Klimaneutrale Kommunen / So können Gemeinden die Energietransition beschleunigen
Wie kann man die Energietransition beschleunigen? Diese Frage betrifft nicht nur die Regierung, die Gemeinden müssen sich ebenfalls mit dem Thema Klimaneutralität beschäftigen. Vor allem, weil sie noch näher beim Bürger sind. Finanzielle Hilfsmittel sind wichtig, reichen allerdings nicht aus. Das Tageblatt hat sich angeschaut, welche kommunalen Maßnahmen Sinn ergeben.
Klimaneutral bis 2030: Diese Maßnahmen ergreift Niederanven
Die Haushalte der Gemeinde Niederanven sollen bis 2030 klimaneutral sein. Damit das auch funktioniert, hat die Kommune mehrere Maßnahmen ergriffen. Das Tageblatt hat mit dem Schöffenrat über die wichtigsten Schritte gesprochen.
Hohe Prämien
Ein Niederanvener erhält beim Kauf einer Fotovoltaik-Anlage, zusätzlich zu den staatlichen Hilfen, noch einmal 50 Prozent der staatlichen Hilfe von der Gemeinde. Der Schöffenrat hat diese Maßnahme im November 2023 eingeführt. Dadurch ist es möglich, je nach Modell, knapp 94 Prozent der Kosten zurückerstattet zu bekommen. Damit scheint die Kommune Erfolg zu haben. „Wir haben in den vergangenen neun bis zehn Monaten mehr Anfragen für eine Fotovoltaik-Anlage erhalten, als in den vorigen zehn Jahren“, sagt CSV-Bürgermeister Fréd Ternes. Von 2013 bis Juni 2023 wurden in Niederanven etwa 100 Fotovoltaik-Anlagen installiert. Seit Juli 2023 und bis zum 7. Mai hat die Gemeinde 144 Anfragen erhalten.
„Als wir vergangenen Juli in der Schöffenratserklärung angekündigt haben, dass wir auf 50 Prozent hochgehen, sind die Anfragen angestiegen“, sagt Ternes. In Niederanven gibt es – im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden – kein Limit für die Höhe der Finanzspritzen. „Ich finde das schade, weil schlussendlich sind es dann keine 50 Prozent. 50 Prozent klingt dann gut, aber in Wirklichkeit sind es die nicht“, so Ternes.
Niederanven gehört zu den reicheren Kommunen des Landes. Ist diese Maßnahme also überhaupt für andere Gemeinden umsetzbar? „Wenn man sich das Budget der Gemeinden anschaut, findet man sehr viele Ausgaben von einem ähnlichen Betrag – auch bei Kommunen mit weniger finanziellen Reserven – und dann ist es eine Sache der Priorisierung“, sagt Ternes. Investitionen in Fotovoltaik-Anlagen würden seiner Meinung nach mehr bringen als verschiedene Ausgaben, die in den Budgets anderer Kommunen zu finden sind.
Keine administrativen Hürden
In Niederanven muss man keine Baugenehmigung für eine Fotovoltaik-Anlage anfragen. Trotzdem schreiben Handwerksbetriebe die Gemeinde regelmäßig an, weil sie nichts von dieser administrativen Vereinfachung wissen. „Die Menschen erhalten dann normalerweise innerhalb von zwei bis drei Tagen eine Antwort, in der drinsteht, dass der Bürgermeister nicht ablehnt und dass wir ihnen gratulieren“, sagt Ternes. Das würde sowohl den Bürgern als auch der Verwaltung Zeit sparen. Jede Gemeinde könne diesen Schritt gehen und verschiedene hätten dies schon getan, meint Ternes.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Die Gemeinde investiert auch selbst in Fotovoltaik-Anlagen. Die alte Installation auf dem Gemeindehaus wird von 30 auf 140 Kilowatt-Peak (kWp) verbessert. Hinzu kommen eine neue Anlage auf dem Syrdall-Schwimmbad (220 kWp), an dem die Gemeinde Niederanven zu 70 Prozent beteiligt ist. Auf dem Kulturhaus entsteht eine Anlage (120 kWp) als Teil einer Energiekooperative. Auf dem CIPA-Seniorenheim Gréngewald wurden vor kurzem 240 kWp als Teil einer weiteren Energiekooperative installiert. Auf der „Maison relais“ sollen 130 kWp installiert werden, gegenüber davon auf dem Carport beim „am Sand“ 500 kWp und dann noch einmal über dem Parking vor dem Schwimmbad 130 kWp.
Pflicht bei Neubauten
Bei neuen Bauprojekten muss in Niederanven bereits eine Fotovoltaik-Anlage vorgesehen sein. Die Installation muss mindestens 50 Prozent der Dachfläche mit Paneelen bedecken. Meistens würden die Bauherren sich allerdings für eine Maximalbelegung entscheiden. „Unterm Strich ist es ein gutes Geschäft für jeden“, sagt CSV-Schöffe Jacques Bauer. Fotovoltaik-Anlagen würden im Budget eines Bauprojektes weniger als ein Prozent des gesamten Budgets darstellen. Von den niedrigeren Stromkosten würden dann auch die Mieter profitieren. „Diese Regelung ist Ende des Jahres in Kraft getreten – seitdem hatten wir noch nicht sehr viele Baugenehmigungsanfragen. Aber es fängt an, wieder anzusteigen“, sagt Bürgermeister Ternes. Er habe im vergangenen Monat mehr Baugenehmigungen unterschrieben als in den neun vorigen Monaten zusammen.
Windräder
Damit die Haushalte bis 2030 klimaneutral funktionieren, reichen Fotovoltaik-Anlagen allerdings nicht aus. Der Grund: Die Elektrifizierung des Heizens. Deswegen will die Gemeinde massiv in vier mögliche Windräder investieren (das Tagbeblatt berichtete). „Sollte alles ideal verlaufen, sollten alle vier Anlagen in vier Jahren stehen“, sagt Ternes. Mit drei Windrädern hätte die Gemeinde einen großen Schritt in Richtung Klimaneutralität der Haushalte gemacht. „Und mit vier könnten wir auch noch einen Teil des Verbrauchs der Industrie abdecken – das wäre schön“, so Ternes.
Gespräch mit Industrie suchen
Die Industrie ist in Niederanven für 70 Prozent des gesamten Stromverbrauchs verantwortlich. Umso wichtiger also, die Unternehmen mit an Bord zu bringen. „Wir haben im Januar alle Betriebe aus Niederanven und Schüttringen eingeladen, um darüber zu reden. Da haben wir ihnen Unterstützung zugesprochen und auch viel positives Feedback erhalten“, sagt Schöffin Josselijn de Vries („déi gréng“). Etwa 80 Unternehmen seien dort gewesen. „Ein Teil der Industrie denkt schon darüber nach, große Fotovoltaik-Anlagen zu installieren“, sagt die Grüne. Zum Niederanvener Gebiet gehört auch der Luxairport. Der Flughafen strebt laut eigenen Aussagen momentan an, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Fotovoltaik für 0 Euro in Stadtbredimus?
Der Kauf einer Fotovoltaik-Anlage ist für Bürger aus Stadtbredimus am billigsten. Die Gemeinde übernimmt nämlich zusätzlich zu den staatlichen Hilfen noch einmal 75 Prozent von dieser Summe. Das heißt, auf jeden staatlichen Förder-Euro legt sie 75 Cent drauf. Damit liegt die Gemeinde auf Platz eins in Luxemburg. Das heißt, man kann mit dem Kauf Geld verdienen? Nicht ganz. Die Kommunalprämie ist auf 100 Prozent der Gesamtkosten gedeckelt, wie Bürgermeister Robi Beissel dem Tageblatt sagt. „Die Prämie ist auf meinen Vorgänger zurückzuführen, er hat sich viel dafür eingesetzt“, so Beissel. Ex-Bürgermeister Marco Albert hat diese Finanzspritze bereits vor über einem Jahrzehnt eingeführt.
Der Grund: Stadtbredimus hat sich vor zwölf Jahren gegen das Verlegen von Gasrohren in der Gemeinde entschieden. Um den Bewohnern die Investition in alternative Energieträger zu ermöglichen, führte die Kommune die Prämie ein. „Das hilft schon sehr viel, bei unserer Gemeinde ist die Nachfrage wirklich sehr hoch“, sagt Beissel. Das Dach des Gemeindehauses soll demnächst auch mit einer Fotovoltaik belegt werden. Alle Gebäude der Kommune werden mit Holzhackschnitzel geheizt.
Vier Fragen an Fenn Faber
Die Klima-Agence berät nicht nur Privatpersonen, sondern auch Gemeinden. Die Aufgaben der Agentur sind zahlreich: Erstellen von Informationsmaterial, Projektbegleitung, Organisation von Veranstaltungen, Weitervermitteln von bereits funktionierenden Maßnahmen. Sie verwaltet auch im Auftrag des Umweltministeriums den Klimapakt, an dem die Gemeinden teilnehmen können, um ihrer Energietransition einen Rahmen zu geben. Das Tageblatt hat mit Klima-Agence-Direktor Fenn Faber gesprochen.
„Zesumme renovéieren“
Das Projekt „Zesumme renovéieren“ von der Klima-Agence soll energetisches Sanierung leichter machen (das Tageblatt berichtete). Es läuft in Differdingen bis Ende des Jahres. Parallel überlegt sich die Agentur, wie dieses Prinzip in anderen Gemeinden verwendet werden kann. Niederanven ist an einer Zusammenarbeit interessiert. „In dem Ausmaß, wie wir das in Differdingen gemacht haben, können wir das allerdings nicht auf das ganze Land ausbreiten“, sagt Fenn Faber.
Wie würden Sie die Bemühungen der Gemeinden zur Förderung der Energietransition bewerten?
Die sind wirklich nicht schlecht, sämtliche Gemeinden sind der freiwilligen Initiative beigetreten. Der Klimapakt basiert auf dem Gütezertifikat „European Energy Award“, das wie ein Qualitätssicherungssystem funktioniert. Deswegen können wir auch sehen, wie wir im internationalen Vergleich abschneiden. Luxemburg hat mit dem Klimapakt ein sehr attraktives Angebot, auch weil die Gemeinden unter anderen durch die Klimaberater gut begleitet werden. Alle 17 Luxemburger Gemeinden, die Goldstatus haben, arbeiten zudem auch über den nationalen Tellerrand hinaus geschaut sehr gut.
Wie wichtig sind die kommunalen Prämien für diese Bemühungen?
Prämien sind wichtig. Allerdings geht es weniger um das Volumen des Budgets, sondern um eine konsequente Unterstützung, damit die Bewohner sehen, dass die Gemeinde das valorisiert. Natürlich muss es sich dabei um einen ernsthaften Betrag handeln, aber es bringt nichts, nur auf kommunale Beihilfen zu setzen. Prämien sind nur ein Puzzleteil. Eine Gemeinde sollte am besten über die politischen Mandatsträger nach außen zeigen, dass sie die Energietransition konsequent umsetzen will. Deswegen soll die Kommune unter anderem bei ihren eigenen Gebäuden mit dem guten Beispiel vorangehen. Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, die Bürger mitzunehmen.
Was kann eine Gemeinde machen, was nicht so viel Geld kostet?
Die reglementarischen Rahmenbedingungen sind auch wichtig. Dazu gehören unter anderem Bauvorschriften. Zusammen mit dem Innen-, Umwelt- und Energieministerium haben wir im September 2023 ein Rundschreiben erarbeitet, das als Vorlage dient, mit der die Gemeinden energetische Sanierungen und die Installation von Wärmepumpen und Fotovoltaik-Anlagen vereinfachen können. Bei diesen Regeln gibt es nämlich von Gemeinde zu Gemeinde große Unterschiede. Wir wissen von Handwerkern, dass verschiedene Projekte deswegen mit Verspätung oder sogar überhaupt nicht abgeschlossen werden. Da ist also noch viel Potenzial und es kostet nicht so viel. Es fordert höchstens politischen Mut. So zum Beispiel bei der Frage: Wie gehe ich mit dem Schall der Wärmepumpe um? Verschiedene Gemeinden haben das überreguliert. Nicht weil sie persönliche Probleme mit Wärmepumpen haben, sondern weil sie Angst vor den Nachbarschaftsdiskussionen haben. Wir verstehen das, aber es gibt eine Art und Weise, wie man strukturiert damit umgehen kann.
Wie wichtig ist die Förderung von Fotovoltaik-Anlagen?
Fotovoltaik-Anlagen sind ein sehr interessanter Startpunkt für die energetische Transition. Dafür kann man die breite Gesellschaft vergleichsweise einfach mobilisieren – auch diejenigen, die bisher noch nicht die Gelegenheit hatten, sich mit der Energietransition zu beschäftigen. Die Hoffnung besteht, diese Menschen dann auch für Themen wie Elektromobilität, Renovierung und Wärmepumpen begeistern zu können, auch weil die verschiedenen Maßnahmen gut zusammenpassen.
Der Klimapakt 2.0
Der erste Klimapakt wurde 2013 vom Umweltministerium eingeführt und war laut Klima-Agence-Direktor Fenn Faber erfolgreich. „Er hatte als Ziel, die Basisarbeit anzustoßen, damit die Gemeinden überhaupt wissen, um was es geht und wie man sich organisiert“, erklärt Faber. Die zweite Version gehe noch einmal einen Schritt weiter. So müssen die teilnehmenden Gemeinden sich beispielsweise ein Ziel geben, wie viel Fotovoltaik-Leistungen bei ihnen in der Gemeinde bis 2030 installiert werden sollen. „Der Klimapakt 2.0 ist ambitionierter und den Kommunen werden vom Umweltministerium mehr Beraterstunden zur Verfügung gestellt. Der wichtigste Punkt ist allerdings, dass wir alle Gemeinden erreichen und ansprechen“, sagt Faber. Der Klimapakt ist breit gefächert. Er geht von Energie über Mobilität bis Kreislaufwirtschaft. „Es ist auch eine Plattform, um nationale Themen auf kommunale Ebene herunterzubrechen und die Gemeinden bei der Transition zu begleiten.“
Läuft die „Top-up-Prämie“ aus?
Momentan übernimmt der Staat 62,5 Prozent der Kosten für die Installation einer Fotovoltaik-Anlage, falls sie zum Eigenverbauch genutzt werden soll – gedeckelt auf 1.562,50 Euro pro kW. Diese Prämie ist Teil des „Klimabonus Wunnen“ und wurde im Herbst 2022 nach den Tripartite-Gesprächen von 50 auf 62,5 Prozent angehoben. Dieses „Top-up“ ist allerdings nur temporär. Die zusätzlichen 12,5 Prozent sollen nach dem 30. Juni wegfallen. Danach wird der Staat wieder nur 50 Prozent der Rechnung – gedeckelt auf 1.250 Euro pro kW – übernehmen. Dadurch werden auch die Prämien vieler Gemeinden niedriger ausfallen.
Doch wird die Regierung das „Top-up“ wirklich nicht verlängern? Laut Pressestelle des Umweltministeriums berät die Regierung momentan darüber, unter welcher Form die einzelnen Boni des „Klimabonus Wunnen“, die im Herbst 2022 eingeführt wurden, über den 30. Juni hinaus weitergeführt werden sollen. „Im Laufe der nächsten Wochen wird eine entsprechende Kommunikation gemacht werden“, heißt es auf Tageblatt-Nachfrage. Die Klimabonus-Regelung sei allerdings eine „wichtige Komponente“, um die einzelnen Zielsetzungen aus dem Nationalen Klima- und Energieplan (PNEC) zu erreichen.
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