Belüftungsserie – Teil 2 / So kann sich das Coronavirus durch die Belüftungsanlagen verbreiten
Beim Atmen, Husten und Sprechen entstehen winzige Schwebeteilchen in der Luft, die das Coronavirus enthalten können. Eine Belüftungsanlage kann diese Teilchen je nach Modell durch den ganzen Raum verteilen.
Hände waschen, Maske tragen und Distanz behalten: Das predigt die Luxemburger Regierung seit dem Beginn der Corona-Krise über alle Kommunikationskanäle. Doch es gibt noch eine vierte Schutzmaßnahme, die von der „Santé“ empfohlen wird: das regelmäßige Lüften eines Raumes. Obwohl es oft aus dem staatlichen Sicherheits-Trio ausgeschlossen wird, handelt es sich dabei um ein weiteres wichtiges Standbein des Kampfes gegen das Virus.
Die Übertragung des Coronavirus kann bekannterweise über die Luft stattfinden (siehe Belüftungsserie Teil 1) Beim Ausatmen entstehen zwei ansteckende Tröpfchenarten: Aerosole und größere Tröpfchen. Die schweren Tröpfchen fallen schnell auf den Boden – Aerosole können hingegen für Stunden in der Luft hängen bleiben, erklärt Professor Claude Muller von der Luxemburger „Infectious Disease Unit“. „Wie sich diese Teilchen bewegen, kann man beobachten, wenn man duscht und danach das Fenster öffnet – im richtigen Licht sieht man die Tröpfchen des Wasserdampfes durch das Badezimmer schweben“, sagt Muller im Gespräch mit dem Tageblatt.
Laut einem Untersuchungsbericht der europäischen Gesundheitsorganisation „European Centre for Disease Prevention and Control“ (ECDC) ist die Übertragung von Covid-19 besonders effizient bei einem langen Aufenthalt in überfüllten, engen Innenräumen ohne ausreichende Belüftung. Auch Muller weist darauf hin, dass regelmäßiges Austauschen der Raumluft wichtig sei: „Die Viren sammeln sich mit der Zeit im Raum an, deswegen muss man auch mindestens jede Stunde einmal lüften.“ Das gehe manuell mit Stoßlüften oder automatisch per Belüftungsanlage.
Was ist ein gut belüfteter Raum?
Was genau einen gut belüfteten Raum ausmacht, weiß Gilles Christnach, Direktor des Ingenieurbüros „Betic SA ingénieurs-conseils“. „Ein Mensch benötigt eine bestimmte Menge an Frischluft, damit Komfort und Gesundheit gewährleistet sind.“ Pro Person sollen zwischen 25 und 35 Kubikmeter Frischluft pro Stunde vorgesehen sein – das hänge von der Aktivität ab. Weniger Frischluft ist energetisch besser, „aber die Luftqualität muss trotzdem ausreichend sein“, sagt Christnach.
Der konstante Austausch der Raumluft könne durch regelmäßiges Fensterlüften oder eine Belüftungsanlage erreicht werden. „Grundsätzlich haben Belüftungsanlagen zwei Funktionen: Luftqualität erhöhen und Raumkomfort garantieren“, erklärt Christnach. Die Luftqualität werde vor allem von Geruch, Luftfeuchtigkeit und CO2-Gehalt bestimmt. Er ist allerdings der Meinung, dass die Komfortfunktion in öffentlichen Gebäuden oft zu stark genutzt wird: „Sie sind selbst sicher schon einmal in ein Shoppingcenter gekommen und dachten: ‚Oh, hier ist es kalt’.“ Wenn die Klimaanlagen nicht richtig eingestellt ist, dann sei es oft zu trocken und zu kalt. „Der Körper fühlt sich dann nicht wohl“, so der Ingenieur.
Die Luftfeuchtigkeit spiele eine wichtige Rolle beim Wohlfühlfaktor. Duschen, Kochen, Schwitzen: Der Mensch produziere konstant Feuchtigkeit im Haus, welche über die Abluft nach außen transportiert werde. Bei den Häusern mit der Energieklasse „AAA“, die in den ersten zehn Jahren gebaut wurden, komme es vor, dass die Luft zu trocken sei. „Da wird die kalte und trockene Frischluft zwar aufgewärmt, aber nicht befeuchtet“, sagt Christnach. Mittlerweile sei die Technik allerdings so weit, dass Methoden gefunden wurden, um die Luftfeuchtigkeit der Abluft auf die Zuluft zu übertragen.
Wie funktioniert eine Belüftungsanlage?
Unter den Belüftungsanlagen gebe es etliche Varianten. Grob gesehen könne man die Systeme in zwei Kategorien aufteilen: Umluft und Frischluft. In verschiedenen Supermärkten sehe man Umluftanlagen zum Beispiel sehr gut: „An der Decke hängen dann große Kassetten mit einem Gitter und angeschlossene Rohre“, erklärt Christnach. Ein solches Umluftgerät sauge die Raumluft ab, heize oder kühle sie und drücke sie wieder zurück in den Raum. Das spare Energie und sei billiger – „weil die kalte Frischluft nicht erwärmt werden muss“, erklärt der Ingenieur. Da diese Anlagen jedoch keine Frischluft in das Gebäude einbringen, müsse jede Belüftungsanlage auch zum Teil mit Außenluft arbeiten.
Die Gesundheit ist momentan eben wichtiger als die EnergieDirektor des Ingenieurbüros „Betic SA ingénieurs-conseils“
„Grundsätzlich wird oben im Raum die verbrauchte Luft abgesaugt, weil warme und feuchte Luft nach oben geht“, sagt Christnach. Diese Luft werde dann mit Außenluft ausgetauscht und auf die richtige Temperatur gebracht. Durch Wärmerückgewinnung sei dies auch energieeffizient möglich. Dafür gebe es mehrere Systeme: Der Kreuzstromwärmetauscher besteht aus mehreren nebeneinander angeordneten Platten. Außenluft und Raumluft strömen – getrennt durch eine Platte – aneinander vorbei und übertragen so die Hitze. Luftfeuchtigkeit werde dabei allerdings nicht übertragen.
Eine Methode, die in den vergangenen Jahren an Beliebtheit gewonnen habe, sei der Rotationswärmetauscher, der auch die Feuchtigkeit transferiere, sagt Christnach. Hier gebe es allerdings ein Problem: „Prinzipiell ist das System gut und energetisch sinnvoll, aber jetzt mit dem Coronavirus könnte das eventuell verheerend sein.“
Wie kann sich das Virus verbreiten?
Da sich die Aerosole in der Luftfeuchtigkeit aufhalten, sei es je nach Belüftungssystem möglich, dass die Maschinen das Virus auf die Frischluft übertragen würden. „Das Virus wird also abgesaugt, fällt auf das Rad des Rotationswärmetauchers und könnte bei großer Leckage im Rad wieder zurück in den Raum geschleudert werden – das Endresultat könnte also dasselbe sein wie mit einem Umluftgerät“, erklärt Christnach.
Bei der Verbreitung eines Virus seien reine Umluftgeräte eine „absolute Katastrophe“. „Wenn ich also jetzt niese, dann werden die Partikel von der Umluftanlage eingesaugt, leicht aufgeheizt und dann wieder ins Gebäude zurückgedrückt – so wird das Coronavirus überall verteilt“, erklärt Christnach. Die ECDC listet in dem Dokument „Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen im Zusammenhang mit Covid-19“ mehrere Fälle auf, bei denen eine Umluftanlage das Virus in einem geschlossenen Raum verbreitet hat.
Es sei wichtig, zu überprüfen, welche Lüftungsgeräte in den Gebäuden installiert sind, denn nicht jedes Befeuchtungssystem arbeite mit diesem Rotationswärmetauscher. Auf die integrierten Filter kann man sich laut Christnach nicht verlassen: „Die Belüftungsanlagen putzen zwar die Luft, aber sehr kleine Partikel wie das Coronavirus filtern sie nicht raus.“ Die ECDC empfiehlt dafür „High-Efficiency Particulate Air“-Filter (HEPA), die zum Beispiel in Flugzeugen und im Gesundheitswesen zum Einsatz kommen.
„Man soll jetzt keine Panik mit solchen Systemen machen, aber es ist eben wichtig, dass man schaut, welche Art von Belüftungsanlage im Gebäude eingerichtet ist.“ Bei den Geräten mit Rotationswärmetausch sei es möglich, bei Verdacht das Rad einfach zu stoppen. Es komme zwar noch Frischluft rein, aber die werde dann nicht mehr mit Energierückgewinnung geheizt. „Die Gesundheit ist momentan eben wichtiger als die Energie“, betont der Ingenieur. Die richtige Lüftungsanlage sei trotzdem immer noch die beste Möglichkeit, gegen das Virus vorzugehen.
Gilles Christnach ist auch Mitglied des „Ordre des architectes et des ingénieurs-conseils“ (OAI) und erhofft sich eine Zusammenarbeit mit medizinischen Experten. „Virologen und Haustechniker vom OAI müssten sich zusammensetzen und eventuelle Schwachstellen der verschiedenen Systeme finden“, sagt er. „Ich würde gerne einen Experten befragen, der mir sagen kann, wie lange solche Tröpfchen in den Belüftungsschächten überleben.“
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