Editorial / Spitzenkandidatisch für Anfänger: Sam Tanson beginnt Wahlkampf überraschend kämpferisch
Eine ganze Stunde lang stand Sam Tanson am Samstagmorgen vor ihren grünen Parteikollegen, um zu beweisen, dass sie den üblichen Spitzenkandidaten-Monolog genauso absolvieren kann wie ihre Konkurrenten. „Es ist die längste Rede, die ich je gehalten habe“, begann die Politikerin halb entschuldigend. Die Rede hatte nicht die Emotionalität, die DP-Premierminister Xavier Bettel mühelos ein- und ausschalten kann, oder den Charme, den LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert auszustrahlen scheint. Der Vortrag von Tanson war trotzdem solide – und erntete für ein paar besonders kämpferische Aussagen viel Applaus.
Vor allem gegenüber der CSV fand die Spitzenkandidatin klare Worte. Die Politikerin warf der Christlich-Sozialen Volkspartei vor, mit dem Finger auf Probleme zu zeigen, für die die CSV selbst verantwortlich sei. So etwa beim Thema Sicherheit: „Unter einem grünen Polizeiminister wurden in einem Jahr so viele neue Mitarbeiter rekrutiert wie zu CSV-Zeiten während der ganzen Legislaturperiode“, meinte Tanson. Die CSV würde nun das „Phantom einer Gemeindepolizei herbeizaubern“, obwohl sie sie selbst abgeschafft habe. Beim Problemkind Wohnungsmarkt hat die Grünen-Politikerin sogar den früheren CSV-Premier Jean-Claude Juncker direkt zitiert, als dieser zugab, in der Wohnungsfrage versagt zu haben.
Die CSV sei der große Verlierer der Kommunalwahlen, so die Politikerin. Die großen Gewinner seien hingegen die „beiden radikal populistischen Parteien“ gewesen. Tanson sprach mehrmals von diesen Parteien, nannte sie – im Gegensatz zu der CSV – allerdings nicht beim Namen. Der Kampfgeist reichte dann wohl doch nicht aus, um die ADR und Piraten direkt an den Pranger zu stellen. Die grüne Spitzenkandidatin warf den zwei unbenannten Parteien vor, bewusst Desinformationen zu verbreiten – und rief ihre Zuhörer gleichzeitig dazu auf, diese Falschaussagen im Netz richtigzustellen. „déi gréng“ wollen zurückschießen.
Und das müssen sie auch. Die Startposition von Tanson ist nämlich wesentlich schwieriger als die von anderen Spitzenkandidaten. Während Bettel und Lenert in den vergangenen Jahren regelmäßig im Rampenlicht standen, war es sehr lange ruhig um Tanson. Die Justiz- und Kulturministerien erhielten weit weniger Aufmerksamkeit als andere politische Bereiche. Sogar CSV-Spitzenkandidat Luc Frieden, der wesentlich mehr Zeit für den Wahlkampf hat, steht durch sein plötzliches Auftauchen wieder im Mittelpunkt.
Es ist also bitter nötig, dass sich die grüne Juristin ins politische Gedrängel schmeißt und anfängt, ein paar Schläge zu verteilen – vor allem im aktuellen Klima, in dem populistische Kontrahenten „déi gréng“ gerne als Sandsack benutzen. Die Rede am Samstag ist jedenfalls ein Anfang – wenn auch ein verhaltener. Doch wenn sogar die sonst so sachlich ruhige Sam Tanson in die Offensive geht, ist klar, dass die Wahlkampf-Glocke endgültig geläutet wurde.
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Man kann es drehen und wenden, wie man will, es hat nun mal ausgewirkt.