/ Sozialist und Republikaner – Robert van Hulle, Architekt des Escher Stadttheaters
Im November 1918 war in Luxemburg eine linksliberale republikanische Bewegung entstanden. Ihren Höhepunkt hatte sie am 9. Januar 1919, als sie die Republik ausrief. Nur einen Tag später wurde sie von französischen Soldaten niedergeschlagen. Seitdem wurde die Monarchie in Luxemburg nur noch von wenigen infrage gestellt. Einer dieser wenigen ist der ehemalige Escher Stadtarchitekt Robert van Hulle, der sich wegen seiner politischen Überzeugung weigerte, 1962 an der feierlichen Eröffnung des von ihm entworfenen Stadttheaters teilzunehmen. Sein Sohn Guy erinnert sich.
Die republikanische Bewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg in Luxemburg fast die Monarchie abgeschafft hätte, hielt sich nur wenige Monate. Nachdem Großherzogin Charlotte beim Referendum vom 28. September 1919 bestätigt wurde, war die Republik kein Thema mehr. Insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellte keine politische Partei mehr die Daseinsberechtigung der Dynastie Nassau-Weilburg infrage. Selbst bei den Sozialisten und Kommunisten gehörte es fortan zum guten Ton, Großherzogin Charlotte und Prinz Felix zu besonderen Anlässen zu empfangen.
Doch auch wenn die Monarchie auf institutioneller Ebene seit fast 100 Jahren unumstritten scheint, gab es doch immer wieder vereinzelte engagierte Bürger, die sich allen Widerständen zum Trotz weigerten, die Legitimität der Dynastie anzuerkennen, und am republikanischen Gedanken festhielten. Einer von ihnen war Robert van Hulle, von 1953 bis 1972 Architekt der Stadt Esch.
Ein „richtiger Sozialist“
Laut seinem Sohn Guy van Hulle war sein Vater Robert ein „richtiger Sozialist“. Mit seinen Gefährten, unter ihnen namhafte LSAP-Politiker wie Antoine Krier, Jean Fohrmann, Jules Schreiner und Pierre Gansen, habe er sich regelmäßig in der „Maison du peuple“ in Esch getroffen.
Bei den Versammlungen der Sozialisten habe Van Hulle immer wieder, „fast schon obsessiv“, sein republikanisches Anliegen zur Sprache gebracht. Doch die anderen wollten nichts davon wissen. Sie haben ihn belächelt oder zur Ordnung gerufen. Die Republik sei ihre kleinste Sorge, habe es damals geheißen. Manche meinten sogar, er habe der LSAP damit geschadet.
„Keine Untertanen und keine Subjekte“
Doch Robert van Hulle wies immer wieder auf die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Monarchie hin und stellte die Daseinsberechtigung der Dynastie grundsätzlich infrage. „Es gibt keine Untertanen, es gibt keine Subjekte und es gibt kein blaues Blut“, sei die Maxime seines Vaters gewesen, erzählt Guy van Hulle.
Eine Anekdote illustriert die republikanische Gesinnung des Robert van Hulle eindrucksvoll. Am 26. Mai 1962 wurde das Escher Stadttheater im Rahmen einer großen „Jumelage“-Feier offiziell eingeweiht. Als Stadtarchitekt hatte Van Hulle das Theater geplant und gebaut. Neben den Bürgermeistern der Escher Partnerstädte waren auch Staatsminister Pierre Werner, Parlamentspräsident Joseph Bech und Großherzogin Charlotte mit ihrem Gemahl Prinz Felix eingeladen. Schon im Vorfeld der Einweihung habe Robert van Hulle seiner Familie angekündigt, dass er nicht an der Feier teilnehmen werde, erzählt sein Sohn Guy. Sein Vater habe sich geweigert, die Hände der illustren Gäste zu schütteln.
Feierliche Eröffnung im Palast? Nein, danke!
Tatsächlich schrieb er dem Escher LSAP-Bürgermeister Antoine Krier zwei Tage vor der Feier einen Brief, in dem er ihm unmissverständlich mitteilt, dass er nicht an der feierlichen Eröffnung in Anwesenheit des großherzoglichen Paares teilnehmen werde. „J’ai le profond regret de vous informer qu’il m’est impossible d’assister à l’ouverture solenelle du théâtre municipal, qui aura lieu en présence de LL. AA. RR. Afin de justifier ma conduite peu conforme aux règles admises, j’ai l’honneur de vous dire que mes opinions politiques et ma conscience de démocrate ne me permettent pas de participer à cette manifestation“, heißt es in dem Schreiben.
Die Antwort des Bürgermeisters am Tag der Einweihung ist kurz, aber beherzt: „Retourné à M. van Hulle avec l’information que le Collège échevinal considère comme normal que l’Architecte de la ville est présent à l’ouverture du théâtre municipal et qu’il rentre dans les attributions du constructeur dudit théâtre de présider la réception prévue à la fin du concert au foyer.“
Eröffnungsfeier im Familienkreis
Doch der Stadtarchitekt ließ sich nicht umstimmen. Am Tag der Einweihung sei er zwar im Theater anwesend gewesen, doch er habe sich nur hinter den Kulissen bewegt, für den Fall, dass es ein technisches Problem gegeben hätte. Am Ende der Feier habe er das Theater durch die Hintertür verlassen. Zu hause habe er die Eröffnung dann im Familienkreis gefeiert, berichtet Guy. Doch seine Ankündigung, an der offiziellen Feier nicht teilzunehmen, habe er eingehalten.
Aber woher kam eigentlich Van Hulles republikanische Überzeugung? Robert van Hulle wurde am 28. Mai 1906 als zweites von vier Kindern in Vany-lès-Metz in Lothringen geboren. Die Region gehörte damals noch zum Deutschen Reich. Sein Vater war Ingenieur im Tunnelbau und stammte aus Flandern. Die Familie zog oft um, „von Tunnel zu Tunnel“, wie Guy van Hulle sagt, bis sie sich in Junglinster niederließ. Der Vater von Robert van Hulle verstarb früh, sodass die Mutter für die vier Kinder sorgen musste. Als wäre das nicht genug Arbeit gewesen, hat die Alleinerziehende noch ein Waisenkind aufgenommen, wofür sie zumindest am Anfang etwas Geld vom Staat bekam.
„Ein Europäer der ersten Stunde“
Sein Vater sei demnach schon mit dem sozialen Gedanken aufgewachsen, der sein ganzes späteres Leben geprägt habe, sagt der heute 69-jährige Guy van Hulle: „Weil er die beiden Weltkriege miterlebt, aber nicht unmittelbar darunter gelitten hat, war er von Anfang an ein überzeugter Europäer.“ Als solcher sei er auch Mitglied der europäischen Föderalisten gewesen.
Dank der Unterstützung eines Mäzens konnte Robert van Hulle an der „Ecole des travaux publics“ in Paris studieren und seinen Abschluss als Ingenieur machen. Später habe er auch noch eine Architekten-Ausbildung nachgeholt.
Seine erste Anstellung erhielt er in den 1930er Jahren bei Paul Wurth. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs hat er in Zittig die Englischlehrerin Marie Bisdorff geheiratet. Nach dem Krieg war er als Ingenieur am Wiederaufbau beteiligt. Er wollte sich selbstständig machen, doch der Geschäftssinn habe ihm gefehlt und seinen Überzeugungen widersprochen. „D’Sue sinn eppes Knaschteges“, habe sein Vater ihn gelehrt, erzählt Guy van Hulle.
Großer Einfluss auf seinen Sohn
1953 löste Robert van Hulle dann Isidore Engler als Architekt der Stadt Esch ab. Mit den Sozialisten von damals habe er in vielen Punkten auf einer Linie gelegen. Außer wenn es um die Frage der Monarchie gegangen sei. Als überzeugter Republikaner habe er aber jahrzehntelang „alleine auf weiter Flur“ gestanden.
Am Geburtstag der Großherzogin hat er sich über die aufgeregt, die am Straßenrand „Vive“ gerufen haben. Auch bei Familienfesten habe er immer wieder seine antimonarchistische Haltung zur Sprache gebracht, was bei der „konformistischen“ Verwandtschaft gar nicht gut angekommen sei, schildert Guy.
Als Escher Stadtarchitekt war Robert van Hulle nicht nur für den Bau des Stadttheaters, sondern auch für den Pavillon auf dem Galgenberg und den Neubau des „Stade de la Frontière“ verantwortlich. Seine Pläne, ein Freibad im Park Laval zu errichten, seien am Widerstand der Anwohner gescheitert.
Gradlinig und stur
Während seiner Amtszeit wurde auch das Schloss Berwart abgerissen. „Gegen seinen Willen“, wie Guy betont. Sein Vater habe zwar anerkannt, dass das Schloss baufällig war, sei aber der Meinung gewesen, dass man es trotz der hohen Kosten hätte restaurieren sollen. Guy van Hulle beschreibt seinen Vater als gradlinig und stur. Doch er habe immer ein Herz für die Schwächeren in der Gesellschaft gehabt.
2003 ist Robert van Hulle im Alter von 97 Jahren verstorben. Seine kulturelle Hinterlassenschaft ist vor allem architektonischer Natur. Seine republikanische Überzeugung hat er an seinen Sohn weitervererbt.
Seit den 1970er Jahren ist Guy van Hulle bestens bekannt für seine bissigen, sozialkritischen und ironischen Beiträge zur Tagesaktualität, die regelmäßig in mehreren Zeitungen veröffentlicht werden.
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Hut ab vor der Geradlinigkeit dieses Mannes. Guy van Hulle, Sie haben allen Grund stolz auf Ihren Vater zu sein.
Menschen seines Schlages werden heute immer seltener.