Sozialpanorama der CSL / Soziale Ungleichheiten nehmen erneut zu
Zahlenmaterial über Wirtschaft und Wachstum gibt es in Luxemburg zuhauf. Daten über die soziale Realität sind weitaus schwieriger zu finden und müssen aus verschiedensten Quellen mühsam zusammengetragen werden. Die Arbeitnehmerkammer nimmt sich dieser Aufgabe seit 2010 an und veröffentlicht jährlich einen Überblick dieser Entwicklungen, die auch für das Corona-Jahr 2020 verdeutlichen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden sind.
Diese Tendenz, so Jean-Claude Reding, Vizepräsident der „Chambre des salariés“ (CSL), habe sich im Vorjahr weiter verstärkt. Dies verdeutlicht u.a. der Gini-Indikator, ein Instrument, das die Verteilung des Reichtums in einer Gesellschaft misst. Er zeigt für Luxemburg seit 2005 verstärkt in Richtung zunehmende Ungleichheit. Seit dem Jahr 2018 liegt das Land laut dieser Messung über dem europäischen Mittel, 2019 wurde der Abstand zu den anderen Ländern der Union größer. Diese Tendenz wird auch durch die Betrachtung des jährlichen Wachstums der niedrigen und der hohen Einkommen und ihre Auswirkung auf die Kaufkraft deutlich. So stieg die Kaufkraft für die niedrigen Gehälter seit 2010 um 4,8 Prozent, während sie für die hohen Gehälter um satte 9 Prozent zulegte.
Armutsrisiko steigt seit 2005
Auch das Armutsrisiko nimmt weiter zu und lag 2019 bei 17,5 Prozent. Die Sozialtransferts konnten dieses Risiko zwar noch um knapp 30 Prozent senken, die Effizienz dieser Umverteilungsmechanismen nehme aber stetig ab, stellen die CSL-Experten im Jahresbericht fest.
Wieder sind es die Haushalte mit Kindern, die am stärksten vom Armutsrisiko betroffen sind; dieses steigt mit der Anzahl der Kinder. Bei den Alleinerziehenden nimmt Luxemburg gar den drittschlechtesten Platz in Europa ein; nur Malta und Litauen schlagen das Großherzogtum auf dieser Negativliste.
Dass auch bei der Belastung durch die hohen Ausgaben für das Wohnen hierzulande ein Spitzenwert erreicht wird, dürfte angesichts der dramatischen Preisentwicklung kaum verwundern. Auch hierbei gibt es große Unterschiede, ob man arm oder reich ist. Für die Ärmeren bedeuten die Wohnungsausgaben in 58,6 Prozent der Fälle eine schwere Belastung, bei den Reicheren sind es immerhin noch 30,5 Prozent.
Mieter geben im Durchschnitt ein Drittel ihres verfügbaren Einkommens für ihre Wohnung aus. Nur in Spanien liegt diese Quote noch höher. Mehr als ein Viertel aller Haushalte hat das Gefühl, finanzielle Schwierigkeiten an den Monatsenden überbrücken zu müssen.
Mehr Gelder von Sozialämtern
Obwohl diese Corona-bedingt zeitweise geschlossen waren, haben die verschiedenen Sozialämter im Krisenjahr 2020 Rekordsummen, etwa an Lebensmittelhilfen, an Bedürftige gezahlt. Dieser Trend ist auch bei den sogenannten „Epiceries sociales“ festzustellen, in denen sozial Schwache verbilligt einkaufen können. Zwar wurde der Spitzenwert des Jahres 2017 nicht erreicht (auch diese Läden waren 2020 längere Zeit geschlossen), dennoch stieg die Summe der verkauften Güter im Verhältnis zu den beiden Vorjahren weiter an.
Dass die Arbeitslosenzahlen, die im zweiten Teil der Studie behandelt werden, 2020 weniger ansteigen als in vielen anderen EU-Ländern, sei auf das gute Sozialsystem und politische Maßnahmen zurückzuführen. Deshalb gelte es unbedingt, dieses System nach der Krise zu schützen, so die CSL.
Probleme macht allerdings weiterhin die Langzeitarbeitslosigkeit, die trotz vieler neu geschaffener Arbeitsplätze (nur Malta und in sehr geringem Maße Belgien gelang es neben Luxemburg, im Jahr 2020 ein größeres Job-Angebot zu schaffen) weiter zunahm. Behinderte Arbeitnehmer sind bei den Arbeitslosenzahlen weiterhin überrepräsentiert.
Der dritte Teil des Sozialpanoramas beschäftigt sich schließlich mit den Bedingungen und der Qualität der Arbeit, Themen, die ebenfalls im „Quality of work“-Index, der jährlich von der Arbeitnehmerkammer veröffentlicht wird, behandelt werden (wir berichteten).
Mehr befristete Arbeitsverträge
Obwohl die meisten Arbeitsverträge in Luxemburg weiterhin einen unbefristeten Charakter haben, so nimmt die Zahl der Verträge auf eine bestimmte Dauer doch stark zu. Besonders junge Menschen bis 25 werden oft nur auf begrenzte Dauer eingestellt. Teilzeitarbeit ist recht weit verbreitetet, nimmt allerdings leicht ab.
Die Salariatskammer hat ebenfalls das Armutsrisiko bei Menschen in Arbeit gemessen. Das Phänomen der „Working poor“ ist von allen Ländern der Eurozone in Luxemburg am stärksten verbreitet, was mit dem relativ betrachtet niedrigen Mindestlohn in Zusammenhang steht, der netto leicht über dem Armutsrisiko liegt.
Das Wohlbefinden am Arbeitsplatz nahm 2020 ab, Konflikte zwischen Job und Privatleben sowie Depressionen nahmen zu; so weitere Feststellungen des wenig erfreulichen aktuellen Sozialpanorama.
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