Luxemburg / Statec: Frauen werden viermal so oft Opfer von sexueller Gewalt wie Männer
Einer von fünf Luxemburger Einwohnern zwischen 16 und 74 Jahren ist in den vergangenen zwölf Monaten Opfer physischer, psychischer oder sexueller Gewalt geworden. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Statec 2019 und 2020 durchgeführt hat. Der Großteil der Opfer hat sich weder an Polizei noch Ärzte, Psychologen oder Sozialarbeiter gewandt.
81.000 Personen zwischen 16 und 74 Jahren sind in den zwölf Monaten vor der Befragung Opfer von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt geworden. Das schreibt das nationale Statistikamt Statec in einer Pressemitteilung am Mittwoch. Grundlage ist eine Umfrage, die das Institut in den Jahren 2019 und 2020 durchgeführt hat. Frauen (vier Prozent) und Männer (fünf Prozent) sind ungefähr im gleichen Maße von physischer Gewalt betroffen. 15 Prozent der in Luxemburg lebenden Frauen und 14 Prozent der männlichen Bevölkerung sind Opfer psychischer Gewalt geworden. Nur bei Angriffen sexueller Natur spiegelt sich in den Zahlen eine deutliche Diskrepanz wieder: Vier Prozent der in Luxemburg lebenden Frauen sind 2022 Opfer sexueller Gewalt geworden – und damit einem vierfach höheren Risiko ausgesetzt als Männer (ein Prozent).
Besonders erschreckend: Ein Großteil der Opfer – 77 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen – suchen im Anschluss an eine Gewalterfahrung keine professionelle Hilfe – weder bei Polizei noch bei Ärzten, Psychologen oder Sozialmitarbeitern. „Die meisten Opfer suchen keine professionelle Hilfe und melden ihre Gewalterfahrungen nicht“, schlussfolgern die Statistiker. Eine Entscheidung mit Konsequenzen, denn: Nur die Fälle, die offiziell zur Anzeige gebracht werden, tauchen in den offiziellen Statistiken der Luxemburger Behörden auf.
Was die Zahlen verbergen
Ein weiterer Aspekt trat bei der Auswertung der Umfrage hervor. „Frauen werden viel häufiger von Tätern aus ihrem persönlichen Umfeld angegriffen, was bedeutet, dass sie besonders gefährdet sind, wiederholte Gewalt zu erleiden“, schreibt das Statec in seinem Bericht. „Eine Tatsache, die sich nicht in den Opferraten widerspiegelt.“ Das erklärt dem Statec zufolge auch die Diskrepanz bei den Hilfegesuchen nach einem Gewaltakt: Männliche Opfer von physischer Gewalt sind doppelt so oft in Kontakt mit der Polizei (in 4.3000 Fällen, zwölf Prozent) als Frauen (2.600 Fälle, sechs Prozent). „Die Hemmschwelle, die Polizei zu informieren, ist daher wahrscheinlich höher“, schlussfolgert das Statistikamt. „Außerdem bietet das häusliche Umfeld dem Täter mehr Möglichkeiten, nicht entdeckt zu werden.“ Das könnte auch erklären, warum Frauen sich weniger an offizielle Behörden wenden, jedoch öfters bei Ärzten und Psychologen Hilfe suchen.
Auch Hilfsorganisationen werden in der Regel nur sehr wenig von Gewaltopfern aufgesucht. „Etwa ein Drittel der von Gewalt betroffenen Männer und Frauen ist der Meinung, dass das Erlebte nicht schlimm genug war, um Hilfe zu suchen“, schreibt das Statec. Ein weiterer Grund ist das mangelnde Vertrauen in die Hilfsorganisationen. Viele Opfer seien der Meinung, dass die Hilfsorganisationen nicht in der Lage wären, den Betroffenen angemessen zu helfen. Ein Viertel der Männer und ein Fünftel der Frauen würden sich aus dem Grund von solchen Hilfsorganisationen fernhalten.
Die Gründe, warum sich Opfer keine professionelle Hilfe holen, variieren teilweise stark nach Geschlecht und der Art des Vorfalls (siehe Grafik). Auffällig ist, dass besonders weibliche Opfer sexueller Gewalt angegeben haben, dass ein Hilfegesuch in ihren Augen nichts bringen würde (19 Prozent). So haben sich hingegen nur neun Prozent der Männer, die sexuelle Gewalt erleben mussten, geäußert. Umgekehrt sieht es hingegen bei den Opfern physischer Gewalt aus, wo deutlich mehr Männer (23 Prozent) angegeben haben, dass von offizieller Seite kein Hilfe zu erwarten sei, als Frauen (15 Prozent). 10 Prozent der männlichen Opfer sexueller Gewalt haben angegeben, dass sie sich aus Scham keine Hilfe gesucht haben – das war bei „nur“ vier Prozent der Frauen ein Grund. Jedoch haben drei Prozent der Frauen angegeben, zu viel Angst zu haben, um Hilfe zu suchen. Das scheint bei den männlichen Opfern sexueller Gewalt kein ausschlaggebender Faktor zu sein.
Methodologie
Die Befragung des Statec zum Thema Sicherheit wurde zum ersten Mal im Jahr 2013 durchgeführt. Für den vorliegenden Bericht wurden im Jahr 2019 und 2020 insgesamt 5.695 Einwohner Luxemburgs mit einem Mindestalter von 16 Jahren befragt. Davon waren 2.734 Frauen. Die Befragten konnten die Fragen entweder telefonisch oder per Internet beantworten. Fünf Sprachen standen dabei zur Auswahl: Französisch, Luxemburgisch, Deutsch, Englisch und Portugiesisch. „Die Studie ist eine wichtige Ergänzung zu den Statistiken der offiziellen Behörden (Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafvollzug), die nur ein unvollständiges Bild von Luxemburg vermitteln“, schreibt das Statec. Die offiziellen Zahlen beziehen sich nur auf die Vorfälle, bei denen eine Anzeige erstattet wurde.
- Von Dynamik und Statik: Xavier Bettels Europa- und Außenpolitik braucht neue Akzente - 19. November 2024.
- CSV und DP blicken auf ereignisreiches Jahr zurück - 18. November 2024.
- „déi Lénk“ sieht von „Interessenkonflikten durchsetzte“ Institution - 13. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos