/ Spektakel oder Prestige – Die Unterschiede zwischen Giro und Tour de France
Das Spektakel ließ nicht lange auf sich warten. Gleich zum Auftakt des Giro d’Italia, der ersten großen Landesrundfahrt der Radsportsaison, gab es das erste Kräftemessen der Favoriten. Während die Tour de France oftmals eine gute Woche Anlaufzeit benötigt, verspricht die Italien-Rundfahrt Action von Anfang an.
Wie jedes Jahr zu diesem Zeitpunkt der Radsportsaison wird darüber philosophiert, ob der Giro nicht die schönste Rundfahrt des Jahres ist. Und es gibt mittlerweile einige Gründe, die dafür sprechen. Das beginnt bereits mit der geografischen Lage. Bilder von schönen Landschaften bietet sowohl der Giro als auch die Tour de France im Überfluss. Ob Provence und Pyrenäen oder doch lieber die Toskana und die Dolomiten, ist sicherlich eine Geschmacksfrage. Fakt ist aber, dass die Topografie Italiens ein abwechslungsreiches Radrennen eher begünstigt als das Profil von Frankreich. Trotz Einbeziehung des Zentralmassivs oder der Vogesen sind längere Übergangsphasen bei der Tour de France unumgänglich. Dagegen können die Streckenplaner der Italien-Rundfahrt aufgrund der Apenninen immer wieder Schwierigkeiten einbauen, selbst wenn das Peloton nicht in den Alpen oder Dolomiten unterwegs ist.
Der Giro ist oftmals vom Streckenverlauf her schwerer als die Tour de France, wobei eine alte Radsportweisheit besagt, dass es immer noch die Fahrer sind, die ein Rennen schwer machen. Obwohl die Streckenführung bei der Tour etwas leichter einzuschätzen ist, ist das Tempo doch anspruchsvoller. Die Tour de France ist immer noch das prestigeträchtigste Rennen der Welt. Doch genau das ist momentan das Problem der „Grande Boucle“. Eine Top-Ten-Platzierung bei der Tour kann die Karriere eines Profis grundlegend verändern.
Aus dem Grund wird bei der Tour sogar ein achter oder neunter Platz abgesichert, während sich die Fahrer beim Giro risikofreudiger zeigen. Außerdem weigern sich die Tour-Organisatoren seit Jahren, mehr Zeitfahrkilometer ins Programm aufzunehmen. Der Kampf gegen die Uhr sorgt nicht für die besten Einschaltquoten, dafür aber für eine größere Zahl an potenziellen Siegfahrern.
Es ist längst nicht mehr so, dass nur ein paar wenige hochklassige Klassementfahrer den Weg nach Italien finden. Ganz im Gegenteil: Dieses Jahr fahren einige Radprofis um einen Podiumsplatz beim Giro. Zwar fehlt das Dreigestirn von Ineos (ehemals Sky) mit Chris Froome, Geraint Thomas und Egan Bernal. Doch in den letzten Jahren hatte das Sky-Team die Tour durch seine Dominanz zum Erliegen gebracht. Mit ein Grund, wieso sich einige Favoriten, deren Mannschaft nicht so stark ist, für den Giro entschieden haben. Ob der Giro der Tour in den kommenden Jahren den Rang ablaufen wird, bleibt abzuwarten. Die Zeiten, in denen einzig und allein die „Grande Boucle“ das Maß aller Radsportdinge war, sind allerdings definitiv vorbei.
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Der Giro kann es, rein sportlich gesehen, durchaus mit der Grande Boucle aufnehmen. Der einzige grosse Unterschied, die TdF ist ein grösseres Medienspektakel.