Musik / Spilling himself on an album – Patrick Miranda über das erste Album von Pleasing
Nach ein paar EPs sowie vielen Live-Auftritten erscheint mit „In The Mood For Super Dark Times“ die erste Platte von Pleasing, in der Mastermind Patrick Miranda seine Depression auf eine manchmal brutale und stets brutal ehrliche Art verhandelt. Wir haben uns mit dem Sänger und Gitarristen über die neun Songs zwischen schillerndem Postrock und einfühlsamem Postcore und seine „super dark times“ unterhalten.
Es sind exakt zwei Jahre und drei Tage her, dass ich Patrick Miranda von Pleasing im damals neu eröffneten Bazaar getroffen hatte, um über seine gerade erschienene EP zu reden. Eine Pandemie und ein Album später sitzen wir im Interview, trinken Cappuccino – und reden plötzlich nicht nur über die neue Platte, die mit „In The Mood For Super Dark Times“ einen sehr passenden Titel trägt, sondern auch über die Stigmatisierung von psychisch Kranken, über Suizid und den Umgang mit einer Depression.
„Als wir uns damals getroffen haben, hatte ich kurz davor die Psychiatrie verlassen. Es war eine äußerst dunkle Zeit – ich kam aus einer dreijährigen Beziehung, die begann, als ich blutjung war. Am Ende dieser Beziehung war ich nicht mehr jung, hatte eine Person zutiefst verletzt und musste feststellen, dass ich, wenn ich in den sprichwörtlichen und metaphorischen Spiegel schaute, nicht den blassesten Schimmer hatte, wer dieser junge Erwachsene war, der da zurückblickte. Ich wusste nicht, wo meine Gedanken herkamen und ob das, was ich erlebt hatte, darauf hindeutete, dass ich ein schlechter Mensch war.“
Diese Gedankengänge plagten Miranda im Juli 2019. Im August brach seine Welt zusammen, der junge Gitarrist begab sich in eine Psychiatrie, weil er sich als suizidgefährdet sah. „Am schlimmsten war dieser Arzt, der meinte, wenn ich da rauskäme, solle ich in die Armee eintreten, da würde ich lernen, wie man Selbstvertrauen gewinnt. Kannst du dir das vorstellen? Jemandem, der psychisch labil ist, ein Engagement in der Armee vorzuschlagen?“
Das war ein weiterer Tiefpunkt – Patrick Miranda lernte, dass er niemandem wirklich vertrauen konnte – niemandem, außer der Musik. „Das Album, an dem ich damals bereits im Oktober zu werkeln begann, thematisiert genau diese Zeit.“ Viel davon entstand in der Pandemie, die bereits wenige Monate später die Menschheit in einen globalen Lockdown stürzte – „ich nutzte die Pandemie, um die dunkle Zeit im Jahr davor musikalisch zu verarbeiten – denn ganz gleich, wie viele Therapeuten ich bereits aufgesucht habe, Musikschreiben bleibt für mich die wirksamste Therapie“.
Weswegen der erste Monat des Lockdowns für Miranda eine bizarre, aber durchaus kreative Zeit war: „Es gab keine Erwartungen – weder privat noch beruflich oder musikalisch. Ich konnte ohne Leistungsdruck aufstehen und Riffs ausprobieren, die Effektpedale so einstellen, wie ich es mir vorstellte, Demos aufnehmen.“
Musik als Katharsis, Musik als Therapie
„Bereits im Oktober 2019 wurde mir klar, dass ich, im Gegensatz zur Musik, die ich zuvor mit Pleasing schrieb, auf dieser ersten LP Vocals haben wollte“ – wohl um den Themen, die den jungen Miranda damals wie heute beschäftigten, Ausdruck zu verleihen. „Das hat natürlich Auswirkungen auf die Art, wie man den Kompositionsprozess angeht“, sagt der Künstler.
„Jetzt, da die Platte erschienen ist, höre ich relativ oft, die Stimmung auf dem Album sei ja gar nicht durchgehend dunkel. Dabei ist eine Depression ja nicht ein ständiges Dahinsiechen – sie kann sich auch durch Panikattacken oder zwanghaftes Verhalten auszeichnen. Diese Kluft, dieses Schwanken zwischen Melancholie und Schüben von rauen, fast animalischen Ausbrüchen, die wollte ich in meiner Musik einfangen – weil es meinen psychischen Zustand in dieser Zeit reflektiert.“ Und tatsächlich ist „In The Mood For Super Dark Times“ zwar textlich fast durchgehend „super dark“, dafür aber nicht aus musikalischer Sicht: Oftmals kippt die Stimmung der Songs, eine ruhige, melancholische Passage wechselt sich mit einem Wutausbruch ab, es gibt hier und da fast lebensbejahende, mitreißende Momente, die Songstrukturen sind launisch, selten linear und gerade deswegen fordernd, abenteuerlich.
Da wäre zum Beispiel „Sundays Are Supposed To Feel Lonely“, ein Song über das Gefühl, unter der Woche so viel Verantwortung aufnehmen zu müssen, dass es einem am Ende der Woche zu viel wird und man den Montag herbeisehnt, um sich der Auseinandersetzung mit sich selbst entziehen zu können. Im Zentrum des Songs steht ein Gitarrenriff, das gleichzeitig hymnisch und melancholisch klingt. „Hide Your Sex Tapes“, laut Miranda der Song, den zu schreiben ihn am meisten kostete, weil er die gescheiterte Beziehung verhandelt und eine Art Entschuldigungsbrief ist, ist erotisch geladen wie ein Deftones-Song und erinnert in seinen urplötzlichen Wutausbrüchen an die frühen Thursday – man vergleiche die Alben „Full Collapse“ und „War All The Time“.
Neben den fünf Songs mit Vocals, die wie bei La Dispute immer wieder zwischen Postrock und Postcore, zwischen Sprechgesang und Gekeife pendeln – speziell „Hanging“, über das Tabuthema Suizid, hätte mit seinem verspielten Riff auch von La Disputes „Wildlife“ stammen können –, gibt es auch vier instrumentale Tracks: „Dança Gatinha“ ist ein tanzbares, entspanntes Intermezzo, „Bplr“ ein melancholisches, kurzes Instrumental, im Laufe dessen ein gesampeltes Interview die Stigmatisierung psychischer Erkrankung thematisiert und anprangert – ein brisantes Thema in einem Land, in dem die Suizidrate überdurchschnittlich hoch ist. Der Opener „Oddly“ und der Closer „It Isn’t“ zeigen, dass Pleasing auch das Zeug dazu hätte, eine der spannenderen Postrock-Bands zu sein: Auf „Oddly“ trifft ein scheppernder, fast tanzbarer Bass auf energische Gitarren, die manchmal an melancholischen Postrock, manchmal an die stürmischen Riffs der ersten Alben der Postcore-Formation Sparta erinnern. Und „It Isn’t“ klingt erst mal wie die depressiven Schweden von Logh, bevor es an Fahrt aufnimmt und die Platte experimentell beendet.
Intim und kollektiv
Auf diesen „Super Dark Times“ scheint eine Energie, eine Harmonie zwischen Miranda und seinen Mitmusikern – Xavier Hofmann am Bass und Sacha Ewen am Schlagzeug – durch, die man auf den vorigen Veröffentlichungen so nicht gehört hat: Dass die Laut-Leise-Dynamik auf Songs, die in ihrer Fragmentierung ein wahres Wechselbad der psychischen Zustände widerspiegeln, so gut funktioniert, liegt auch an der dynamischen Rhythmus-Sektion. „Wir harmonieren wie eine Band, auch wenn Pleasing nach wie vor mein Projekt bleibt: Der Kompositionsprozess funktioniert weiterhin so, dass ich an meinen Songs tüftele – und meine beiden Mitmusiker sie dann danach verfeinern, kompakter gestalten, schleifen.“
Pleasings Interesse gilt aber nicht nur Mirandas persönlicher, traumatischer Geschichte – der Musiker versucht, auch anderen Menschen, die mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen haben, eine Stimme zu geben. Da wäre zum Beispiel der „Moody Room“, ein Begleitprojekt zur Platte: Im Rahmen eines vom KUK gefilmten und ausgestrahlten Theaterstücks mit Livemusik wurden Menschen aufgefordert, ihre Geschichten über psychische Belastungen oder Erkrankungen anonym zu teilen – diese wurden schließlich während der Liveperformance in musikalischer und theatralischer Form mit den Musikern von Pleasing und den SchauspielerInnen Léa Weber und Joshua Defays nachgestellt und nacherzählt.
So wird Mirandas Einzelschicksal in ein größeres Gefüge eingebettet, für das Stück hat er zusammen mit seinem Vater den „Moody Room“ konzipiert – eine Art Raum, der metaphorisch verdichtet, was es bedeutete, während des Lockdowns mit seinen Gedanken und Gefühlen auf engstem Raum zu leben. Während der Release-Party in den Rotunden wird übrigens in genau diesem Raum das Merchandise verkauft.
Eine weitere, zusammen mit der „Ligue luxembourgeoise d’hygiène mentale“ eingeleitete Initiative ist das Projekt, mit zehn Menschen mit psychischen Erkrankungen einen Pleasing-Song zu schreiben und sie anschließend mit in den Aufnahmeraum zu nehmen. „Da ist es ganz gleich, ob diese Menschen ein Instrument beherrschen. Wenn sie eine Stimme und eine Geschichte zu erzählen haben, reicht das völlig aus.“ Pleasing möchte allerdings keineswegs die Rolle eines Therapeuten übernehmen. „Das steht mir nicht zu, das kann ich nicht: Mir geht es darum, diese Menschen zu begleiten, ihnen die Erfahrung anzubieten, die mir geholfen hat. Alles, was ich tun kann, ist, eine Komfortzone einzurichten und anzubieten.“ Wer diese aufsuchen möchte, sollte sich das Konzert am Samstag auf jeden Fall nicht entgehen lassen – und im Vorfeld die Platte anhören. Denn auch, wenn nicht alle Songs zünden: Spannender und musikalisch ausgereifter klang die Verarbeitung einer Depression selten.
- Barbie, Joe und Wladimir: Wie eine Friedensbotschaft ordentlich nach hinten losging - 14. August 2023.
- Des débuts bruitistes et dansants: la première semaine des „Congés annulés“ - 9. August 2023.
- Stimmen im Klangteppich: Catherine Elsen über ihr Projekt „The Assembly“ und dessen Folgeprojekt „The Memory of Voice“ - 8. August 2023.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos