Deutschland / SPD-Wahlkampf: Zieht der Kanzler im Osten noch?
Für die SPD geht es bei den anstehenden Wahlen um viel: Trifft die Regierungspartei mit Kanzler Olaf Scholz noch den Nerv der Menschen? Kann die Partei ihre Basis mobilisieren, sich im Osten der AfD entgegenstellen? Ein Ortstermin mit Parteichef Lars Klingbeil in Sachsen.
Wer in der sächsischen Stadt Delitzsch aus dem Zug steigt, kommt nicht umhin, auf das riesige Wahlplakat der SPD auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu blicken. Allerdings sieht man dort nicht Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Katarina Barley, sondern die sozialdemokratischen Bewerber für die Kommunalwahl, die ebenfalls am 9. Juni stattfindet.
Heiko Wittig, SPD-Fraktionsvorsitzender im Kreistag Nordsachsen, dürfte das gefallen. Der Kommunalpolitiker bekam vor kurzem bundesweite Schlagzeilen, weil er sich für einen Kanzlerkandidaten Boris Pistorius ausgesprochen hatte und Kritik an Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) übte. „Sehr viele an der SPD-Basis sagen: Pistorius ist ganz klar unsere Nummer eins“, wurde er zitiert. „Wenn Pistorius als Kanzlerkandidat gegen Friedrich Merz antreten würde, wäre der 15-Prozentpunkte-Vorsprung der Union ganz schnell geschmolzen.“
Der Gast, den sie in Delitzsch am Donnerstagnachmittag begrüßen, dürfte das ein wenig anders sehen. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil macht in Sachsen Station. Und hatte zuletzt nochmals sehr deutlich gemacht, dass der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Scholz heißen wird. Was soll der Parteichef angesichts eines amtierenden Kanzlers ein Jahr vor der Bundestagswahl auch anderes sagen?
Wenn Pistorius als Kanzlerkandidat gegen Friedrich Merz antreten würde, wäre der 15-Prozentpunkte-Vorsprung der Union ganz schnell geschmolzenSPD-Kommunalpolitiker
Doch der Bundestagswahlkampf liegt ohnehin noch in weiter Ferne, jetzt stehen erst mal Europa- und Kommunalwahlen an, im Herbst dann Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, darunter auch in Sachsen.
Kanzler oder Umfrageliebling Pistorius
Die SPD kann mit den aktuellen Umfragen nicht zufrieden sein, bei der Europawahl am 9. Juni etwa wird es vor allem darum gehen, vor der AfD zu landen und dabei möglichst das letzte Ergebnis der Europawahl von 15,8 Prozent nicht zu reißen, sondern zu übertreffen. Das Problem der Sozialdemokraten ist dabei auch die Mobilisierung ihrer Anhänger, denn irgendwie ist Europawahl und keiner spricht drüber. Die derzeit diskutierten Themen wie Mindestlohn, Haushalt oder Rente sind eher national, außerdem streitet das Land hitzig über die Wehrpflicht. Da die SPD mit Kanzler und Verteidigungsminister die Protagonisten der Debatte stellt, ist es auch eine Diskussion über den Kanzler, den Umfrageliebling Pistorius und die Frage, wer sich von den beiden Männern inhaltlich durchsetzt.
Insofern hat Wittig mit seiner Einlassung durchaus einen Punkt. Nicht nur an der Basis, auch in der SPD-Bundestagsfraktion murren einige über Scholz. Doch den Menschen in der sächsischen Stadt, rund 25 Kilometer von der Metropole Leipzig entfernt, brennt anderes unter den Nägeln: Etwa der Eigenanteil in Pflegeheimen, der viele Ältere und ihre Angehörigen umtreibt. Oder die Frage, wie lange Kinder gemeinsam lernen sollten, bevor der Abgang auf weiterführende Schulen erfolgt. Oder was das gerade verabschiedete Rentenpaket II, das die SPD als Erfolg feiert, für den Arbeitnehmer bedeutet, wenn die Beiträge zur Rentenversicherung steigen.
Und was ist eigentlich mit den Bürgergeldempfängern, die sich verweigern? Das empört hier einige. Auch Vorbehalte gegen ukrainische Flüchtlinge, die Bürgergeld beziehen, werden laut. Klingbeil will das mit den Bürgergeldempfängern nicht so pauschal stehen lassen, weist darauf hin, dass es auch die alleinerziehende Mutter darunter gibt, die arbeiten geht und das Geld trotzdem nicht zum Leben reicht. Die Problematik mit den Kriegsflüchtlingen kennt man allerdings auch in der SPD, der groß beworbene „Job-Turbo“ von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil bedeutet nichts anderes, als mehr Druck auszuüben.
Auf Augenhöhe diskutieren
Der SPD-Chef geht auf alle Fragen ein, zeigt etwa auch auf, welchen Unterschied Parteien im kommunalen Bereich machen, kämpfen doch diese zunehmend damit, dass parteilose Bündnisse, rechts wie links, in den kommunalen Gremien übernehmen. Und macht deutlich, dass auch die SPD-Spitze durchaus intensiv darüber nachdenkt, was man eigentlich denen politisch anbietet, die arbeiten gehen, Steuern zahlen und mit steigenden Sozialbeiträgen kämpfen. Der Partei fällt da einiges ein, etwa Entlastungen bei der Einkommenssteuer für die Mitte, eine Ausweitung der Beitragszahler in der gesetzlichen Rente, insgesamt eine Reform der Schuldenbremse, um die staatlichen Ausgaben erweitern zu können – wenn, ja wenn da nicht der Koalitionspartner FDP wäre.
Warum streitet die Ampel eigentlich ununterbrochen, fragt dann auch ein Gewerkschafter aus dem Publikum. Klingbeil lacht, die Frage stellt sich der Parteichef, selbst nicht Regierungsmitglied, auch des Öfteren. Ohne eine wirklich erschöpfende Antwort zu haben.
Und so klingt es auch ein wenig beschwörend, wenn sich Klingbeil mit dem Satz verabschiedet: „Gehen Sie wählen, gehen Sie demokratisch wählen, gehen Sie sozialdemokratisch wählen“. Egal, wo das Kreuz in der Wahlkabine letztlich gemacht wird, auf Augenhöhe zu diskutieren, das wird nicht nur in Delitzsch geschätzt. „So was bräuchten wir viel öfter“, sagt einer beim Rausgehen.
Umfragen zur Europawahl
Wie ist die Stimmung vor dem Europawahltag? Laut dem ARD-Deutschlandtrend kommen CDU/CSU auf 29 Prozent, die SPD wäre mit 15 Prozent zweitstärkste Kraft. Dahinter folgen die AfD und die Grünen mit jeweils 14 Prozent.
Die FDP liegt bei der ARD bei vier, das BSW bei sechs, die Freien Wähler bei drei und die sonstigen Parteien bei zwölf Prozent.
Ähnlich fällt das ZDF-Politbarometer zur Europawahl aus: Danach kommt die Union auf 30, die Grünen auf 15 und die SPD sowie die AfD auf jeweils 14 Prozent. Beim ZDF sind die Werte für die FDP vier, die Linke vier und das BSW sechs Prozent.
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