Parlament / „Staatsmännisch“ bis „Sonntagsrede“: Parteien reagieren auf Rede zur Lage der Nation
Die Rede zur Lage der Nation spaltet die politischen Gemüter. Wie zu erwarten, stärken die Mehrheitsparteien dem Premierminister Xavier Bettel nach dessen Ausführungen den Rücken, während die Oppositionsparteien gleich mehrere Kritikpunkte aufbringen. Lediglich die Piraten zeigen sich positiv überrascht von der Rede des Premiers.
Über Sinn und Unsinn der Rede zur Lage der Nation lässt sich vorzüglich streiten, lassen sich die politischen Reaktionen zur jährlichen Bestandsaufnahme doch schon oftmals im Vorfeld an der Grenze von Opposition und Mehrheitsparteien festmachen. Ganz so eindeutig ist es nach Ende des diesjährigen zweistündigen Monologs jedoch nicht: Die Piraten wollen einen „lila Faden“ in der Rede von Premierminister Xavier Bettel ausgemacht haben, während sich die LSAP in leiser Kritik übte.
„Wir sind im Allgemeinen sehr zufrieden damit, was der Premierminister hier vorgetragen hat“, sagt der LSAP-Fraktionsvorsitzende Georges Engel. „Man kann aber auf sozialer Ebene immer noch mehr machen.“ Man sei aber sehr erfreut über die Ankündigungen zur Teuerungszulage („allocation de vie chère“) und zum kostenlosen Essen in den Schulen. Es habe aber an klaren Aussagen bei der Unterstützung von Alleinerziehenden gefehlt. Wenn nicht alle Erwartungen erfüllt werden, sei man immer ein bisschen enttäuscht. „Man muss aber immer Kompromisse eingehen.“
Von staatsmännisch bis enttäuschend
Gilles Baum, Fraktionspräsident der DP, verteidigt die Rede seines Parteikollegen als „staatsmännische Rede, die vollgepackt ist mit Themen, die wir in Zukunft angehen werden“. Wichtig sei, dass Eltern mit Kindern weiterhin entlastet würden, sagt Baum und verweist auf die Ankündigungen zur Hausaufgabenhilfe, zum Gratis-Mittagessen in den Schulkantinen der Grund- und Sekundarschulen und zum zukünftig kostenlosen Musikunterricht. „Der Wohnungsbau sei das Hauptproblem in Luxemburg und mit der angekündigten Spekulationssteuer wollen wir die Weichen stellen können“, sagt Baum. Wichtig bleibe aber weiterhin die Kooperation mit den Gemeinden.
„Das große Wahlversprechen der Regierung, die Steuerreform, wurde mit keinem Wort erwähnt“, zeigt sich Martine Hansen, Fraktionsvorsitzende der CSV, enttäuscht. Unter der Überschrift „Eise Wee. Eist Zil“ habe Xavier Bettel viele Ziele genannt, die Wege, die ans Ziel führen sollen, seien jedoch weiterhin unklar. „Das ist das, was den Menschen und den Betrieben unseres Landes fehlt.“ Der Wohnungsbau sei das größte Problem des Landes – zu dessen Bekämpfung aber nur die Spekulationssteuer genannt worden sei. „Diese Spekulationssteuer wird jetzt schon seit acht Jahren groß angekündigt“, kritisiert Hansen. „Wir hätten uns erwartet, dass mehrere Maßnahmen wie zum Beispiel eine vereinfachte Bauprozedur angekündigt worden wären.“ Die großen Visionen würden fehlen, resümiert Hansen.
Auch die Ankündigungen im Bereich Soziales genügen der CSV nicht. Der Premierminister habe angekündigt, niemanden im Regen stehen lassen zu wollen. „Ich kann nur feststellen, dass die Armut in Luxemburg weiter zugenommen hat“, sagt die CSV-Politikerin. Die langjährige Forderung der CSV einer Kindergeldindexierung hätte viel früher kommen müssen. Obwohl Luxemburg die Krise wirtschaftlich gut gemeistert habe, sei es wichtig, den Luxemburger Betrieben in Sachen Klima und Digitalisierung zur Seite zu stehen. Kritik hagelt es auch an der Informationspolitik der Regierung während der Corona-Pandemie. „Es ist die Aufgabe der Regierung, die Menschen zu informieren“, sagt Hansen. „Hier wurde den Impfgegnern das Feld komplett überlassen.“
Lila Faden
Der Piraten-Abgeordnete Sven Clement zeigt sich von der Rede des Premiers positiv überrascht. „Ich habe einen lila Faden in der Rede zur Lage der Nation erkannt“, sagt Clement. „Es gibt zahlreiche Elemente in der diesjährigen Rede, die die Regierungsparteien vor einem Jahr im Parlament noch abgelehnt haben.“ Er begrüße die Einführung eines Bürgerrates und die angekündigten Maßnahmen zu Kompensierung des CO2-Ausstoßes – beides Ideen, die die Piraten schon im Parlament eingebracht hätten. „Man sieht, dass eine kleine Oppositionspartei die Regierung doch vor sich hertreiben kann“, sagt Clement.
Ernüchtert ist der Piraten-Abgeordnete jedoch im Hinblick auf die Wohnungsbaumaßnahmen. „Die Regierung hat angekündigt, 8.000 Wohnungen über einen unbekannten Zeitraum zu bauen“, sagt Clement. Jedoch brauche das Land jährlich 6.000 Wohnungen, um der Krise Herr zu werden. Ähnlich sehe es mit der Grundsteuer aus. „Jetzt werden wir wieder über zwölf Monate mit einer Ankündigung vertröstet – letzten Endes passiert aber wie bei der Cannabis-Legalisierung nichts.“ Zudem stört sich der Piraten-Abgeordnete an der Interpretation, dass es sich bei der Rede zur Lage der Nation um eine soziale Rede handele. „Im Gegenzug ist es nicht ganz kohärent, mit dem Covid-Check am Arbeitsplatz ein Pay-to-work-System einzuführen.“
Sozialsystem auf dem Prüfstand
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Josée Lorsché, ist erfreut, dass der Premierminister in seiner diesjährigen Rede der Klimapolitik einen hohen Stellenwert einräumte. „Wenn man sich als Grüne nicht darüber freut, ist man in der falschen Partei“, sagt Losché. „Das Klimagesetz setz dem Klimaschutz einen konkreten Rahmen, jetzt gehe es darum, die gesetzten Ziele zu erreichen.“ Die Einführung einer Spekulationssteuer sei der richtige Weg, Bauland in Luxemburg nutzbar zu machen. Es sei nicht richtig, dass der Großteil des Landes in den Händen einer kleinen Minderheit liege. Die Spekulationssteuer sei neben der Leerstandsteuer ein wichtiges Instrument, das Land und leer stehende Wohnflächen wieder auf den Markt zu bringen.
Es sei wichtig, neben der Klimadebatte auch eine soziale Debatte zu führen. „Es sind viele Maßnahmen im sozialen Bereich, die zusammen greifen müssen“, sagt Lorsché. „Das Paket, das vorgestellt wurde, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch gehört unser Sozialsystem als Ganzes einmal auf den Prüfstand“, sagt die Grünen-Politikerin.
„Sonntagsrede“
„Zwei Jahre vor den Wahlen sehen wir einen Premierminister, der nicht mehr regiert, sondern nur noch managt“, sagt Fernand Kartheiser von der ADR. Der Abgeordnete beanstandet, dass einige wichtige Themen nicht angesprochen worden seien. „Die Verfassungsreform und das Verfassungsreferendum wurden mit keinem Wort erwähnt“, sagt der Abgeordnete nach der Rede von Premierminister Bettel. „Es gab aber auch einige Widersprüche.“ So habe Bettel gesagt, er wolle die Freiheit der Menschen verteidigen und übe mit dem neuen Covid-Gesetz immer mehr Druck auf die Menschen aus. Auch habe Bettel eingangs erwähnt, keine Steuererhöhungen anzuvisieren, später jedoch im Bereich des Wohnungsbaus eine neue Steuer angekündigt. „Es ist eine Rede ohne politische Ambitionen mit Geschenken vor den Wahlen“, sagt Kartheiser. „Es war keine starke Rede.“
Der wirtschaftliche Wiederaufschwung sei begünstigt durch die Besonderheiten der Luxemburger Wirtschaft, die besonders auf Service-Leistungen ausgelegt sei. „Wir brauchen aber eine klare Perspektive für die ökonomische Entwicklung des Landes“, sagt Kartheiser. „Ambitionen oder Visionen wurden nicht klar diskutiert.“ So würden die Datenzentren im Land eine hohe Energieversorgungssicherheit voraussetzen, die mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien nicht gegeben sei. „Der Blick aufs Ganze fehlt einfach.“
Die Linken-Abgeordnete Myriam Cecchetti verleiht der Rede zur Lage der Nation das Prädikat „Sonntagsrede“. „Es ist schön, dass festgestellt wurde, dass wir in einer Krisensituation leben“, sagt Cecchetti. Konkrete Vorschläge, wie Luxemburg aus der Klima- und der Wohnungsbaukrise heraus navigiert werden könne, habe es keine gegeben. Auch sei es nicht richtig, über „grünen Wachstum“ zu diskutieren. „Wir sind an einem Punkt angekommen, wo wir über Wachstum an sich diskutieren müssen“, sagt die Linken-Politikerin. „Ich bin überhaupt nicht zufrieden mit der Rede.“ Es sei frustrierend, dass zahlreiche angekündigte Maßnahmen bereits seit Längerem existieren würden, jedoch bisher keine Anwendung finden würden. „Mer fäerten, dass mer d’Handbrems net méi gezu kréien.“
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