Analyse / „Sonndesfro“: Selbstverständnis der CSV bröckelt, während die Dreierkoalition ihre Mehrheit festigt
Die „Sonndesfro“ von TNS Ilres im Auftrag von RTL und Luxemburger Wort bestätigt mit einzelnen Abweichungen die Resultate des Politmonitors, der die Beliebtheit und Kompetenz der einzelnen Politiker misst. Die Piraten befinden sich momentan in der Gunst der Wähler, die CSV gilt als großer Verlierer des Stimmungsbarometers. Und: Sind Dreierkoalitionen bald die neue Realität? Das Tageblatt hat den hypothetischen Wahlausgang der einzelnen Parteien analysiert.
Drei ist die neue Zwei. Nein, es handelt sich nicht um eine mathematische Verklärung zur plakativen Erläuterung neuer Hygienemaßnahmen, sondern um die wohl auffälligste Erkenntnis der „Sonndesfro“, die die Demoskopen von TNS Ilres im Auftrag des Luxemburger Wort und RTL durchgeführt haben. Denn wären am Sonntag Wahlen gewesen, würde keine Zwei-Parteien-Koalition im Luxemburger Parlament eine absolute Mehrheit erreichen. Die Dreierkoalition, die 2013 noch aus einigen Ecken als undemokratisch und illegitim angeprangert wurde, scheint in Luxemburg neue politische Realität zu sein. Das politische Dogma der ewig regierenden CSV, die sich ihren Juniorpartner nach Gutdünken aussuchen darf, scheint immer weiter zu verwässern. Das kann als Erfolg für „Gambia“ gewertet werden – stärkt aber auch die Rolle der kleineren Parteien bei der Auswahl der möglichen Koalitionspartner und dem Zusammenstellen eines Regierungsprogramms, da sie das entscheidende „Zünglein an der Waage“ sein werden.
Der geneigte politische Beobachter wird behaupten, dass der politische Diskurs im Wahlkampf weiterhin zu verflachen droht, da keiner es wagen wird, den größer werdenden Pool an potenziellen Koalitionspartnern öffentlich zu brüskieren. Politische Kernthemen und klare Grenzen in den Agenden der verschiedenen Parteien drohen sich immer weiter einander anzunähern. Zyniker werden behaupten, dass das schon längst der Fall ist.
Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich die Dreierkoalition gefestigt hat. LSAP und DP gewinnen jeweils einen Sitz hinzu und kompensieren somit den Sitzverlust von „déi gréng“ – alle drei zementieren laut „Sonndesfro“ ihre parlamentarische Mehrheit bei 32 Sitzen gegenüber 28 Sitzen, die den derzeitigen Oppositionsparteien zugestanden werden würden. Derzeit können sich die Mehrheitspartien mit der sehr knappen Mehrheit von 31 Sitzen gegenüber 29 Oppositionspolitikern behaupten. Der Dreierkoalition kann die CSV mit vier verlorenen Mandaten nichts entgegensetzen – es sind viel eher die Piraten (plus zwei Sitze) und „déi Lénk“ (plus ein Sitz), die mit ihrer Oppositionsarbeit punkten können. Die ADR kann keine Gewinne erzielen, hat jedoch auch keine Verluste zu verzeichnen und bleibt bei ihren vier Sitzen.
Aufbruchsstimmung weicht Trübsal
Womit wir auch schon beim großen Verlierer der „Sonndesfro“ wären: der CSV. Die Christsozialen können sich nicht aus ihrem Umfragetief befreien. Im Vergleich zu den letzten Chamber-Wahlen prognostiziert die Sonntagsfrage eklatante Verluste: Ganze vier Abgeordnete aus den Reihen der CSV müssten ihre Koffer packen und ihr Büro am „Krautmaart“ räumen. Verglichen mit dem letzten Stimmungsbarometer vom November 2020 setzen die Christsozialen ihren Negativtrend sogar fort. Die CSV verliert noch einmal 1,1 Prozentpunkte und fällt unter die 25-Prozent-Marke – was doch schwer am Selbstverständnis einer Volkspartei rütteln dürfte. Noch würde die CSV mit 17 Sitzen ihre Position als stärkste Partei im Parlament nicht einbüßen müssen, der Vorsprung auf DP (13) und LSAP (11) schmilzt aber beharrlich dahin.
Dem beliebtesten Oppositionspolitiker Claude Wiseler ist es bisher nicht gelungen, seine guten Umfragewerte aus dem Politmonitor in Sympathiepunkte für seine Partei umzumünzen. Der erhoffte Neustart konnte die Scharade um den ehemaligen Parteipräsidenten Frank Engel nicht vergessen machen. Die Aufbruchsstimmung im Parteipräsidium droht vorerst zu verpuffen. Tatsächlich ist es seit dem Parteikongress Ende April still geworden in den Rängen der CSV. Es hieß, man wolle sich erst mal neu sortieren. Nun aber sind bereits zwei Monate verstrichen und noch immer wird auf einen wieder funktionierenden christlich-sozialen Kompass gewartet, der eine klare Richtung vorgibt.
Gekommen, um zu bleiben
Die Piraten dürfen sich erhobenen Hauptes als Gewinner der „Sonndesfro“ bezeichnen. Hätten am Sonntag tatsächlich Parlamentswahlen stattgefunden, könnten die Piraten die Anzahl der ihnen zugesprochenen Mandate auf einen Schlag verdoppeln (4). Eine große Überraschung ist das nicht, bestätigt sich doch der positive Umfragetrend der vergangenen Jahre. Unter der Ägide von Sven Clement, der im Politmonitor schon einen satten Stimmungszuwachs von elf Prozent verzeichnen konnte, scheinen die Piraten zu einer ernstzunehmenden Oppositionspartei heranzureifen. Mit wissenschaftsbasierter Kritik an der Corona-Politik der Regierung stand er den Hauptprotagonisten Paulette Lenert (LSAP) und Xavier Bettel (DP) in Sachen Medienpräsenz zumindest in der geschriebenen Presse in nichts nach.
Andererseits birgt das Resultat eine große Gefahr für die Piraten, denn es stellt sich die Frage: Droht den Piraten mit Sven Clement vielleicht ein Juncker-Effekt? Die Partei schwebt auf der Erfolgswelle ihres Frontmannes mit – doch was wird aus der aufstrebenden Partei, sollte eine solche Identifikationsfigur einmal fehlen? Es wäre nicht die erste Partei, die dann Auflösungserscheinungen zeigen würde.
Führungssicher, aber risikolos
Die LSAP und die DP würden einen weiteren Sitz hinzugewinnen, werden aber angesichts des Ergebnisses nicht in Jubelstürme ausbrechen, denn: Die Sozialisten sind im Vergleich mit November 2020 in der Wählergunst um zwei, die Liberalen um 0,6 Prozentpunkte gefallen und profitieren nur von der relativen Schwäche der CSV. Damit lassen sich die guten Resultate aus dem Politmonitor – acht der zehn beliebtesten Politiker des Landes stammen aus den Reihen der LSAP oder DP – auf Parteiebene nicht replizieren. Insbesondere die beliebten roten Zugpferde Paulette Lenert (Platz 1 im Politmonitor) und Jean Asselborn (Platz 2) scheinen ihre persönlichen Erfolge nicht mit ihrer Partei verknüpfen zu können.
Dafür lassen sich zwei Erklärungsansätze finden. Einerseits bot die Corona-Politik der Regierung mit der Debatte um die Ausgangssperre wieder eine konkretere Angriffsfläche. Die Umfragegewinner Piraten und „déi Lénk“ brachten Premierminister Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Paulette Lenert immer wieder in Erklärungsnot, wenn in der Chamber nach wissenschaftlichen Belegen für die Corona-Maßnahmen gefragt wurde.
Andererseits werden klare Ansagen und Lösungsansätze der Politik zu anderen politischen Debatten schmerzlich vermisst: Allen voran bei den steigenden Immobilienpreisen bleibt die Regierung in der Bringschuld. Bisher vorgebrachte Lösungen waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein, die Preissteigerungen im Immobiliensektor nicht mal annähernd verlangsamt, geschweige denn gestoppt. Mit dem Abflauen der Pandemie gewinnen genau diese Debatten wieder an Dynamik und rücken vermehrt ins öffentliche Bewusstsein – mit dem daraus entstehenden Imperativ, zeitnah Antworten und Perspektiven auf die Herausforderungen der kommenden Jahre zu liefern.
Im Schatten der Koalitionspartner
Die Grünen können als einzige der drei Regierungsparteien im Vergleich zum November 2020 Boden gutmachen – und müssen trotzdem einen Sitz abtreten, da sie noch nicht an ihre Werte aus dem Oktober 2018 anknüpfen können, als die Grünen die LSAP bei den Wahlen sogar zu überholen drohten.
Erstaunlich ist, dass jegliche Skandale der vergangenen Monate an den Grünen abzuperlen scheinen. Die Ernennung der neuen Cargolux-Verwaltungsratspräsidentin Christianne Wickler, die sich nebenher als Herausgeberin von Corona-leugnerischem Material hervortat, scheint dem Aufschwung ebenso wenig einen Abbruch getan zu haben wie die Klage des ehemaligen Grünen-Ministers Félix Braz oder der Fall um den Familienbetrieb von Umweltministerin Carole Dieschbourg. Wird den Grünen ihre Medienabstinenz während der Corona-Pandemie letztendlich doch nicht zum Verhängnis? Es bleibt abzuwarten, ob sie in den kommenden Monaten auch positive Akzente setzen können.
Nebenschauplätze
Abseits der großen Schauplätze kennt die „Sonndesfro“ einen weiteren Gewinner: „déi Lénk“. Seit den Wahlen im Oktober 2018 ist die Zustimmung für die Linkspartei kontinuierlich gestiegen und hat sich nun ein hypothetisch drittes Abgeordnetenmandat gesichert. In den vergangenen Monaten hat „déi Lénk“ zusammen mit den Piraten vor allem mit fundierter Kritik an der Corona-Politik der Regierung geglänzt und andere Themenfelder wie die Wohnungsbaukrise nicht vernachlässigt. Der Wähler scheint geneigt, die Arbeit der vergangenen Monate zu belohnen.
Die Alternative Demokratische Reformpartei bleibt bei ihren vier Sitzen im Parlament – trotz eines Umfrage-Minus von einem Prozent. Mit großem Abstand wird die Arbeit der ADR von allen Parteien am schlechtesten bewertet. Sorgen dürfte jedoch vor allem folgender Punkt bereiten: Mit 7,6 Prozent Zustimmung fallen die konservativen Politiker hinter die Piraten (8 Prozent) zurück.
Sonndesfro
Die Sonndesfro ist ein politischer Stimmungsbarometer. Die Daten wurden online und telefonisch bei 1857 stimmberechtigten Personen erhoben: Der TNS Ilres betont, dass der Stimmungsbaromter nur die aktuelle Stimmungslage wiederspiegeln würde, da die Daten in einem kurzen Zeitraum vom 9. bis 21. Juni gesammelt wurden. Die Auswertung erfolgte durch das deutsche Marktforshcungsinstitut Kantar Public Deutschland.
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Die CSV ist eben ein Auslaufmodell dass immer mehr an Substanz verlieren wird über die Jahre….aber wer die Gewinner langfristig sind steht noch in den Sternen oder schwimmt auf einem Piratenschiff in der Karibik umher: 2023 werden wir sehen: wie der Stand der politischen Dinge wirklich ist in Luxemburg!
Die Kirchen sind ja schon fast alle zugesperrt, das Wort verkauft, als nächstes wird die CSV-Zentrale geschlossen.
Und das ist auch gut so.
Parteien die sich im 21. noch an Dogmen halten die in einer modernen Welt nicht mehr tragbar sind werden verschwinden. Gott macht keine Politik und auch sonst nichts.Man sollte sich also besinnen und neben einer Namensänderung auch ein Programm auf die Füße stellen wo die Wähler wenigstens ansatzweise hellhörig werden.
„Gambia“ hat gute Arbeit geleistet.Der Wähler wird kein „winning team“ austauschen und die Wähler der CSV sterben weg denn die Realität findet „hier unten statt“ und nicht im imaginären Jenseits mit Jüngstem Gericht und anderem Aberglauben. Mit Demokratie hatte die Kirche, seit der Übersetzung der Bibel ins Deutsche, ihre Schwierigkeiten.Denn als die Menschen erfuhren was in diesem heiligen Buch steht,fingen sie an nachzudenken.Und das geht ja gar nicht.
Gutt Komentären. Dat ass erfreschend besser wie die dei een beim Essentiell liest. Et gett se also nach die Leit die Nodenken an nett just hieren Frust ant Welt eraus posaunen. Bravo