Interview / Spitzenkandidat Nicolas Schmit zum Ausgang der Wahlen und wie es im EU-Parlament, und mit ihm, weitergeht
Der luxemburgische EU-Kommissar und Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten bei den EU-Wahlen, Nicolas Schmit, wird in den kommenden Tagen und Wochen aktiv an den Verhandlungen in Brüssel zwischen den politischen Gruppierungen über die Besetzung verschiedener politischer Ämter teilnehmen. Wir sprachen gestern mit ihm über das Ergebnis der Wahlen in der EU und Luxemburg sowie die Bedingungen für eine Unterstützung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Tageblatt: Sie hatten sich vermutlich mehr erhofft von den EU-Wahlen: Wie ordnen Sie allgemein das vorläufige Ergebnis ein?
Nicolas Schmit: Man erwartet immer ein Maximum, doch wir waren auch realistisch. Wir haben die Situation in Europa erkannt, die sehr durchwachsen ist. In manchen Ländern lief es sehr gut, in anderen nicht. Das Resultat ist nicht schlecht, es bedeutet Stabilität für die Sozialdemokraten in Europa. Wir hätten natürlich besser abschneiden können, aber angesichts der Umstände, unter denen diese Wahlen stattgefunden haben, haben wir ein zufriedenstellendes Ergebnis.
Welche Bedingungen stellen die Europäischen Sozialdemokraten für eine Unterstützung der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?
Eine Bedingung ist: keine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten. Das scheint angekommen zu sein bei der EVP. Sie wollen das nun gemeinsam mit den demokratischen Parteien im EU-Parlament, mit uns, mit den Liberalen – mal sehen, ob die Grünen eingebunden werden, wir sind in dieser Hinsicht offen. Die zweite Bedingung ist ein Programm, das auf die großen Probleme eingeht. Der Green Deal darf nicht in einer Schublade verschwinden. Wir müssen weiter daran arbeiten, Europa zu entkarbonisieren, natürlich ohne unsere Industrie aufzugeben. Und mit einer ganz starken sozialen Dimension in der Klimapolitik. Europa muss mehr für seine Sicherheit tun. Wir müssen dafür sorgen, dass Europa wirtschaftlich nicht ins Hintertreffen gerät, indem wir auf neue Technologien etwa im Umweltbereich oder im Bereich der Künstlichen Intelligenz setzen. Das bedeutet, dass Europa seine Investitionskapazitäten stärken muss, sowohl für private als auch für öffentliche Investitionen. Dazu gehört auch eine europäische Möglichkeit, große europäische Projekte zu unterstützen.
Also gemeinsame Anleihen …
Ja, nach dem Modell, wie wir es nach der Corona-Krise getan haben. Wenn wir Investitionskapazitäten wollen, dann finden wir die nicht in dem gegenwärtigen EU-Haushalt. Dieses Budget mit etwas über einem Prozent (des EU-weiten BIP, Anm. d. Red.) hat seine Grenzen. Die Herausforderungen für den Green Deal, die Umwelt, für unsere Sicherheit sind enorm. Ich sehe nicht, wie wir das mit dem aktuellen Haushalt der EU stemmen könnten. Da müssen wir andere Wege gehen können, um das zu finanzieren.
Die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien konnten bei den Wahlen zulegen, was vor allem auf das gute Abschneiden einzelner nationaler Parteien zurückzuführen ist. Hat sich hier ein gesamteuropäisches Phänomen verfestigt?
In den meisten Ländern – nicht allen – ist schon ein gewisser rechtsextremer Trend zu erkennen. In Deutschland ist eine AfD zweitstärkste Partei, in Österreich ist die FPÖ stärkste Partei. Auch in Luxemburg ist erstmals jemand gewählt worden, der mit Meloni in der EKR (Europäische Konservative und Reformer, Anm. d. Red.) sitzen wird, die Positionen vertritt, die als relativ rechtsextrem eingestuft werden können. Wir haben einen gewissen Trend, der in Frankreich etwa ganz ausgeprägt ist. Das führt natürlich auch zur Herausforderungen, wie mit diesem Trend gesamteuropäisch, aber auch in den nationalen Parteien umgegangen werden soll. Das kann nicht einfach so zur Kenntnis genommen werden. Das ist eine Herausforderung für die demokratischen Parteien insgesamt, besonders aber für die sozialdemokratischen Parteien, da sich auch deren traditionelle Wähler von den extrem Rechten haben anziehen lassen. Wir müssen verstehen, was da passiert, und versuchen, diese Wählerschaft zurückzugewinnen, indem wir eine Politik machen, in die die Leute wieder Vertrauen haben. Ohne aber die Wege der extremen Rechten zu gehen.
Ganz kann die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni bei der Bestimmung der neuen EU-Kommissionspräsidentin nicht aus dem Spiel gehalten werden. Wie sehen Sie das?
Die Entscheidung im Rat (der EU-Mitgliedstaaten, Anm. d. Red.) darüber, wer dem Europäischen Parlament als EU-Kommissionspräsident oder EU-Kommissionspräsidentin vorgeschlagen werden soll, wird eigentlich mit einer qualifizierten Mehrheit getroffen. Frau Meloni hat da kein Veto-Recht. Das war nicht immer so und wurde mit dem Vertrag von Lissabon geändert, um eben nicht einem Land die Möglichkeit zu geben, ein Veto einzulegen. Wenn Frau Meloni etwas blockieren will, muss sie eine Reihe weiterer Länder finden, um dies zu tun.
Wie geht es nun mit Ihnen weiter, wo sehen Sie sich in Zukunft in Europa?
Ich spiele erst einmal meine Rolle als Spitzenkandidat in den anstehenden Verhandlungen. Das wird vor allem wichtig in den Diskussionen über das Programm und wenn es darum geht, Posten in den verschiedenen Institutionen zu besetzen. Für mich wäre das die Kommission. Aber da werden wir sehen, wie sich die Situation dann darstellt. Ich werde mich aber nicht an Spekulationen beteiligen und ich bin da relativ „zen“.
Wie sehen Sie den Ausgang der Europawahlen in Luxemburg, vor allem, was das Abschneiden Ihrer Partei, der LSAP, anbelangt?
Die LSAP hat ein exzellentes Resultat eingefahren. Wir haben leider auf ein paar Stimmen den zweiten Sitz verpasst. Wir wissen, wie das luxemburgische Wahlsystem funktioniert, und haben das bei den Nationalwahlen etwas ähnlich erfahren. Wir haben über 9,5 Prozent zugelegt, zur CSV aufgeschlossen und stehen nun auf 1,2 Prozent hinter der CSV. Marc Angel hat ein großartiges persönliches Ergebnis erzielt. Auch was die Listenstimmen anbelangt, haben wir ein ganz gutes Resultat erreicht. Die LSAP hat sich als ganz starke Partei erwiesen, was positiv ist für die Zukunft in der Nationalpolitik. Wie die jungen Kandidatinnen abgeschlossen haben, ist auch ganz ermutigend. Die LSAP ist in Luxemburg eigentlich die große Gewinnerin, auch wenn sich das nicht in einem Sitz-Zugewinn gezeigt hat.
Und wie sehen Sie den Umstand, dass ein ADR-Abgeordneter erstmals ins Europaparlament einzieht und dort die Reihen der EKR stärkt?
Das macht mich nicht froh, wenn in der EKR, das heißt in der Partei von Frau Meloni, ein Luxemburger aufgenommen wird. Das bestätigt, dass wir einen bestimmten Trend haben, auch wenn der in Luxemburg nicht so bedeutend ist. Dass ein Luxemburger in einer Gruppierung der Rechtsextremen, zusammen mit der polnischen PiS, mit den Schwedendemokraten, mit Vox aus Spanien, mit der Partei von Eric Zemmour, sitzt, ist nichts, was mich besonders erfreut.
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