Nach Brandenburg-Wahl / SPD: „Der Olaf sitzt unverändert fest im Sattel“
Der knappe SPD-Erfolg in Brandenburg hat dem Kanzler etwas mehr Luft verschafft. An seiner Kanzlerkandidatur will derzeit öffentlich kaum ein Parteifreund rütteln – dennoch erhöht die SPD-Fraktion den Druck auf Olaf Scholz.
Der Bundeskanzler sieht noch etwas müde aus, als er am Dienstagnachmittag im Reichstag auf der Fraktionsebene aus dem Aufzug steigt. Sofort ist Olaf Scholz umringt von jungen Menschen, die ein Selfie wollen. Geduldig nimmt er sich drei Minuten Zeit für die Schnappschüsse. Es ist noch nicht lange her, da landete sein Flugzeug aus New York, wo Scholz beim UN-Treffen dabei war. Jetzt wieder Innenpolitik, Baustellen gibt es genug.
Da tut es dem SPD-Kanzler auch mal gut, wenn es in der Fraktionssitzung zuerst vor allem um den knappen Erfolg der Sozialdemokraten bei der Brandenburg-Wahl geht. Scholz hatte daran allerdings nur einen geringen Anteil, oder andersherum: Er wurde von Ministerpräsident und Spitzenkandidat Dietmar Woidke absichtlich auf Abstand gehalten im Wahlkampf. Gewinnen geht nur, wenn Scholz nicht da ist und die extrem unbeliebte Ampel kaum vorkommt?
In der SPD will man von solchen Zuspitzungen nichts wissen. Scholz sei als Kanzlerkandidat für die nächste Bundestagswahl gesetzt, daran gebe es keinen Zweifel, betonte zuletzt Parteichef Lars Klingbeil. Und auch Woidke widersprach da nicht. Am Rande der Fraktionssitzung im Bundestag sagt ein Abgeordneter am Dienstag: „Der Olaf sitzt unverändert fest im Sattel.“
Dass Scholz unantastbar ist, stimmt allerdings auch nicht. In der Partei und auch in der Fraktion brodelt es zunehmend. Die Umfragewerte von Partei und Kanzler sind im Keller, so gut wie niemand wünscht sich den Erhebungen zufolge eine Fortsetzung der Ampel-Koalition. Auf ihr Fortbestehen bis zum regulären Wahltermin in einem Jahr will kaum noch jemand wetten. Insbesondere mit Blick auf die FDP ist man sich bei der SPD und bei den Grünen nicht mehr sicher. Gehen die Liberalen von Parteichef und Finanzminister Christian Lindner frühzeitig raus aus der Regierung, ungeachtet aller Krisen in und um Deutschland herum? Es wäre Wahnsinn, sagt ein erfahrener Sozialdemokrat, ausgeschlossen sei es aber nicht.
Dringend zusätzliche Investitionen gefordert
Und so setzt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor der Sitzung den Ton in Richtung des Koalitionspartners: „Es hilft doch niemandem, wenn man immer radikaler in der Sprache wird“, sagt er zu dem von Lindner gegenüber dem Tageblatt ausgerufenen „Herbst der Entscheidungen“ für die Ampel. „Wir wollen an der Koalition festhalten. Es gibt kein Ausstiegsszenario“, betont Mützenich.
Zudem erklärt der SPD-Fraktionschef vor der Sitzung, dass die Bundesregierung wegen der Probleme der Industrie dringend wieder Gespräche mit Wirtschaft und Gewerkschaften beginnen müsse – und nimmt auch den Kanzler in die Verantwortung. „Ich finde, ein probates Mittel wäre, die konzertierte Aktion erneut zu nutzen“, sagt Mützenich, was auch einige in der SPD überrascht. Er erinnert daran, dass vor der Sommerpause sowohl BDI-Präsident Siegfried Russwurm als auch DGB-Chefin Yasmin Fahimi in der SPD-Bundestagsfraktion dringend zusätzliche Investitionen gefordert hätten. Die SPD werde dieses Thema auch in den Haushaltsberatungen wieder thematisieren, weil die Ausnahmen aus der Schuldenbremse nicht ausreichend genutzt würden. Mützenich verweist in dem Zusammenhang auf die Probleme von Unternehmen wie Thyssenkrupp, VW oder Intel. „Wir glauben, dass das einer der Schwerpunkte nicht nur in den Haushaltsberatungen sein muss, sondern auch für die politische Debatte“, sagt er. Das werde man in der Fraktionssitzung mit dem Kanzler diskutieren.
Widerstand gegen schärfere Asylpolitik
Zwar nimmt Scholz dann drinnen im Fraktionssaal den Ball einer konzertierten Aktion nicht auf. Doch auch der Regierungschef bringt neue Maßnahmen der Bundesregierung ins Gespräch, die man nun in der Koalition besprechen müsse. Er betont Teilnehmern zufolge, dass er sich für ein „Industriepaket“ einsetzen wolle. Zwar wird er wenig konkret, denkbar wären aber beispielsweise Anpassungen des Industriestrompreises und Netzentgelte oder eine weitere Unterstützung von Elektromobilität. Allerdings ist auch unter den Sozialdemokraten umstritten, ob man den Absatz von E-Autos durch Abwrackprämien wieder ankurbeln sollte.
Scholz weiß, dass er aufpassen muss, dass er die Abgeordneten mitnehmen und für sich gewinnen muss. Denn auch wenn sie es nicht laut sagen: An seine Siegchancen gegen Unions-Herausforderer Friedrich Merz glauben längst nicht alle. Und sie sind auch nicht bereit, alles mitzutragen.
So formierte sich zuletzt in der SPD Widerstand gegen eine schärfere Asylpolitik. In einem offenen Brief fordern Hunderte Sozialdemokraten die SPD-Vertreter in der Bundesregierung und im Bundestag auf, das Asylrecht zu verteidigen und Menschenrechte zu wahren. „Die SPD darf nie die menschenfeindlichen Narrative und Positionen rechter Parteien aufgreifen und damit normalisieren“, heißt es in dem Brief, den Abgeordnete aus Europarlament, Bundestag und Landtagen, aber auch einfache Parteimitglieder initiierten und inzwischen Hunderte weitere unterzeichneten. Es brodelt, das weiß auch Scholz.
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