sich sogar wieder in die Favoritengruppe zurück und animierte das Rennen. Wer weiß, ob er ohne dieses Missgeschick Bettiol hätte folgen können?
Ebenfalls überrascht hat der Däne Kasper Asgreen mit Platz zwei. Ihn hatte niemand für das Finale auf der Rechnung, nicht einmal sein eigenes Team Deceuninck – Quick Step. Das Team um Bob Jungels hat zwar nicht direkt enttäuscht, dennoch hätte man etwas mehr erwartet. Das Team war im Finale stark vertreten, man hatte aber nicht den Eindruck, als könnten sie um den Sieg mitfahren. Das Gleiche gilt für Greg van Avermaet (10. Platz), Peter Sagan (11.) und das Trek-Team mit Jasper Stuyven (19.) und Mads Pedersen (DNF).
Enttäuschend bleibt die Ansetzung des Damenrennens. Wie bei den Herren gehört die „Ronde“ der Damen ebenfalls zu den schönsten Rennen des Jahres. Da die Organisatoren die Zielankunft der Damen jedes Jahr zu dem Moment ansetzen, in dem das Rennen der Herren in die entscheidende Phase geht, ist das Interesse am Damenrennen nicht so groß, wie es sein könnte. Das wird der Leistung von Majerus und Co. nicht gerecht. Die Organisatoren könnten sich überlegen, die Ankunft der Damen eine Stunde früher zu planen. Das würde bereits helfen.
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