Aktionsplan / So will die Regierung die Gleichberechtigung von Menschen mit einer Behinderung vorantreiben
Lange hat er auf sich warten lassen, nun ist er endlich da: der zweite nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. In dem mehr als 80 Seiten umfassenden Dokument gibt sich die blau-rot-grüne Regierung in Luxemburg eine lange Hausaufgabenliste, die sie bis spätestens 2025 abgearbeitet haben möchte.
Von A wie Arbeitsmarkt-Integration bis Z wie zukünftiges Zentrum für zugängliche Kommunikation, der zweite nationale Aktionsplan zur Umsetzung der 2011 unterschriebenen UN-Behindertenrechtskonvention, den Familien- und Integrationsministerin Corinne Cahen am Mittwochmittag vorgestellt hat, hat einiges vor. Mit insgesamt 97 mehr oder weniger konkreten Maßnahmen soll die Gleichberechtigung von Menschen mit einer Behinderung in Luxemburg vorangetrieben werden.
„Am liebsten wäre es uns, wir bräuchten überhaupt keinen Aktionsplan“, sagt Cahen auf der Pressekonferenz. Man habe in den vergangenen Jahren zwar viel erreicht, beispielsweise die Anerkennung der Gebärdensprache und die Einführung von Texten in leichter Sprache auf der Webseite guichet.lu. Doch bis zur vollständigen Inklusion bleibe noch einiges zu tun. Der zweite Aktionsplan soll eine „Roadmap“ für die Jahre 2019 bis 2024 sein, die einerseits festhält, wo genau nachgebessert werden muss, und andererseits die unterschiedlichen Projekte der Ministerien koordiniert. Es sei „eine Anstrengung der gesamten Regierung“, so Cahen. Insgesamt 14 Ministerien und zehn staatliche und staatlich finanzierte Behörden oder Organisationen haben am Aktionsplan mitgewirkt. Außerdem sollen auch Privatpersonen, Betroffenenorganisationen und Vereine in die Umsetzung der unterschiedlichen Initiativen miteinbezogen werden.
Zwischenbilanz
Das Wort „Anstrengung“ hat die Ministerin wohl bewusst gewählt. Schon beim Durchblättern des Dokuments wird klar, dass sich die Regierung dieses Mal ehrgeizige Ziele setzt. Während dem ersten Aktionsplan von 2012, damals ausgearbeitet von dem Familienministerium unter der Leitung von Marie-Josée Jacobs (CSV), vorgeworfen wurde, zu vage Ziele vorzugeben, gibt es dieses Mal bei fast allen Projekten einen konkreten Zeitplan. Bezeichnungen wie „fortlaufend“ oder „kontinuierlicher Prozess“ fallen kaum, meistens wird ein bestimmtes Jahr oder ein konkreter Monat genannt.
Damit diese Vorsätze nicht nur Worte auf dem Papier bleiben, will das Familienministerium 2022 eine Zwischenbilanz ziehen und 2025 einen Bericht darüber vorlegen, welche Aspekte erfolgreich umgesetzt wurden. Diese Bilanzen sollen dieses Mal nicht nur intern gezogen werden, sondern „Externe“ sollen den Fortschritt bewerten. Wer genau in den Prozess eingebunden werden soll, ist derzeit noch nicht bekannt. Die Evaluationen seien aber „ein Druckmittel für uns selbst“.
Positives Feedback
Auffällig ist, dass es im Aktionsplan 2019 bis 2024 kein separates Kapitel „Barrierefreiheit“ gibt. Cahen begründet die Entscheidung damit, dass ein umfangreiches Gesetzesprojekt zu diesem Thema auf dem Weg sei. Damit soll Luxemburg bis 2029 barrierefrei werden. Das Gesetzesprojekt soll unter anderem festlegen, inwiefern Neubauten so gestaltet werden sollen, dass sie für alle zugänglich sind und die Barrierefreiheit auch in Gebäuden wie Arztpraxen, Kinos und Sportstätten garantiert werden kann.
Die Vertreter der Regierungsparteien in der Kommission für Familie und Integration zeigen sich mit dem Plan zufrieden. „Es ist ein anspruchsvoller Plan, der viele wichtige Projekte angehen möchte“, urteilt Max Hahn (DP). Tess Burton (LSAP) ist froh, dass er „nun endlich auf dem Tisch liegt“. Der Aktionsplan sei gut strukturiert und gebe klare Ziele vor. Auch die Grünen zeigen sich zufrieden mit dem Inhalt. Djuna Bernard bezeichnet den Aktionsplan als eine „Gesamtaufgabe für die Regierung“. Allerdings dürfe man nicht glauben, dass damit nun alle Probleme lösen seien. Der Weg zu einer hundertprozentigen Inklusion müsse immer wieder neu angepasst werden, auch weil durch neue Techniken neue Chancen und Möglichkeiten entstehen.
Noch nicht öffentlich
Auch die Oppositionsparteien haben am Mittwoch kaum etwas am Plan auszusetzen. „Der Aktionsplan macht auf den ersten Blick einen sehr guten Eindruck“, sagt Marc Baum („déi Lénk“). Er weist allerdings darauf hin, dass er das umfassende Dokument noch nicht im Detail gelesen hat. „Wir haben den Text erst am Dienstagabend gegen 17 Uhr erhalten“, gibt auch Marc Spautz (CSV) zu bedenken. „Die Ideen, die im Plan drin stehen, sind gut. Allerdings bleibt abzuwarten, wie schnell die Projekte nun umgesetzt werden. Papier ist ja bekanntlich geduldig.“ Fernand Kartheiser (ADR) begrüßt die Anstrengungen der Regierung. Man vermisse als Partei aber, dass im Aktionsplan keine klare Position zum Schutz vor Abtreibungen wegen einer schweren Behinderung des Kindes bezogen werde.
Bedauerlich ist allerdings, dass sogar die in die Arbeitsgruppen miteinbezogenen Personen und Betroffenenorganisationen den Aktionsplan bisher nicht zu Gesicht bekommen haben. Erst am 11. Februar soll der neue Aktionsplan auch der Öffentlichkeit vorgestellt werden. „Bis dahin können wir leider keine Stellungnahme zum Inhalt des Plans abgeben“, heißt es auf Tageblatt-Nachfrage von gleich mehreren Organisationen. Patrick Hurst, Präsident von „Nëmmen mat éis!“, zeigt sich allerdings zuversichtlich. „Es wäre sehr nett gewesen, wenn wir den Aktionsplan gleichzeitig mit den Vertretern der Presse vorgestellt bekommen hätten. Aber mit dem Inhalt des dritten Kapitels, das uns bereits im März 2018 vorgestellt wurde, waren wir zufrieden. Wir hoffen, dass auch im Rest unsere Vorschläge aus den Arbeitsgruppen berücksichtigt worden sind.“
Die wichtigsten Maßnahmen
– Reform des Vormundschaftsgesetzes
Das Justizministerium wird sich laut dem neuen Aktionsplan vor allem das Vormundschaftsgesetz zur Brust nehmen. Eine Reform wird schon seit Jahren von den Betroffenen gefordert. Noch im Laufe des Jahres 2020 sollen das Gesetzesprojekt und die dazugehörigen Maßnahmen vorgestellt werden. So sieht der Aktionsplan etwa vor, dass es mehr Richter und Justizpersonal für den Bereich der Vermundschaftsverfahren geben soll und ein Kontroll- und Mediationssystem geschaffen wird.
– Schaffung eines Zentrums für zugängliche Kommunikation
Immer wieder wird im Aktionsplan versprochen, Informationen in leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Eine Aufgabe, die bisher vor allem von Klaro, dem Kompetenz-Büro der APEMH (Vereinigung für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung) übernommen wird. Um diese Ansprüche zu erfüllen, soll nun ein neues Zentrum für zugängliche Kommunikation geschaffen werden.
– Neue Wohnformen für Menschen mit einer Behinderung
Menschen mit einer Behinderung soll die Möglichkeit gegeben werden, allein wohnen zu können, auch wenn sie in einigen Bereichen auf Hilfe angewiesen sind. Im Aktionsplan ist vorgesehen, mehr Wohnungen und Wohnformen zu schaffen, die den Ansprüchen von Menschen mit einer Behinderung gerecht werden.
– Mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt
In Sachen Arbeitsrecht soll laut Aktionsplan ebenfalls nachgebessert werden. Zusätzlich wird bis 2021 bei der ADEM eine Kontaktperson für Menschen mit einer Behinderung ernannt werden.
– Mehr Inklusion in der Schule
Das Bildungsministerium will sowohl Lehrer als auch Schüler stärker für die Inklusion von Menschen mit einer Behinderung sensibilisieren. Deswegen soll unter anderem eine Anpassung der Schulgesetze, wo der Begriff „élèves à besoins éducatifs particuliers“ verschwinden und eine offizielle Anerkennung der Erfahrungen und Fähigkeiten der Schüler mit einer Behinderung geschaffen werden soll. Außerdem soll Inklusion eine größere Rolle im Kursus „Vie et société“ spielen. In der Erwachsenenbildung ist ab September 2022 die Schaffung eines Erste-Hilfe-Kurses für Menschen mit einer Behinderung vorgesehen.
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