Handball / So nah und doch so fern: Tommy Wirtz über die WM und das luxemburgische Nationalteam
Mit dem Auftakt der K.o.-Runde beginnt bei der Handball-Weltmeisterschaft am Mittwoch die entscheidende Phase. Von den 32 Teams sind noch acht im Kampf um den WM-Titel übrig geblieben. Im Gespräch mit dem Tageblatt verrät Tommy Wirtz, Kapitän der luxemburgischen Handball-Nationalmannschaft, welche Teams ihn bisher überrascht haben, wem er die Daumen drückt und wie er über die Leistungen der FLH-Gegner in der EM-Qualifikation denkt.
Tageblatt: Tommy Wirtz, interessiert man sich als Handballer aus Luxemburg für die Spiele bei der Weltmeisterschaft?
Tommy Wirtz: Klar, das ist wie eine Berufskrankheit. Ich versuche mir alle Spiele anzuschauen, die ich kann, sodass ich während der WM fast jeden Tag Handball schaue. Es ist nicht immer möglich, alles zu verfolgen. Beispielsweise verpasse ich die frühen Abendspiele, wenn ich selbst Training habe. Wenn ich aber danach zu Hause bin, sehe ich mir immer die 20.30-Uhr-Begegnungen an. Das sind ja auch meist die Partien der großen Nationen. Bei kleineren Begegnungen, wie wenn Iran gegen Saudi-Arabien spielt, da muss ich ehrlich sagen, dass ich das auslasse.
Die Hauptrunde ist nun vorbei. Welchen Eindruck haben Sie allgemein bisher gewonnen?
Im Allgemeinen sind die Mannschaften vorne mit dabei, von denen man es im Vorfeld erwartet hat. Diese internationalen Begegnungen haben einfach ein besonderes Flair und eine Handball-WM ist natürlich immer top. Man sieht neue, junge Spieler, die man selbst noch nicht so kennt, die aber wirklich begeistern – wie zum Beispiel der Rückraumspieler von Dänemark, Simon Pytlick.
Bei welcher Begegnung haben Sie bisher am meisten mitgefiebert?
Am besten gefallen hat mir bisher Dänemark-Kroatien, das unentschieden ausging. Es war ein richtig gutes Spiel mit hoher Intensität. Beide Teams haben bis zum Schluss guten Handball gezeigt. Dazu war die Halle komplett voll. So stellt man sich ein WM-Spiel vor. Ich persönlich, als Außenspieler, liebe es immer, die Spieler auf meiner Position zu beobachten – egal, wer spielt. Wie sie in den Kreis springen und abschließen – was sie können, ist einfach genial.
Unterstützen Sie selbst ein Team?
Ich bin ein Fan der Isländer. Ich hoffe immer, dass sie weit kommen. Sie beeindrucken mich. Das Land hat weniger Einwohner als Luxemburg und ist dennoch im Handball erfolgreich. Die Mannschaft besteht aus Topspielern, die kämpfen wie Wikinger. Ihr Spielstil gefällt mir sehr gut. Gegen die ganz großen Nationen wird es am Ende aber immer schwer.
Gibt es eine Mannschaft, die Sie bei dieser WM überrascht hat?
Die Resultate von Ägypten haben mich überrascht. Sie haben noch kein Spiel verloren (zum Zeitpunkt des Interviews. Am Montagabend gab es gegen Titelverteidiger und Favorit Dänemark die erste Niederlage; Anm. d. Red.). Leider habe ich aber bisher noch keins ihrer Spiele gesehen.
Was ist mit der niederländischen Mannschaft, die vor ein paar Jahren noch auf einem ähnlichen Level wie Luxemburg spielte?
Auch von Holland bin ich beeindruckt. Ich kenne sogar ein paar Spieler aus dem Team, aus meiner Zeit in der zweiten Bundesliga. Mit ihrem Linksaußen bin ich auch heute noch befreundet. Man muss sagen, dass Holland eine tolle Mannschaft auf die Beine gestellt hat. Vor ein paar Jahren haben wir noch gegen sie gespielt. Man merkt, dass sie seitdem einen Riesenschritt nach vorne gemacht haben. Viele der Spieler sind in Deutschland aktiv und das trägt in der Nationalmannschaft seine Früchte. Wenn sie aber gegen Nationen wie Deutschland spielen, sieht man, dass sie noch nicht ganz oben angekommen sind.
Was müsste man in Luxemburg tun, um einen ähnlichen Schritt nach vorne zu machen?
In Luxemburg ist es komplizierter. Klar, es würde helfen, wenn ein paar Spieler im Ausland Profi wären. Aber den Schritt ins Ausland zu gehen, muss man sich als Luxemburger gut überlegen. Wenn man im Ausland Handball spielt, muss man sich zum Beispiel bewusst sein, dass man sich bei den aktuellen Preisen in Luxemburg keine Immobilie leisten kann. Deswegen muss man auch einen Plan B haben – beispielsweise nebenbei studieren, um nach der Handballkarriere die Aussicht auf eine sichere Arbeit zu haben. Ich bin damals nach Deutschland gegangen, in dem Wissen, dass wenn ich zurückkomme, ich als Lehrer arbeiten kann. Natürlich würde es einem 16-Jährigen handballerisch viel bringen, wenn er ins Ausland wechselt, und er würde auch sicher einen Schritt nach vorne machen – aber wie lautet der Plan B? Was macht man danach? Es reicht nicht, zu sagen: O.k. ich will jetzt Profi im Ausland werden. Im Fußball ist das o.k., da würde man als Profi im Ausland genug verdienen. Im Handball ist das nicht so einfach.
Dazu muss man auch sagen, dass die Niederländer eine bessere Liga haben. Sie sind besser betreut und spielen in der BeNe-Liga mit den Belgiern zusammen. Zudem die Profis im Ausland – das macht einen großen Unterschied.
Mit der FLH-Auswahl spielen Sie demnächst in der EM-Qualifikation die Rückspiele gegen Nordmazedonien und Portugal – zwei Mannschaften, die jetzt auch bei der WM im Einsatz waren. Für Portugal war nach der Hauptrunde Schluss, wie schätzen Sie ihre Leistung ein?
Portugal hat im ersten Spiel gegen Island verloren und hätte am letzten Spieltag gegen Schweden, einen der Favoriten, gewinnen müssen, um ins Viertelfinale zu kommen. Das blieb aus, auch weil sie zu viele Bälle verschossen haben. Portugal hat aber einen starken Kader. Es ist eine gute Nation, die oben mithalten kann. Für uns ist das natürlich blöd, weil sie ein Level über uns spielen. Als wir im November sonntags gegen sie gespielt haben, sind wir am Tag darauf zur Arbeit gegangen. Sie haben mittwochs Champions League gespielt. Diesen Unterschied sieht man halt auch auf dem Feld.
Nordmazedonien ist schon in der Vorrunde eliminiert worden. Welchen Eindruck haben Sie von diesem FLH-Gegner?
Ich muss sagen, dass ich von Nordmazedonien überrascht bin – aber im negativen Sinne. Ich habe sie stärker eingeschätzt. Sie haben ihre WM komplett verfehlt. Das hat mich verwundert, denn Nordmazedonien ist eigentlich eine starke Handball-Nation. Man muss aber sagen, dass sie im Umbruch sind und viele junge Spieler im Kader haben. Dann kann so was auch passieren.
Kann das im April im Rückspiel auch eine Chance für Luxemburg sein?
Wenn man sieht, dass Belgien oder auch die USA bei der WM mitspielen, dann denkt man, dass Luxemburg nicht so weit von einem großen Turnier entfernt ist (Luxemburg hat 2022 in der EM-Qualifikation gegen Belgien unentschieden gespielt und 2021 ein Testspiel gegen die USA gewonnen; Anm. d. Red.). Aber man muss sagen, dass wir doch noch weit weg sind – von der Liga und der Betreuung her. Nur ein Beispiel: Wenn man bedenkt, dass wir als Nationalmannschaft nicht einmal eine geeignete Halle in Luxemburg finden, um zu trainieren, wie soll man dann von uns erwarten, dass wir uns irgendwann einmal für eine WM oder EM qualifizieren?
Auftakt der K.o.-Phase
Nachdem am Montag die letzten Gruppenspiele der Hauptrunde stattfanden, beginnt bei der Handball-WM in Schweden und Polen am Mittwoch die K.o.-Phase. Acht Teams sind im Kampf um den WM-Titel noch übrig geblieben.
Das Programm im Überblick:
Viertelfinale, am Mittwoch:
18.00: Dänemark – Ungarn
18.00: Norwegen – Spanien
20.30: Frankreich – Deutschland
20.30: Schweden – Ägypten
Halbfinale, am Freitag:
18.00: Norwegen/Spanien – Dänemark/Ungarn
20.30: Frankreich/Deutschland – Schweden/Ägypten
Finale am Sonntag um 20.30 Uhr
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