/ Sommerlektüre: Hemingways „Die grünen Hügel Afrikas“ ergründet das menschliche Streben nach Glück
Wieso zum Geier sollte man, gerade in Zeiten, in denen Rassismuskritik und Umweltschutz zu Recht die Diskurse unseres Alltags entscheidend prägen, dieses Buch lesen? Hemingway erzählt vom Genuss des Tötens, schießt auf Löwen, Nashörner und Hyänen und behandelt seine einheimische Jagdgesellschaft mit der wohlwollenden Herablassung eines Kolonialherren. Trotzdem und auch gerade deswegen ist „Die grünen Hügel Afrikas“ ein Buch, das auf der soziologischen Ebene einen Blick auf immer noch vorhandene, problematische Strukturen ermöglicht und auf der individuellen Ebene das Streben nach Glück und seine profane Erfüllung analysiert.
Von Tom Hass
Was passiert in diesem Buch? Hemingway, selbst der Protagonist, befindet sich im ostafrikanischen Tansania auf Safari und ist frustriert, weil es ihm nicht gelingt, einen Antilopenbock zu schießen. Stattdessen betrinkt er sich und schießt Löwen, Hyänen, Perlhühner und ein Rhinozeros, doch Karl, ein weiteres Mitglied der Jagdgesellschaft, übertrumpft ihn und macht ihm seinen Erfolg madig. Die Zeit vergeht, Hemingway betrinkt sich noch ein bisschen, die Regenzeit und damit die Notwendigkeit der Abreise rücken näher. Am Ende schießt er zwei Kudu-Antilopen. Ende.
„Die meisten der verdammten Safaribücher sind scheißlangweilig“, sagt Hemingway am Feuer zu seinen Jagdgefährten, und sein eigenes macht da keine Ausnahme, richtet man den Blick auf die Handlung. Eine Safari ist ein reichlich spannungsarmes Unterfangen und besteht hauptsächlich aus Laufen, Lauern und dem Zerquetschen nerviger Insekten. Das kann man als literarisches Äquivalent zu Hochseefischern und Goldsuchern auf DMAX durchaus interessant und fesselnd finden, seinen Wert zieht das Buch jedoch nicht aus seiner Handlung, sondern aus der Gedankenwelt seines Protagonisten.
Selbstironie,
Warum man das Buch im Urlaub lesen sollte
Warum machen wir Urlaub? Was tun wir, wenn wir dem westeuropäischen Alltag entfliehen und was versprechen wir uns davon? Ist die Freizeit in der Fremde nur eine Verschnaufpause, bevor das „richtige“ Leben weitergeht – oder ist sie das richtige Leben, das uns glücklich macht?
Hemingway war bekannt für seine Liebe zum Boxen, zur Fischerei, zur Großwildjagd und natürlich zum Alkohol – Freizeitbeschäftigungen, die wir heute bestenfalls für altmodisch, schlimmstenfalls für den Ausdruck einer toxischen Männlichkeit halten.Trotzdem begegnet er, gerade in seinem Tatsachenbericht „Die grünen Hügel Afrikas“, den eigenen Vorlieben, Stärken wie Schwächen, mit lakonischer, beklemmender Ehrlichkeit und einer gehörigen Prise morbider Ironie.
Vielleicht ist der Urlaub die Zeit, in der wir darüber nachdenken sollten, was uns eigentlich etwas bedeutet.
Man muss Hemingway nicht mögen – aber man sollte ihn lesen, denn er zwingt einen zur Positionierung, sowohl gegenüber ihm als auch gegenüber sich selbst.
Poesie und Alkohol
Hemingway zieht ein tiefes Glück aus dem Aufenthalt in der Fremde, welches er immer wieder betont. Trotz des physischen Anspruchs, den die Safari an ihn stellt, stellt sich das Gefühl von Müßiggang ein. Neben der Jagd wird geplaudert, gelesen und getrunken und der Schriftsteller findet die Zeit, seine Gedanken über die Schriftstellerei zu ordnen – oder vielmehr, ihnen überhaupt nachzugehen.
Die Gespräche über Literatur, die er mit dem Österreicher Kandisky führt, verraten viel über den Wert und das Vermögen, das der spätere Nobelpreisträger seinem Schaffen beimisst und offenbaren das Paradoxon eines von verschrobenem Idealismus getriebenen Pragmatikers, das für das wortkarge Werk des amerikanischen Autors so charakteristisch ist.
Wie seine Protagonisten ist Hemingway selbst ein Scheiternder, der die Schmerzen seiner Niederlagen wahlweise mit Selbstironie kaschiert, in Alkohol ertränkt oder poetisch überhöht. Aber auch die Erfüllung der Wünsche, so sie denn eintritt, ist nach dem ersten Augenblick des Triumphs dumpf und betäubend. Das Streben, das Scheitern und das Siegen sind drei Wände eines Käfigs, die dem Panther das Leben verwehren, nur das Treiben-Lassen erweist sich als die Tür, die den ungewissen Weg ins Glück ermöglicht.
Treiben lässt er sich neben der Jagd auch durch seine Lektüre, die ihm auf seiner Reise weiteres Reisen ermöglicht – nach Paris und Sibirien verschlagen ihn die Klassiker von Stendhal und Tolstoi. „Ein Land zerfällt schließlich, und die Erde wird weggeweht; die Leute sterben alle, und keiner von ihnen war auf die Dauer von irgendwelcher Wichtigkeit, bis auf die, die irgendeine Kunst ausübten.“
Abendländische Genusssucht
Neben dem Einblick in die teilweise verstörende Weltsicht des Autors ist es auch der Blick auf die Verhältnisse seiner Zeit, die das Buch so lesenswert machen. Die beschriebene Reise fand zwischen dem 20. Januar und dem 21. Februar 1934 statt, zwischen zwei Weltkriegen im ehemaligen Deutsch-Ostafrika, heute Tansania. Der offen gelebte Rassismus gegenüber den einheimischen Trägern und die mangelnde Empathie gegenüber den erlegten Tieren sind Charakteristika eines kolonialen Selbstverständnisses, das uns auf den ersten Blick vielleicht erschüttert, auf den zweiten Blick jedoch auch heute noch, im Mantel des Interesses für angeblich exotische Kulturen, von westlichen Touristen gepflegt wird.
Ob nun der Waffennarr Hemingway einen Löwen in der Savanne schießt oder eine europäische Backpackerin mit einem mit Drogen vollgepumpten Tiger in Thailand für Instagram posiert, ist ein gradueller, kein prinzipieller Unterschied – die Tiere leiden und die Einheimischen werden zu willfährigem Werkzeug der abendländischen Genusssucht.
„Die grünen Hügel Afrikas“ ist nicht nur ein Buch, das zum Nachdenken über die eigene Suche des Glücks anregt, sondern, gelesen im Kontext unserer Zeit, auch eines, das unsere Wege dieses Strebens radikal in Frage zu stellen vermag. Finden wir unsere Erfüllung in der Ferne oder in den Büchern, die wir lesen – und wer muss leiden, damit wir glücklich sind? Vielleicht sind es nicht die angenehmsten Fragen, mit denen man sich im Urlaub beschäftigen mag – aber wann hat man denn sonst mal Zeit dafür?
- Die EU und Trump: Beißhemmung in Brüssel - 21. Januar 2025.
- Opposition triumphiert beim Thema Sozialdialog – Fragen zur Rentendebatte - 21. Januar 2025.
- „Skrupellos und ohne Mitgefühl“: Marianne Donven kündigt Posten als Staatsangestellte und verlässt „Conseil supérieur de la sécurité civile“ - 21. Januar 2025.
Ernest Hemingway, ein Klassiker, der absolut lesenswert ist! Auch in Deutsch oder Französisch.