/ SPD will der Dauerkrise trotzen – und europäischer werden
Die SPD ist ziemlich holprig ins neue Jahr gestartet. Nachdem sich Vizekanzler Olaf Scholz per Zeitungsinterview quasi selbst zum nächsten Kanzlerkandidaten ausrief, verfiel die Partei in das, was sie immer noch am besten kann, nämlich permanente Selbstbeschäftigung.
Von unserem Korrespondenten Stefan Vetter, Berlin
Aber damit soll nun Schluss sein. Auf einer zweitägigen Fraktionsklausur, die am Donnerstag in Berlin startete, wollten die krisengeschüttelten Genossen nach vorn schauen – wieder einmal. „Wir sollten öffentlich mehr über Politik und weniger über uns reden“, gab Andrea Nahles die Richtung vor.
Ins Schaufenster will die Partei- und Fraktionschefin vor allem die Kinder- und Familienpolitik stellen. Dazu diskutierten die SPD-Bundestagsabgeordneten ein Beschlusspapier, das auf eine „zuverlässige und bedarfsgerechte Absicherung von Kindern“ zielt.
Nicht mehr nur Sozialstaatspartei
Kernpunkt ist die Einführung einer Kindergrundsicherung. Die Bündelung sämtlicher staatlicher Hilfen für den Nachwuchs wird von Sozialverbänden schon seit Jahren gefordert.
Die SPD möchte 2019 aber nicht nur mehr Sozialstaatspartei sein, sondern auch Europapartei. Anlass sind die Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai. „Wir wollen, dass diese Europawahl eine Entscheidung für mehr Gerechtigkeit, für mehr Demokratie, letztlich für mehr Europa wird“, heißt es dazu in einem weiteren Antrag für die Fraktionsklausur. Konkret geht es zum Beispiel um eine europäische Digitalsteuer sowie eine europäische Sozialagenda „mit fairen Mindestlöhnen in möglichst allen EU-Staaten“.
Die eigentliche Nagelprobe für die weitere Profilierung der SPD ist allerdings erst im Februar. Dann soll auf einer Klausur der Parteispitze über wirklich heikle Themen wie etwa die Zukunft von Hartz IV oder das Spannungsfeld zwischen Arbeit und Umwelt entschieden werden. So gab es erst in dieser Woche auf einer Klausurtagung der beiden größten Landesgruppen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen/Bremen offenen Streit darüber, ob sich die SPD mehr um den Klimaschutz oder den Erhalt von Jobs kümmern müsse. Eine klare Linie ist hier auch deshalb erforderlich, weil SPD und Union laut Koalitionsvereinbarung ein Gesetz zur Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 planen.
Kein Interesse an Neuwahlen
Überhaupt dürfte das weitere Wohl oder Wehe der Sozialdemokraten stark vom Erscheinungsbild der Großen Koalition in Berlin abhängen. In der SPD-Führung herrscht der Eindruck vor, dass die Spitzen von CDU und CSU wegen der politischen Eskalation im vergangenen Jahr zur Besinnung gekommen sind. Der unionsinterne Streit über die Asylpolitik hatte das schwarzrote Bündnis fast in den Abgrund getrieben.
Weder die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch Nahles haben dem Vernehmen nach ein Interesse an vorzeitigen Neuwahlen. Das kann sich allerdings ändern, denn der Koalitionsvertrag sieht für dieses Jahr eine „Bestandsaufnahme“ über das bislang politisch Erreichte vor.
Steigt die SPD doch noch aus der Groko aus?
Teile des linken SPD-Flügels sehen darin ein Einfallstor, um die ungeliebte Groko doch noch aufzukündigen. Ob es tatsächlich dazu kommt, wird in erster Linie von den Wahlergebnissen der Partei abhängen.
Bei der Europawahl vor fünf Jahren kam die SPD immerhin auf gut 27 Prozent. Das ist fast doppelt so viel wie bei den aktuellen Wahlumfragen für den Bund. Auch in Ostdeutschland haben die Genossen einiges zu verlieren. In Sachsen, Brandenburg und Thüringen – dort wird im September beziehungsweise Ende Oktober gewählt – sitzt man mit am Regierungstisch. In Brandenburg stellt die SPD sogar den Ministerpräsidenten.
Gänzlich beerdigt ist die Debatte über die Kanzlerkandidatur übrigens nicht. Beim Treffen der Landesgruppen von NRW und Niedersachsen/Bremen stieß die Idee, dafür eine Urwahl abzuhalten, auf breite Akzeptanz. Mit dem Vorschlag soll sich nun eine Parteikommission beschäftigen.
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